Ingolstadt
Alles, nur keine Luftnummer

Die Idee einer Seilbahn über Ingolstadt fasziniert aber es stellen sich noch viele Fragen

27.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:44 Uhr

Gondeln über der Themse in London: In vielen Metropolen auf der ganzen Welt gehören Seilbahnen zum Stadtbild. TH-Studenten und Kommunalpolitiker können sich dieses Verkehrsmittel auch gut in Ingolstadt vorstellen. Eine Seilbahn zum Audi-Werk sei "kein Problem", heißt es bei der Firma Doppelmayr. Die Weltmarktführer aus Vorarlberg haben unter anderem die Londoner Seilbahn gebaut. - Foto: Huang/Getty Images

Ingolstadt (DK) Rudi Wagner von der SPD hat schon vor einigen Jahren vorgeschlagen, mit einer Seilbahn, die in den ÖPNV eingebunden ist, den Süden der Stadt mit den Arbeitsstätten im Norden zu verbinden. Das viel beachtete Seilbahnkonzept von TH-Studenten hat die Idee wieder ins Gespräch gebracht.

n Der Seilbahnenthusiast: In Gedanken ist er bestimmt schon oft sanft durch die Luft geglitten: In Haunwöhr geht es hinan. Über ihm der Himmel, unter ihm seine Heimatstadt. Das Blau der Donau, das viele Grün in der Stadt und um sie herum. Majestätisch über den Baggersee schweben. Bis das Dach des Klinikums in Sicht kommt. Hier erhält die Gondel Einfahrt in eine Station. Wer mag, kann aussteigen. Oder die Luftfahrt fortsetzen. Über die hohen Wipfel auf dem Landesgartenschaugelände, das sich - so Gott will und die Planer es vermögen - bald romantisch zwischen das Güterverkehrszentrum und den Westpark schmiegen wird. Auf dem Dach des Einkaufszentrums der nächste Halt. Von dort geht es weiter über die endlosen Weiten des GVZ. Auch hier kann man aussteigen. Und dann das Audi-Werk. Endstation. Es ist Rudi Wagners großer Traum: eine Seilbahn für Ingolstadt.

Der Sozialdemokrat setzt sich seit Jahren leidenschaftlich dafür ein, dass der Traum Wirklichkeit wird. Eine Seilbahn, die den eher beschaulichen Süden mit dem industriellen Norden verbindet - also ein Direkttransfer zwischen Wohngebieten und Arbeitsplätzen -, wäre eine große Bereicherung für die Stadt, findet Wagner, sofern man die Gondeln gut in den Öffentlichen Personennahverkehr integriert. Die Überlegung sei entstanden, als ihm klar wurde, "dass eine vierte Donaubrücke im Westen wegen des FFH-Schutzgebiets nicht durchführbar ist", erzählt Wagner. "Wir brauchen eine verträgliche Lösung, damit die Leute, die im Süden wohnen und im Norden arbeiten, nicht alle durch die Innenstadt müssen!"

Es freut ihn sehr, dass das Seilbahnkonzept, das ein Studententeam der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) vor zwei Wochen präsentiert hat (DK berichtete), viel Wohlwollen findet und rege diskutiert wird. Die SPD-Fraktion hat beantragt, die Studenten und ihren Professor Harry Wagner (er lehrt Automotive and Mobility Management) in den Planungsausschuss einzuladen, damit sie dort ihr "revolutionäres Konzept" (so Achim Werner) vorstellen. Man spricht wieder über Wagners Traum. "Ich bin den Studenten dankbar, dass sie das Thema aufgegriffen haben." Das TH-Team will die Fahrgäste von der Saturn-Arena über die Stationen Schlosslände, Nordbahnhof und GVZ bis zum Audi-Werk und wieder zurück befördern. Der SPD-Verkehrsexperte favorisiert jedoch eine andere Route. Er denkt an eine Linie zwischen Haunwöhr, wo er sich einen großen Park-&-Ride-Parkplatz vorstellt, und Audi via Klinikum, Westpark und GVZ. Bis zu 5000 Passagiere pro Stunde könnten auf diesem Weg befördert werden, sagt er. Wagner steht in Kontakt mit der Firma Doppelmayr in Vorarlberg, dem weltweit führenden Hersteller von Seilbahnen. Die TH hat schon Bande zur Leitner AG in Sterzing (Südtirol) geknüpft, der Nummer zwei. Ingenieure beider Unternehmen schauen also bereits auf Ingolstadt.

Dass die Bürgergemeinschaft (BGI) Wagners Konzept jetzt aufgegriffen hat und in einem Antrag dem OB zur Prüfung ans Herz legt (DK berichtete), ärgert ihn nur ein bisschen. "Das ist schon abgekupfert. Aber es zeigt immerhin, dass mein Konzept offenbar gut ist", sagt Wagner. Er wohnt wie BGI-Stadtrat Georg Niedermeier in Friedrichsá †hofen. Dort entwickelt man, ob man will oder nicht, ein Gespür für die Verkehrsprobleme der Stadt. Dabei lässt sich trefflich über Wege aus der Misere sinnieren. Dass diese in manchem Gedankenstrom auch mal visionär hoch in die Lüfte führen, darf in dem geplagten Ort wirklich nicht überraschen.

 

n Die Seilbahnprofis: Der Weltmarktführer Doppelmayr aus Österreich hat rund um den Globus in Großstädten Seilbahnen gebaut: Barcelona, Rio de Janeiro, Harbin (China), Caracas, Singapur oder London (die Gondeln über der Themse) - die Liste bekannter Namen ist sehr lang. "Mit Seilbahnen assoziieren viele zunächst Skifahren und Schnee, dabei kommt sie eigentlich aus der Stadt", erzählt Ekkehard Assmann, der Leiter der Abteilung Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bei Doppelmayr. "Schon Mitte des 19. Jahrhunderts hat es etwa in Salzburg eine Seilbahn hinauf zur Festung Hohensalzburg gegeben." Ähnlich in Bozen. "Eine Seilbahn kann eine sehr gute Lösung sein. Sie bietet viele, viele Vorteile. Eine Seilbahn ist auch keine Konkurrenz zu Bussen oder U-Bahnen, sondern eine hervorragende Ergänzung, wenn man sie mit anderen Verkehrsmitteln verbindet. Aber sie kann nie das Allheilmittel für Städte mit Verkehrsproblemen sein", so Assmann. "Man muss sich immer die Situation vor Ort anschauen und dann entscheiden, welches das richtige System ist." Hat Doppelmayr schon Ingolstadt auf dem Schirm? Ja, sagt der Firmensprecher. "Wir haben jede Stadt mit Verkehrsproblemen auf dem Schirm." Eine Seilbahn zum Audi-Werk? "Das wäre gar kein Problem", betont Assmann. Und er merkt an: "Bei uns hat noch niemals ein Kunde eine Seilbahn wieder zurückgeben wollen. Alle funktionieren wirklich gut!"

 

n Die Stadtbaurätin: Renate Preßlein-Lehle gab den Impuls für das Projekt der TH, und das kam so: Schon im März vergangenen Jahres hatten Studenten von Prof. Wagner ein Seilbahnkonzept vorgestellt. Sie war bei der Präsentation dabei. Auf den Artikel im DK hin rief Christoph Bos, der Bundesbeauftragte für Seilbahnen, begeistert bei ihr an. Das brachte die Stadtbaurätin auf die Idee, erneut TH-Studenten ein Seilbahnkonzept ans Herz zu legen, diesmal ein detaillierteres. Denn darum gehe es in erster Linie: "Die Studenten in der Lehre zu unterstützen und nicht durch sie die Arbeit eines Planungsbüros zu ersetzen." Deshalb sei es "sehr gut und lehrreich für sie", dass die jungen Leute ihr Konzept demnächst Stadträten präsentieren werden.

Renate Preßlein-Lehle hofft, dass die Seilbahnpläne der TH nicht ins Visier der Politik geraten, von Parteien instrumentalisiert werden und dann möglicherweise Schaden nehmen. "So eine Idee muss man in Ruhe vertiefen!" Es dürfe auf keinen Fall die Erwartung entstehen, "dass in drei Wochen schon ein Plan für eine Seilbahn auf dem Tisch liegt". Deshalb will sie jetzt weder die Wagner-Linie noch die TH-Route bewerten. "Das Thema ist sehr komplex. Wir brauchen zuerst eine Analyse, die sachliche Antworten liefert: Für wen wäre eine Seilbahn attraktiv? Wo liegt das größtmögliche Fahrgastpotenzial? Und wer trägt welche Kosten im Verkehrsverbund"

Für die Stadtbaurätin stellen sich noch mehr Fragen: "Wieso nicht auch die Wohngebiete im Südosten oder Norden an die Seilbahn anbinden" Entstehen "gebrochene Verkehre", wie die Stadtplaner sagen? Dafür ein Beispiel: "Wenn ich nicht nah an einer Seilbahnstation wohne, sondern mit einem anderen Verkehrsmittel einen längeren Weg dorthin zurücklegen muss, überlege ich mir, ob ich nicht gleich die ganze Strecke mit dem Auto fahre."

Seilbahnkonzepte für Ingolstadt seien es auf jeden Fall wert, diskutiert und ernsthaft geprüft zu werden, sagt Renate Preßlein-Lehle. "Das ist ein wichtiger Schritt. In dieser Richtung sollte man weiterarbeiten."