Ingolstadt
Acht Jahre Haft für sexuelle Übergriffe

Jugendkammer folgt im Missbrauchsprozess den Anschuldigungen des heute 15-jährigen Opfers - Schmerzensgeld festgelegt

17.02.2021 | Stand 23.09.2023, 5:06 Uhr
Hinter den Mauern des Landgerichts, das hat dieser Missbrauchsprozess gezeigt, geht es auch immer wieder mal sehr emotional zu. −Foto: Archiv

Ingolstadt - Mit acht Jahren Haft soll ein 46-jähriger Ingenieur, der zuletzt im Landkreis Dachau gelebt hat, für mehrfache sexuelle Übergriffe auf seine damals noch kindliche Stieftochter büßen, mit der er einst in einer Patchworkfamilie im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen zusammen gewohnt hat.

Zu diesem (noch nicht rechtskräftigen) Urteil ist die 1.Jugendkammer des Ingolstädter Landgerichts am Mittwoch gekommen.

Die Staatsanwaltschaft hatte acht Jahre und zehn Monate Gefängnis gefordert, die Verteidigerin des Mannes, der die Vorwürfe bis zuletzt bestritten hat, hingegen einen Freispruch. Das Gericht folgte allerdings wie die Staatsanwaltschaft den Angaben des heute 15-jährigen Mädchens, dem von einer Gutachterin Glaubwürdigkeit bescheinigt worden war (DK berichtete).

Im Urteil ist auch eine Schmerzensgeldzahlung des Angeklagten an die Familie der Jugendlichen in Höhe von 21000 Euro festgeschrieben. Eine solche finanzielle "Abgeltung" bereits im Strafverfahren war möglich geworden, weil die Kammer eine Adhäsionsklage des als Nebenklägerin auftretenden Opfers zugelassen hatte. Somit wird, sollte das Urteil Rechtskraft erlangen, kein zusätzliches Zivilverfahren um finanzielle Wiedergutmachung mehr nötig sein.

Der Angeklagte nahm den Richterspruch zunächst gefasst auf, kämpfte aber während der Begründung durch Vorsitzenden Gerhard Reicherl doch mit den Tränen. Seine heutige Lebensgefährtin, die ebenso wie seine Eltern den mehrtägigen Prozess verfolgt hatte, verließ den Gerichtssaal schluchzend.

Verteidigerin Marion Reisenhofer, die hoch engagiert ein teils emotional vorgetragenes Plädoyer gehalten hatte, kündigte umgehend einen Revisionsantrag an. Bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), der das Urteil jedoch nur auf etwaige Verfahrensfehler und auf korrekte Rechtsanwendung prüft, dürften aber etliche Monate vergehen, in denen der Mann auf jeden Fall in Untersuchungshaft bleiben muss.

Es war ein Prozess, der die Tragweite von sexuellen Verfehlungen, aber auch allein schon von Anschuldigungen in diese Richtung überaus deutlich gemacht hat. Gerhard Reicherl begann seine Urteilsbegründung deshalb auch mit einer grundlegenden Feststellung: "Dieses Verfahren hat eine Sprengkraft in jegliche Richtung, die ihresgleichen sucht. " Dies sei der Kammer angesichts der klassischen Situation von Aussage gegen Aussage von Beginn an und bei jedem Schritt der Beweiswürdigung bewusst gewesen. Dennoch hätten für das Gericht schlussendlich "überhaupt keine Zweifel" an der Täterschaft des Angeklagten bestanden. Reicherl: "Es ist aus unserer Sicht ein glasklarer Fall. "

Die Kammer folgte somit eindeutig dem positiven Glaubwürdigkeitsgutachten einer nach Auffassung des Gerichts erfahrenen und für ihre ausgewogenen Beurteilungen bekannten Psychologin. Wie berichtet, hatte die Verteidigung hier erhebliche Bedenken angemeldet, die auch im Schlussvortrag wiederholt wurden. Rechtsanwältin Reisenhofer appellierte hiernach gerade an das Verantwortungsbewusstsein der Kammer, sich in einem Verfahren, bei dem "mit einer Dampfwalze durch dass Leben aller Beteiligten" gefahren worden sei, nicht nur die Anschuldigungen einer Seite eingehen zu lassen. Es seien vielmehr "viele vernünftige Zweifel angebracht", ob die Vorwürfe des Opfers nicht eben doch nur dazu gedient hätten, den nach zahlreichen Streitereien in der Familie längst unbequem gewordenen Stiefvater loszuwerden.

Staatsanwalt Sebastian Metz hatte zuvor in seinem rund eineinhalbstündigen Plädoyer empirisch und geradezu lehrbuchhaft aufgezeigt, wie er sich in dieser Beweisaufnahme Schritt für Schritt vom Wahrheitsgehalt der Anklagepunkte überzeugt hatte. Wichtig war ihm, dass es in allen Aussagen des Mädchens zu den intimen Fummeleien und zu der schlussendlichen versuchten Vergewaltigung im Kinderzimmer nie einen erkennbaren Belastungseifer gegeben hatte. Metz: "Es gibt keine Übertreibungen, obwohl sie möglich waren. " Folglich sei auch nichts konstruiert worden.

Die Kammer kam in allen wesentlichen Punkten zu denselben Schlussfolgerungen wie der Ankläger. Der Schuldspruch lautet auf mehrfachen sexuellen Missbrauch, in einigen Fällen auch von besonders schwerer Natur, einmal verbunden mit einer (wenn auch nicht vollendeten) Vergewaltigung, was allein schon zu einer Einzelstrafe von fünf Jahren und neun Monaten geführt hat. Das alles vor dem Hintergrund, dass sämtliche Handlungen als Missbrauch von Schutzbefohlenen zu werten waren, weil sie sich im familiären Umfeld abgespielt haben, wo das Kind auf Geborgenheit und Schutz habe vertrauen dürfen.

DK

Bernd Heimerl