Ingolstadt
Alternder Wegbereiter

Franz Hauk führt in der Ingolstädter Asamkirche Simon Mayrs Spätwerk "Messa di Gloria" auf

23.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:30 Uhr
Mayr in Moll: Franz Hauk dirigiert die "Messa di Gloria". Das Konzert wurde für eine CD-Produktion mitgeschnitten. −Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Wir schreiben das Jahr 1834. Johann Simon Mayr führt in Bergamo eins seiner letzten Werke auf. Der in Mendorf geborene und in Ingolstadt aufgewachsene Komponist ist inzwischen über 70 Jahre alt, seine Augen lassen nach. Er komponiert nur noch selten, und dann auf riesigem Notenpapier.

Mayr ist ein Wegbereiter, viele nennen ihn den "Vater der italienischen Oper", sein bedeutendster Schüler ist kein Geringerer als Gaetano Donizetti. Aber inzwischen ist die Zeit über ihn hinweggegangen. An der Oper spielt er schon lange keine Rolle mehr, sein letztes musikdramatisches Werk "Demetrio" wurde 1824 uraufgeführt und war noch ganz dem Stil der Opera seria des 18. Jahrhunderts verhaftet.

Komponisten aus der Generation seiner Schüler haben teilweise bereits ihr Werk vollendet: Vincenco Bellini hat längst die berühmte "Norma" komponiert, Donizetti die Opera buffa "L'elisir d'amore". Gioachino Rossini, der große Zeitgenosse Mayrs, hat das Komponieren bereits weitgehend aufgegeben, seine letzte Oper "Guillaume Tell" ging 1829 erstmals über die Bühne.

Mayr bereitete der italienischen Frühromantik den Weg, aber inzwischen ist auch dieser Stil fast schon wieder Geschichte. Und Mayr komponiert noch immer.

Aber der Musiker aus Bergamo hat sich auch im Alter noch weiterentwickelt. Mayr ist zu diesem Zeitpunkt ein in die Jahre gekommener Neuerer. Die stilistisch an Mozart und Haydn angelehnten Klänge liegen längst hinter ihm, Mayr schwelgt nun auch in der Melodienseligkeit des frühromantischen Belcantos. Und er wendet sich, wenn auch zaghaft und verhalten, den dunkleren Emotionen der Molltonarten zu.

So ist die "Messa di Gloria", die Franz Hauk ausgegraben hat und nun erstmals nach über 150 Jahren wieder aufführt, in e-Moll komponiert. Aber die Düsterkeit, die Mayr hier vermittelt, ist niemals wirklich tragisch, stets bricht der Dur-Optimismus des Komponisten wie starke italienische Sonnenstrahlen durch, immer wieder wenden sich die düsteren Stimmungen in heiter-volkstümliches Melos.

Der komplizierteste Satz der Messe ist das Kyrie II, das in einer grandiosen, romantischen Fuge gipfelt. Anders als bei Bach und ähnlich wie bei Mendelssohn oder auch bei Beethoven, ist die Fuge eine rasante Steigerungsmusik. Am Ende rast das Orchester chromatisch durch den Tonraum und produziert eine Rossini-Walze, jenen opernhaften Kompositionstrick, der die frühromantischen Musikdramen so hektisch belebt.

Der zweite Teil der Messa, in der Hauk etwas spekulativ verschiedene zu Thema und Tonart passende Sätze kombiniert hat, wirkt die Tenorarie "Qui sedes" mit ihren zahlreichen munteren, italienischen Melodien am eingängigsten. Das hat allerdings auch mit dem Sänger Markus Schäfer zu tun. Er ist der Star im Ensemble, hat schon mit so bedeutenden Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt zusammengearbeitet und singt tatsächlich farbenreicher, energiegeladener, einfach musikantischer als alle anderen. Seinem schön timbrierten Tenor verleiht er immer wieder in den hohen Lagen rauschhaften Glanz. Begleitet wird die Arie von einem Geigensolo, das Konzertmeisterin Theona Gubba-Chkheidze souverän übernimmt. Wie überhaupt die Instrumentationskunst des späten Simon Mayr noch kunstvoller geworden ist. Kaum eine Arie erklingt, die nicht von meist mehreren Solisten aus dem Orchester untermalt wird. Beim "Gloria in excelsis", das von Hörnern begleitet wird, stehen sich gleichsam zwei Sopranistinnen gegenüber, die Solistin Dorota Szczepanska sowie eine sehr gute Chorsängerin, und produzieren einen ganz eigenen Stereosound.

Aber eigentlich singen alle Solisten hervorragend an diesem Sonntagmittag in der lichtdurchfluteten Asamkirche, der Bass Thomas Stimmel genauso wie die Altistin Freya Apffelstaedt. Und über erstaunliche Durchschlagkraft verfügt auch der Simon-Mayr-Chor. Das Orchester unter der Leitung von Franz Hauk fächert differenziert und durchsichtig Mayrs Partitur auf, wenn auch manchmal noch energiegeladener und kontrastreicher hätte musiziert werden können.

Das Publikum bedankt sich am Ende mit Bravorufen bei Orchester und Solisten und feiert damit wohl auch die geistreich zwischen Klassizismus und Romantik, zwischen opernhafter Dramatik und volkstümlicher Liedhaftigkeit flirrende Komposition Simon Mayrs.

Jesko Schulze-Reimpell