München
"Jeder einzelne kann die Welt ändern"

Einige der bahnbrechendsten Erkenntnisse über Schimpansen stammen von Jane Goodall - bis heute setzt sie sich für den Umweltschutz ein

23.06.2019 | Stand 02.12.2020, 13:41 Uhr
Mit 85 Jahren noch im Einsatz für die Umwelt: Jane Goodall begeisterte am Freitagabend die Zuhörer im Showpalast in München-Fröttmaning. −Foto: Steffen Horak

Jane Goodall wurde bekannt als Primatenforscherin. Heute reist sie als Umweltaktivistin um die Welt - und macht vielen Menschen Hoffnung. Jetzt war die 85-Jährige zu Gast in München

München (DK) Sie versteckt sich nicht hinter Make-up oder einer aufwendigen Frisur. Sie braucht keine Abendrobe eines Edeldesigners, um alle Blicke auf sich zu ziehen. Sie trägt einen schwarzen Rollkragenpullover, darüber ein weinrotes Tuch, bestickt mit weißen Federn. Ihr schlohweißes Haar hat sie wie immer zu einem Pferdeschwanz gebunden. Mitgebracht hat sie ihren treuen Wegbegleiter "Mr. H.", einen Stoffaffen, der sie seit 28 Jahren begleitet. Als Jane Goodall auf die Bühne tritt, hält sie kurz inne und begrüßt das Publikum auf ihre ganz spezielle Weise. "Hu-hu-hu-hu-hu-hu-hu-hu-hu-huwuh", hallt der imitierte Morgenruf der Schimpansen durch das Publikum.

Noch bevor sie das erste Wort spricht, zieht die Affenforscherin die Besucher mit ihrer schieren Präsenz in den Bann. Moderator und Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens hat eine Erklärung, warum die Wissenschaftlerin die Menschen scheinbar mühelos für sich gewinnen kann: "Viele versuchen mit Aggression zu überzeugen. Nicht so Jane Goodall. Sie tut es mit Humor und Einfühlungsvermögen."

Als Dank für ihr jahrzehntelanges Engagement organisierte das Jane Goodall Institut München am Freitag eine Abendveranstaltung für und mit der berühmten Verhaltensforscherin. Doch was schenkt man einer Frau zum Geburtstag, die ihr Leben den Affen und der Umwelt gewidmet hat? Das, was sie neben ihrer Arbeit am liebsten mag: Musik. Tim Allhoff begleitet Saxophonistin Stephanie Lottermoser am Piano, Songwriter Ingo Pohlmann überzeugt Klassikfan Goodall mit softer Rockmusik und Pianist Yojo Christen aus Altmannstein spielt mit Beethovens Appassionata eines ihrer Lieblingsstücke. Außerdem überrascht Christen das Geburtstagskind mit einer freien musikalischen Untermalung von Ausschnitten aus Lorenz Knauers Dokumentarfilm "Jane's Journey".

Auch wenn sie viel Kritik an der weltweiten Umweltverschmutzung und der Zerstörung der Natur übt, ist die UN-Friedensbotschafterin davon überzeugt, dass es für unseren Planeten noch nicht zu spät ist: "Ich glaube, da ist ein Fenster." Aber um unsere drangsalierte Erde zu retten, müsste jeder Einzelne etwas dafür tun.

Doch warum brauchen die Menschen Inspiration, wo doch mittlerweile die Fakten auf dem Tisch liegen? Der Meeresspiegel steigt, in der Arktis und Antarktis schmilzt das Eis und Wetterextreme wechseln sich ab. Jane Goodall ist sich sicher, dass die Menschen die Probleme verstehen, doch nicht wüssten, was sie dagegen tun können. "Wir müssen erst lokal denken, bevor wir das globale Bild vor Augen haben", betont sie. Wenn die Leute im Kleinen anfingen, dann würden sie nicht so schnell entmutigt werden. "Jeder kann jeden Tag etwas tun. Den Müll sortieren, auf Plastik verzichten, einfach mal das Fahrrad nehmen."

Gründe zur Hoffnung gibt es für Jane Goodall einige - allen voran das menschliche Gehirn. Viele Privatpersonen und Unternehmen hätten damit begonnen, ihre Handlungen auf ihren ökologischen Nutzen hin zu überdenken. Zusammen mit ihrem unerschütterlichen Willen könnten Menschen das scheinbar Unmögliche erreichen. Hilfreich dafür sei das Internet, denn über soziale Medien ließen sich Millionen von Gleichgesinnten miteinander verbünden.

Ihre größte Hoffnung ist jedoch die Jugend. "Wir haben uns ihre Zukunft nicht ausgeliehen, wir klauen sie", klagt die 85-Jährige. Beeindruckt sei sie vom Engagement Tausender Kinder und Jugendlicher, die weltweit für besseren Klimaschutz kämpfen. "Jeder Einzelne kann die Welt ändern", ist sie überzeugt. Besonders stolz ist die Aktivistin auf ihr "Roots and Shoots"-Jugendprogramm.

Mittlerweile verbinde das Netzwerk über 150000 Kinder und Jugendliche in knapp 100 Ländern, die den gemeinsamen Wunsch haben, ihr alltägliches Umfeld positiv zu verändern und die Zukunft aktiv mitzugestalten.

Jane Goodall hat vieles gesehen, vieles erlebt. Während ihrer Kindheit tobte der Zweite Weltkrieg. In jungen Jahren musste sie gegen die Ungleichstellung der Frau kämpfen, um sich als Forscherin durchzusetzen. Sie musste beweisen, dass man sich auch ohne Studium als Wissenschaftlerin etablieren kann. Sie hat gezeigt, wie man Grenzen überwindet und die Welt friedlich verändert. Wenn so jemand hoffen kann, dann kann es der Rest der Welt auch.

Ein Leben für die Natur

Jane Goodall wurde am 3. April 1934 in London geboren. Der Vater war Ingenieur, die Mutter Schriftstellerin. Nach ihrem Schulabschluss nahm sie einen Job als Sekretärin an. Als sie im Alter von 23 Jahren auf Einladung einer Schulfreundin nach Afrika reiste, wurde der Grundstein für ihre Forscherkarriere gelegt. Der Anthropologe Louis Leakey, Direktor des Kenya National Museum, engagierte sie als Assistentin und wurde ihr Mentor.

Obwohl Goodall weder ein Studium noch Praxiserfahrung vorweisen konnte, schickte er sie 1960 ins "Gombe Stream Chimpanzee Reserve" im Westen Tansanias, um dort das Verhalten von Schimpansen in freier Wildbahn zu erforschen. Leakey hielt Frauen für bessere Beobachter als Männer. Deshalb und gerade weil die junge Britin akademisch unbelastet war, erhoffte er sich unvoreingenommene Erkenntnisse, die Rückschlüsse auf das Verhalten der Frühmenschen zuließen.

Bereits im ersten Jahr ihrer Reise erzielte die Forscherin bahnbrechende Erfolge. Sie beobachtete, wie die Schimpansen andere Tiere jagten, töteten und verzehrten und widerlegte so die Annahme, Schimpansen seien reine Vegetarier. Kurz darauf machte sie eine der wichtigsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts: Schimpansen stellen Werkzeuge her, die sie bei der Futterbeschaffung einsetzen. Damit revolutionierte sie das Bild des Menschen als Krone der Schöpfung endgültig.

Schon in den 60er Jahren wurde die europäische Verhaltensforscherin international berühmt: 1963 erschien die erste Titelgeschichte über Jane Goodall im National Geographic, 1965 dann der erste große Dokumentarfilm. Mit Hilfe ihres Mentors Louis Leakey konnte sie - obwohl sie nie ein Studium absolviert hatte - ihre Doktorarbeit über das Verhalten von Schimpansen in freier Wildbahn einreichen.

Im Jahr 1977 gründete die promovierte Wissenschaftlerin das Jane Goodall Institute in den USA, um weiterhin Feldforschung zu betreiben und die Schimpansen vor der Ausrottung zu schützen.

1986 verließ Jane Goodall nach 26 Jahren Forschung Gombe und konzentrierte von nun an ihre gesamte Zeit und Energie auf den Schutz der Schimpansen und der Umwelt. In den 90er Jahren gründete sie die globale Jugendorganisation "Roots and Shoots", die erste Schimpansen-Auffangstation im Kongo und das "Tacare"-Programm zur Wiederaufforstung des Gebiets um den Gombe Nationalpark.

2002 erklärt der UN-Generalsekretär Kofi Annan Jane Goodall zur UN-Friedensbotschafterin. Bis heute reist sie um den Globus, um ihre Vision einer grüneren Zukunft des Planeten Wirklichkeit werden zu lassen.

300 Tage im Jahr reist Goodall durch die Welt im Einsatz für Mensch, Tier und Umwelt. In den Auffangstationen des JGI betreuen Pfleger rund 290 Gorillas und Schimpansen. 3,4 Millionen Hektar Lebensraum werden durch Erhaltungsmaßnahmen des JGI gesichert. Die Jugendorganisation "Roots and Shoots" betreibt derzeit knapp 6000 Projekte in nahezu 100 Ländern.