Am letzten Abend noch ein mysteriöser Besucher

Mordfall Anastasia: Gericht beleuchtet das unmittelbare Umfeld von Opfer und Angeklagtem

27.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:07 Uhr

Ingolstadt (DK) Was für ein Mensch war Anastasia M., wie verbrachte sie die Wochen und Monate vor ihrem Tod, wer waren ihre Bekannten, was waren ihre Sorgen und Wünsche? Diesen Fragen geht die Schwurgerichtskammer am Ingolstädter Landgericht im Mordprozess gegen einen 25-jährigen Soldaten, der die schwangere junge Frau am 28. November vorigen Jahres erschlagen und in die Donau geworfen haben soll, seit gestern intensiv nach.

Als Zeugen werden nun nach und nach unmittelbare Nachbarn Anastasias, aber auch noch ihre Familienangehörigen gehört. Der Anfang wurde mit jener Frau gemacht, die im Herbst 2015 im städtischen Wohnheim an der Feldkirchener Straße wahrscheinlich den intensivsten Kontakt zum 22-jährigen späteren Mordopfer gehabt hat, das nur zwei Zimmer weiter wohnte. Die 40-jährige Mitbewohnerin (sie lebt inzwischen nicht mehr in Ingolstadt) schilderte den letzten Abend mit der jungen Nachbarin, nur wenige Stunden vor deren Tod: Man habe gemeinsam gekocht, gegessen – und geweint.

Zugegen sei dabei auch ein Mann gewesen, der die beiden Frauen angeblich über Handwerkerarbeiten im Hause kennengelernt und sich ihnen offenbar mehr und mehr aufgedrängt hatte. Anastasia, so hieß es weiter, habe bereits den ganzen Nachmittag über gehofft, sich endlich mit ihrem Freund, dem angeblichen Vater ihres ungeborenen Kindes (der jetzige Angeklagte) für eine Wohnungsbesichtigung zu treffen. Der aber habe sie über Whats-App-Mitteilungen mit offensichtlich fadenscheinigen Ausreden immer weiter in den Abend hinein vertröstet, was sie zusehends deprimiert habe.

Gegen 22 Uhr sei Anastasia dann in ihr Zimmer gegangen, sie selbst habe sich mit ihren beiden Kindern zu Bett begeben und sei davon ausgegangen, dass auch Anastasia das Haus nicht mehr verlassen werde, so die Zeugin. Der gemeinsame Bekannte habe wohl ebenfalls in ihrer Wohnung übernachtet, so die 40-Jährige, er sei jedenfalls am nächsten Morgen noch da gewesen.

Zu diesem Besucher hatte Verteidiger Franz Wittl jede Menge Fragen. Der Rechtsanwalt (und wohl nicht nur er) findet es höchst befremdlich, dass da ein vergleichsweise unbekannter Mann offenbar bei den beiden Frauen ein- und ausging (angeblich sogar einen Schlüssel zum Zimmer der Zeugin hatte), ohne dass man viel über ihn gewusst habe.

Wie spätere polizeiliche Nachforschungen ergaben, handelt es sich bei diesem Besucher um einen verurteilten Betrüger, der seinerzeit Freigang vom Haftaufenthalt hatte. Der Mann sei überprüft worden, habe aber mangels hinreichender Verdachtsmomente bei den weiteren Nachforschungen der Polizei keine Rolle mehr gespielt, sagte gestern der Hauptsachbearbeiter der Ingolstädter Kripo aus. Womöglich werden sich die Zusammenhänge beim heutigen Fortsetzungstermin weiter aufklären lassen, denn dann ist der Mann als Zeuge geladen. Der Kriminalbeamte schilderte dem Gericht gestern ausführlich den Ablauf der Ermittlungen im Umfeld des Mordopfers und des mutmaßlichen Täters, der bekanntlich bereits am Tag des Leichenfundes (29. November) unter dringendem Tatverdacht festgenommen worden war. Wie sich in den Tagen darauf herauskristallisiert hatte, war Anastasia offenbar wirklich der Meinung gewesen, dass nur der junge Bundeswehrsoldat der Vater ihres Kindes sein konnte, obwohl sie übers Jahr den Nachforschungen der Polizei zufolge noch fünf weitere Sexualpartner gehabt haben muss. Der tatsächliche Vater wurde später durch einen DNA-Abgleich ermittelt.

Der jetzige Angeklagte soll den Nachforschungen zufolge zuletzt kaum noch Interesse an der jungen Frau gehabt haben, die er über seine Arbeit im Theaterrestaurant (ein Nebenjob) kennengelernt hatte. Er hatte sich offenbar längst zurückgezogen und sich gegenüber Anastasia zunehmend verleugnet, während diese sich noch Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft machte.

Gestern Nachmittag hörte die Schwurkammer noch den Spurengutachter Martin Schulz vom Münchner Institut für Rechtsmedizin an. Er bestätigte die bereits bekannte DNA-Analyse von Spuren an einem unmittelbar gesicherten Kapuzenpullover des Angeklagten, wonach zwei Blutspritzer an diesem Kleidungsstück eindeutig von der getöteten Frau stammen. Die Spurenlage ist demnach dergestalt, dass dieser Pullover nach der Kontamination noch nicht gewaschen worden sein konnte. Andererseits ist aber nicht klar, ob die bereits verdünnten Anhaftungen ganz frisch oder bereits einige Tage alt waren.