"Am Zehnerbus häng ich einfach"

02.11.2009 | Stand 03.12.2020, 4:32 Uhr

Mobil auch im hohen Alter: Für den 90-jährigen Buskunden Theo Gradler ist das nicht nur ein Schlagwort, sondern der Alltag. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Gegen die vom Stadtrat beschlossene Sperrung der Nord-Süd-Achse für die Busse haben schon einige tausend Ingolstädter unterschrieben. Einer der ältesten dürfte Theo Gradler sein, der zwar schon 90, aber immer noch ein temperamentvoller Streiter für den öffentlichen Nahverkehr ist.

"Mir geht’s gut", lacht der alte Herr, wenn er daheim auf seinem Sofa sitzt, "jammern lass’ ich die anderen." Aber sich nur immer in den eigenen vier Wänden aufhalten, das wäre nichts für ihn. "Ich bin ein Mensch, der nicht dauernd sitzen kann, ich muss raus an die frische Luft."

Doch mit der Bewegung ist das natürlich in diesem Alter so eine Sache. Theo Gradler hat vor sechs, sieben Jahren sein letztes Auto seinem Enkel geschenkt und setzt sich seitdem nicht mehr selbst ans Steuer. Im näheren Umfeld seines Hauses im Südwestviertel ist der Senior mit dem Rollator unterwegs. Und für die Ausflüge in die Stadt gibt’s ja zum Glück den Omnibus. "Der Zehner ist der wichtigste für mich, am Zehnerbus häng’ ich einfach", erzählt der pensionierte Bahnbeamte, "zwei oder drei Mal pro Woche fahr’ ich in die Stadt, je nach Tagesform." Zwölf Busminuten sind es von Gradlers Haltestelle Maximilianstraße bis zur Harderstraße – jedenfalls solange die Linie 10 noch direkt durch die Nord-Süd-Achse der Altstadt fährt.

Theoretisch könnte der Senior sicher auch in der Schutterstraße aussteigen, wenn die INVG-Busse abbiegen und die Schleife über die Rossmühlstraße nehmen. Aber dieser Rat hilft einem Menschen, der zu hundert Prozent schwerbehindert ist und sich seine Wege genau einteilen muss, recht wenig. "Ich taxiere immer die Entfernungen, die ich noch packen kann", umschreibt der betagte Buskunde seine spezielle Form von Mobilität.

Und so spaziert er, immer schön langsam und mit Pausen dazwischen, von der Haltestelle in der Harderstraße zum Bäcker und zum Metzger, schaut auch mal zur stillen Einkehr in die Franziskanerkirche oder macht Erledigungen im Sozialen Rathaus. Nur wenn Gradler einen besonders guten Tag erwischt hat, schafft er es bis zur Buchhandlung in der Theresienstraße oder sogar bis zum Kaufhof in der Ludwigstraße.

"Mir graut schon davor", sagt der unternehmungslustige Senior, "dass ich einmal nur noch daheim in der Wohnung sitzen kann." Deswegen habe er sich auch entschlossen, beim Bürgerbegehren zu unterschreiben und für die Busse in der Nord-Süd-Achse einzutreten.

Als die Initiatoren am vergangenen Donnerstag in der Dollstraße für ihr Anliegen warben, kamen auffällig viele Senioren. "Ich habe ja bisher schon gewusst", berichtet FDP-Stadträtin Christel Ernst, "dass für die älteren Leute die Haltestelle in der Harderstraße sehr wichtig ist. Aber dass es für manche wirklich ein Drama wäre, wenn sie wegfällt, war mir so nicht bewusst."

So habe eine alte Dame mit Tränen in den Augen den Fall ihres dementen Mannes geschildert, den sie jeden Tag im Heilig-Geist-Spital besucht. Ohne günstige Busverbindung wäre das nicht mehr möglich. Oder eine Altstadtbewohnerin, die auf direktem Weg mit dem Bus zum Hauptbahnhof fahren will. "Die älteren Menschen", hat Christel Ernst am Infostand zu hören bekommen, "können eben nicht mehr weit laufen."

Die Initiatoren des Bürgerbegehrens – neben der FDP der Bund Naturschutz, SPD, Grüne, ÖDP und Linke – wollen sich in einer Woche treffen, um eine Zwischenbilanz zu ziehen und über das weitere Vorgehen zu beraten. Bis dahin werden auch die verschiedenen Unterschriftenlisten im BN-Büro gesammelt, damit man weiß, ob die Zahl der Unterstützer schon ausreicht. Etwa 4600 müssen es sein, damit ein Bürgerentscheid zustande kommt.

Noch gilt der Stadtratsbeschluss, dass ab dem Fahrplanwechsel am 13. Dezember an den Wochenenden tagsüber keine Busse mehr durch die Nord-Süd-Achse fahren – zunächst befristet auf ein Jahr.