Vohburg
Alexander hielt sich durch Laufen warm

Verirrter Fünfjähriger aus Vohburg-Dünzing überstand die Nacht im Wald nahezu unversehrt Riesige Suchaktion

10.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:59 Uhr
Wieder daheim: „Wenn ich groß bin, werde ich mal Superman“, sagt Alexander aus Dünzing, der eine ganze Nacht lang durch einen Wald geirrt war. Dass er starke Nerven mitbringt, hat der Fünfjährige – hier mit seinem jüngeren Bruder Marco – durch sein besonnenes Verhalten bewiesen, als er plötzlich allein mitten im Dürnbucher Forst stand. Er hielt sich durch Gehen warm und legte so einige Kilometer zurück. −Foto: Horst Richter

Vohburg (DK) Es waren 17 dramatische und nervenaufreibende Stunden. Doch sie fanden ein glückliches Ende. Der vom späten Freitagnachmittag bis zum Samstagmorgen vermisste fünfjährige Alexander aus dem Vohburger Ortsteil Dünzing ist wohlbehalten zurück bei seinen Eltern. Kurz nach 10 Uhr hatte die Ungewissheit für die Eltern des unternehmungslustigen Buben ein Ende gefunden. Das Kind war die ganze Nacht lang durch den Dürnbucher Forst bei Münchsmünster (Landkreis Pfaffenhofen) geirrt und am nächsten Vormittag auf einen Angler gestoßen, der es in seine Obhut nahm. Angehörigen, Freunden der Familie und zahllosen Helfern fiel ein Stein vom Herzen.

Es ist der Albtraum aller Eltern, was sich am Freitag gegen 17.15 Uhr in dem Waldstück zwischen Münchsmünster und Vohburg im Dreieck von B 16 und B 300 ereignete. Alexanders Mutter Kateryna Bayer war mit dem Buben, den sie Sascha nennt, und dessen 20 Monate alten Bruder spazieren gegangen, der ältere Sohn hatte sein Laufrad dabei. "Er ist hinter einer Kurve verschwunden, wo er sonst gern auf einem Baumstamm balanciert", erzählt die 29-Jährige. Als sie dort eintraf, war Alexander aber im Holz verschwunden, um einen Jägerstand zu erklimmen. "Ich habe ihn gerufen und mich um den Kleinen gekümmert, als der Sascha auf mich zugegangen ist", sagt die Frau. Doch der Fünfjährige machte erneut kehrt und war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. "Ich habe immer wieder gerufen und geschrien, aber er hat nicht geantwortet. Nur sein Laufrad ist dagelegen."

Langsam stieg Panik in der jungen Mutter auf, mit dem Auto fuhr sie den Waldweg ein ums andere Mal ab und rief durchs offene Fenster immer wieder Alexanders Namen - vergeblich. Gegen 18 Uhr beschloss die 29-Jährige, Hilfe zu holen, doch ihr Handyakku war leer. Sie fuhr zur Straße zurück und stoppte einen Verkehrsteilnehmer, um die Polizei zu alarmieren.

Es begann eine Suchaktion, wie sie die Region vielleicht noch nie gesehen hat. Hunderte Helfer rückten aus und durchkämmten über Stunden hinweg den Wald. Mitten drin die Eltern des Buben und die Großmutter Johanna Bayer. "Ich war fix und fertig", sagte die 58-Jährige gestern. Als es dunkel wurde, ging die Familie auf Wunsch der Polizei heim. "Ich glaube, sie haben Angst gehabt, dass wir uns auch noch verlaufen", sagte Vater Werner Bayer. An Schlaf war natürlich nicht zu denken. Einziger Trost blieb die Gewissheit, dass der vermisste Sohn eine Winterjacke trug und in der sieben Grad kalten Nacht einigermaßen angemessen bekleidet war. "Sonst ziehen sie mich immer auf, weil ich die Kinder zu warm anziehe, aber jetzt waren wir alle froh darum", sagte die Mutter.

Rund 350 Einsatzkräfte der Feuerwehren, des THW, der Rettungsdienste und der Polizei suchten das Waldgebiet und dessen Umfeld ab. Drei Polizeihubschrauber von Bundes- und Landespolizei sowie mehrere Suchhundestaffeln waren unterwegs. Die nahe liegende B 16 blieb zur Sicherheit für den Fahrverkehr gesperrt, und auch auf der vorbeiführenden Bahnstrecke kam es zu einer Einschränkung des Fahrbetriebs.

Polizeisprecher Peter Grießer vom Präsidium in Ingolstadt sagte, dass die mit Wärmebildkameras ausgerüsteten Polizeihubschrauber große Teile des Dürnbucher Forsts abgesucht hätten, jedoch hätten die Sensoren wegen der sehr dichten und großen Baumkronen kaum den Boden erreicht und deshalb das Kind auf diese Weise nicht finden können. Und weil es bis zum Eintreffen großer Teile der Hilfskräfte schon dunkel geworden sei, hätten es die überwiegend ehrenamtlichen Helfer der verschiedenen Hilfsorganisationen wie Feuerwehren, Rotes Kreuz und THW auch nicht leicht gehabt, denn sie mussten wegen der Dunkelheit in sehr geringen Abständen den Wald durchstreifen, um nichts zu übersehen. Den aufopferungsvoll Suchenden sei erst gegen 3 Uhr eine Pause vergönnt gewesen. Als es dann am Samstag hell wurde, waren zudem zahlreiche Privatleute hinzugekommen, um zu helfen.

Alexander hatte derweil schnell gemerkt, dass Mutter und Bruder verschwunden waren. Er hatte Verstecken spielen wollen, erzählte er später. Doch plötzlich stand er allein im Forst. Als die Dunkelheit hereinbrach, war es dem Buben zwar mulmig, aber er blieb erstaunlich gelassen. Was hatte der Vater ihm immer geraten, wenn es Probleme zu bewältigen gab? "Du musst dich konzentrieren, dann geht alles besser." Das tat der Fünfjährige, wie er seinem Papa später erzählte. Und noch ein Ratschlag war hängen geblieben: Wenn es einem kalt ist, muss man sich bewegen. "Das habe ich ihm einmal erklärt, als es ihn gefroren hat", sagte der 38-Jährige. Also legte sich Alexander hin, wenn er müde war, stand aber wieder auf, um weiterzugehen, sobald es ihm kalt wurde. So legte er mindestens drei Kilometer zurück, bis es Tag wurde und er an einen See kam. Irgendwann dazwischen muss er im Dunkeln die B 300 überquert haben, zum Glück, ohne dass ein Auto ihn erfasste.

Als er an dem Gewässer einen Angler sah, ging er auf ihn zu. "Das haben wir ihm eingebläut: Wenn du dich mal verläufst, sprich jemanden an und sage deinen Namen und wo du wohnst", erklärten seine Eltern gestern. Der Hobbyfischer kümmerte sich sofort um das Kind und brachte es zu den Helfern an der B 16. Überall herrschte große Erleichterung. Vohburgs Bürgermeister Martin Schmid war "jede Sekunde dabei", bei der, wie er sagt, "größten Hilfsmaßnahme, die die Stadt Vohburg je erlebt hat". Schmid, der selber 37 Jahre bei der Polizei war, gibt zu, dass er "mit dem Schlimmsten gerechnet" habe, als der Fünfjährige nach mehreren Stunden noch nicht gefunden war, zumal es in den frühen Morgenstunden empfindlich kalt geworden war.

Die Eltern erfuhren gegen 10 Uhr vom glücklichen Ausgang. "Uns allen ist nicht nur ein Stein vom Herzen gefallen", sagte die Familie. Alexander musste zwar zur Beobachtung in die Neuburger Kinderklinik, hatte aber nur eine leichte Unterkühlung davongetragen. Wieder daheim, musste der Bub erst einmal seiner Empörung Luft machen. Die Polizei hatte seine Zahnbürste, seine Lieblingsschuhe und noch etliche Kleidungsstücke mitgenommen, um genug Riechproben für die Spürhunde zu haben. "Das", so findet Alexander, "ist richtig gemein!"