Berlin
Als Berlin wieder Hauptstadt wurde

Vor 25 Jahre beschloss das Parlament den Umzug vom Rhein an die Spree

19.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:39 Uhr

Berlin (DK) Stunden wie diese, hat das Parlament nicht oft erlebt. Es war der 20. Juni 1991, an dem die Abgeordneten Geschichte schrieben, eine wegweisende Entscheidung fällten, das Richtige taten. Nicht oft, aber ab und an ist von einer "Sternstunde des Parlaments" die Rede. Dieser Tag im Bonner Wasserwerk, dem provisorischen Plenarsaal am Rheinufer hat dieses Prädikat zweifelsfrei verdient. Dabei baute der Bundestag gerade ein neues, gläsernes Parlament, hatte sich eigentlich auf eine Zukunft am Rhein eingestellt.

Zehn Stunden lang wird hart mit Worten gerungen. 105 Abgeordnete reden, 104 geben ihre Rede schließlich zu Protokoll. Um 21.48 Uhr gibt Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth das Ergebnis der Abstimmung über den Antrag "Vollendung der Einheit Deutschlands" bekannt: 337 Stimmen für Berlin, 320 für Bonn. "Das Ergebnis ist zu respektieren und bindet uns", mahnt die CDU-Frau. "Und jetzt wird gefeiert!", sagt sie noch. Jubel bei denen, die für den Umzug in die alte und neue Hauptstadt kämpften, Enttäuschung und Tränen bei denen, die dagegen waren. Alle Bemühungen im Vorfeld, einen Konsens zu finden, die umstrittene Entscheidung zu vermeiden, waren erfolglos geblieben.

Bis 2008 sollte es noch dauern, immerhin lange 17 Jahre nach dem Beschluss und neun Jahre nach dem Umzug, bis erstmals mehr Beamte und Mitarbeiter der Regierung an der Spree arbeiten sollten als am Rhein. 8930 zu 8732 - bis heute ist immer noch ein stattliches Heer an dienstbaren Geistern in Bonn für den Bund in den Ministerien tätig. 25 Jahre danach ist Berlin selbstverständlich die Hauptstadt und der Regierungssitz des lange vereinten Deutschlands.

Es waren vor allem zwei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten, mit verschiedenen Parteibüchern, die mit ihren Reden dafür sorgten, dass am Ende die historische Entscheidung knapp zugunsten Berlins ausging. Willy Brandt, der frühere Bundeskanzler, SPD-Chef und Regierende Bürgermeister von Berlin zu Zeiten des Mauerbaus, hatte mit ganzer Kraft dafür plädiert, dass jetzt zusammenwachsen sollte, was zusammengehört, Berlin auch wieder Hauptstadt wird. Am Ende sei es vor allem die leidenschaftliche Rede von Wolfgang Schäuble, dem Bundesinnenminister, gewesen, der wie Kanzler Helmut Kohl für den Umzug warb, die letztendlich den Ausschlag für Berlin gegeben habe, behaupten viele von denen, die damals ihre Stimmkarte in die Urnen geworfen haben. Dankbar und glücklich, wohl wissend um die Wirkung der Argumente des Christdemokraten aus dem Ländle, gratulierte Brandt am Ende Schäuble für dessen eindrucksvolle Worte.

Vierzig Jahre lang habe niemand daran Zweifel geäußert, dass nach einer Wiedervereinigung Berlin die Hauptstadt sein werde. Daher sei er überrascht gewesen, wie groß der Widerstand in der Stunde der Entscheidung gewesen sei, verriet Schäuble später als Minister an der Spree. Das "Symbol für Einheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für das ganze Deutschland" sei immer Berlin gewesen, "wie keine andere Stadt", erinnerte Schäuble die Volksvertreter an jenem 20. Juni 1991 an die historische Entwicklung von der Luftbrücke über den Arbeiteraufstand und dessen Niederschlagung am 17. Juni 1953 über den Mauerbau am 13. August 1961 schließlich bis zum 9. November 1989, dem Fall der Mauer, und dem Tag der Einheit am 3. Oktober 1990. Um die Teilung zu überwinden, müsse man zum Teilen bereit sein. Auch in den alten Bundesländern könne nicht alles so bleiben, wie es gewesen sei. "Ob wir wirklich ohne Berlin heute wiedervereinigt wären? Ich glaube es nicht" sagte er damals und bat schließlich: "Stimmen Sie mit mir für Berlin", beendet er seine Rede und erhält stehende Ovationen der Berlin-Befürwortern.

Gebannt hatten Hunderte Menschen auf dem Bonner Markplatz auf einer Großbildleinwand der Initiative "Ja zu Bonn" die Redeschlacht im Bundestag verfolgt. Am Ende herrschen Trauer und Wut. Der Kampf - Bonn gegen Berlin - ging quer durch die Fraktionen und Parteien. Norbert Blüm, Kanzler Helmut Kohls Arbeitsminister, gehörte zu denen, die den Umzug um jeden Preis verhindern, das Provisorium Bonn nicht aufgeben wollten. Er warnte vor der "Megastadt Berlin" und negativen Auswirkungen auf die Politik - vergeblich. Ein Schreckensbild von der unseligen Rückkehr in alte dunkle historische Zeiten wurde da an die Wand gemalt. Ein Negativszenario, welches nicht eingetreten ist, wie auch CDU-Politiker Blüm inzwischen eingeräumt hat. Doch in seinem Altbau in der Bonner Südstadt fühlt er sich immer noch mehr zu Hause als an der Spree.

Berlin sei "die richtige Hauptstadt" sah sich Wolfgang Schäuble bestätigt. Selbst wenn es an diesem 20. Juni 1991 anders ausgegangen wäre - der Beschluss hätte nicht lange Bestand gehabt, ist sich der CDU-Mann heute sicher. Der Betrieb von Regierung und Parlament in Berlin funktionierte schnell reibungslos. Das Modell des doppelten Amtssitzes der Ministerin sorgte wie die Ausgleichszahlungen in Milliardenhöhe dafür, dass der Wechsel von Regierung und Parlament die Stadt Bonn weniger hart traf als befürchtet und zunächst sogar mehr Regierungsbeamte weiter dort arbeiteten als in der Hauptstadt. Das Bonn-Berlin-Gesetz gilt bis heute und sorgt dafür, dass es bis auf Weiteres keinen Komplettumzug geben wird, wie er immer wieder gefordert wird.

Auch der SPD-Politiker und frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse betonte im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion die Notwenigkeit des Umzugs: "Nicht nur wegen des 50 Jahre gegebenen Versprechens, dass Berlin die wirkliche Hauptstadt Deutschlands ist. Das einzige Schwergewicht, das die Politik um des inneren Gleichgewichts im vereinten Deutschland Willen in den Osten verlagern konnte, war die Politik selbst. Alle anderen Schwerpunkte der Wirtschaft oder der Wissenschaft lagen ja im Westen oder Südwesten. Es ging um die Herstellung des inneren Gleichgewichts des Landes."

Der Rutschbahneffekt führte jedoch über die Jahre hinweg dazu, dass heute etwa zwei Drittel der Stellen in der Hauptstadt Berlin sind und nur noch ein Drittel in der Bundesstadt Bonn. Auch die Kosten für diese Art der doppelten Regierungsführung gehen zurück, werden für dieses Jahr noch auf 7,5 Millionen Euro geschätzt. Wolfgang Schäuble wird in diesem Jahr die Ehrenbürgerwürde Berlin verliehen - wegen seiner Verdienste für die Hauptstadt. Es gehe nicht, um Arbeitsplätze, Umzugs- und Reisekosten, nicht um Regional- und Strukturpolitik, hatte Schäuble vor 25 Jahren im Bundestag an die Parlamentarier appelliert: "Das alles ist zwar wichtig, aber in Wahrheit geht es um die Zukunft Deutschlands."