Als Krippen Teufelszeug waren

08.02.2008 | Stand 03.12.2020, 6:09 Uhr

Familienpolitik in der Redaktion: Philipp Philippson, Christel Ernst, Miriam Gruß und Siegfried Bauer (v. r.) erläuterten DK-Redakteur Christian Silvester die Konzepte und Forderungen der FDP. - Foto: Herbert

Ingolstadt (sic) Der Kleine hatte es gut. Oma und Opa betreuten den Dreieinhalbjährigen, während seine Mutter am Donnerstag in der DK-Redaktion Defizite bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erläuterte. Miriam Gruß, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, präzisierte im Kreise ihrer Ingolstädter Parteifreunde, OB-Kandidatin Christel Ernst, Landtagskandidat Philipp Philippson und Stadtratskandidat Siegfried Bauer, die Positionen der FDP: Das Angebot an Krippenplätzen müsse dringend weiter ausgebaut, die frühkindliche Bildung verbessert werden. Das oberste Ziel lautet: "Chancengleichheit für alle Familien."

Die 32-jährige Augsburgerin, die seit 2005 dem Bundestag angehört, kann die Schwierigkeiten vieler Mütter, Beruf und Familie in Einklang zu bringen, gut nachvollziehen, denn auch sie hatte damit so ihre Not. Ihr Ehemann ist selbstständig und blieb nach der Geburt des Sohnes so lang es ging daheim; eine Entscheidung, die ihm einige schräge Kommentare einbrachte. "Zum Glück sind dann meine Eltern in Pension gegangen." Jetzt macht die FDP-Politikerin mit dem "Modell Opa und Oma" beste Erfahrungen.

Aber Miriam Gruß weiß, dass nicht jede Familie Großeltern einspannen kann. Und sie gibt zu bedenken, dass viele Mütter nicht um der Karriere willen so schnell wie möglich in den Beruf zurückkehren wollen, sondern weil sie finanziell darauf angewiesen sind. Den Ausbau der Kinderkrippen wertet Gruß daher als zentrale Bedingung für Chancengleichheit.

Es habe lange gedauert, bis hier ein Bewusstseinswandel in Gang gekommen sei. "Noch bis vor wenigen Jahren galten in Bayern Kinderkrippen als Teufelszeug." Um so mehr müsse man nachholen. Sowas dauert. Die FDP-Politikerin hat die aktuellen Zahlen parat: In Augsburg, ihrer Heimatstadt, steht für 2,5 Prozent der Kinder bis drei Jahre ein Krippenplatz zur Verfügung. In Ingolstadt sind es derzeit 15 Prozent. 2010 sollen es 30 Prozent sein.

Ernst erinnerte stolz daran, dass in Ingolstadt Pionierarbeit geleistet worden ist: Schon vor 30 Jahren habe die Bürgerhilfe auf Betreiben der SPD-Stadträtin Genofeva Miedel die erste Krippe gegründet. "Das haben Frauen verschiedener Parteien durchgesetzt, was ihnen viel Ärger mit männlichen Kollegen eingebracht hat." Die Überzeugung, dass Kinder grundsätzlich bei der Mutter bleiben sollten, weil die ja eh immer daheim sei (wo sie hingehöre), teilten 1978 noch viele Herren.

Seither hat sich eine Menge geändert. "Frauen haben heute auch ein ganz anderes Selbstbewusstsein", betonte Siegfried Bauer. "Es gab noch nie so viele gut ausgebildete Frauen wie heute", ergänzte Christel Ernst.

Den Kurswechsel in der Familienpolitik (Gruß: "Das Thema hat die Frau von der Leyen großartig nach vorn gebracht") begleiten weitere Fragen: Woher das Personal für die neuen Krippen nehmen? Und was passiert nachher? Gruß befürchtet: "Wenn die Kinder in die Schule kommen, wird’s richtig schwierig." Bei diesem Stichwort versäumten es die Freidemokraten nicht anzumerken, dass die Ganztagsschule, die sich jetzt langsam durchsetzt, "eine uralte FDP-Forderung ist". Ebenso das achtstufige Gymnasium. Aber nur ein wohl durchdachtes, sagte Bauer, Studiendirektor für Mathematik und Physik, "nicht so eine Chaosveranstaltung, wie wir sie jetzt erleben".