Abenteuer Orgelspiel

Edgar Krapps Konzert in Ingolstadt

10.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:47 Uhr

Ingolstadt - Die gerade Trennlinie zwischen katholischer und evangelischer Sakralmusik wurde bei diesem Starauftritt im Liebfrauenmünster zur ineinander verzahnten Zackenreihe.

Am Sonntagabend gastierte einer der wichtigsten deutschen Organisten mit einem für die evangelische Thomaskirche Leipzig und für die norddeutsche Barockpflege typischen Programm an der 2016 eingeweihten Bach-Orgel im Liebfrauenmünster. Der Bayerische Rundfunk/BR Klassik nahm das Konzert von Edgar Krapp auf und wird es zu einem späteren Zeitpunkt senden. Krapp spielte Werke von Bachs Vorbild Dieterich Buxtehude, Bachs wichtigem Schüler Johann Ludwig Krebs und des Thomaskantors selbst, dessen hochdramatische Kompositionsstrategien erst von historisch informierten Musikergruppierungen in angemessener Kontrastschärfe reaktiviert wurden.

Es steckt schon viel von der Drohung eines Jüngsten Gerichts in den wilden und aggressiven Einleitungsakkorden der berühmten d-moll-Toccata BWV 556. Der im thüringischen Mühlhausen entstandene Geniestreich des 21-jährigen Bach wird im Liebfrauenmünster zur Sinfonie in der Tageszeit des abnehmenden Lichts. Dieses dunkelt hinter den Spitzbogen-Fenstern ins sanfte Himmelblau ein, indes Hans Mielichs Renaissance-Altar korngolden aufstrahlt. Die Fuge danach wirkt an diesem Ort wie ein Sprint der sehnsuchtsdürstigen Seelen Richtung Erlösung. Hier gerät Bachs Musik weitaus illustrativer als das figurative Spiel mit Satztechniken bei Krebs und Buxtehude.

Krapp, ehemaliger Regensburger Domspatz, gesuchter Uraufführungssolist, Juror und Direktoriumsmitglied der Neuen Bachgesellschaft Leipzig, ist über jenen Punkt dogmatischer Deutung hinaus, an dem es eine Trennung von musikalischer Haltung nach Konfessionen geht.

Er zieht viele der 45 Register der Bach-Orgel oder lässt sie ziehen. Zugleich lässt er keinen Zweifel daran, dass für ihn Bach die Krone der in diesem Konzert erklingenden Kompositionen ist. Die Strukturen der Stücke werden deutlich. Das lässt sich allerdings auch als Kommentar verstehen. Krebs' Präludium und Fuge C-Dur ist einerseits ein bisschen laut, an anderer Stelle etwas knochig. Buxtehudes Te Deum laudamus (BuxWV 218) rutscht ab und an in einen meisterhaft ausladenden, aber auch etwas leeren Pomp. So erklärt sich bald, dass Krapp wenig mit einer schlichten Konzert-Reihung im Sinn hat. Sein Ingolstädter Konzert ist auch ein Erzählen über Haltungen und Stile, bei dem er eine dezidierte und keineswegs dienende Haltung zeigt. Dieses Erzählen wird zu einem Report von mannigfaltigen Möglichkeiten des Instruments.

Krapp geht bei der Polyphonie in die Vollen. An diesem Ort dominiert - gar nicht altersweise - der volle Klang, nicht das Verstehen des Wanderns von Motiven oder Choralmelodien durch die verschiedenen Stimmen und Register-Kontraste. Beinahe bleibt der üppig aufbrandende Beifall am Ende im Vergleich zu den entfesselten Tonstürmen etwas schütter. Das ist eine Konsequenz aus der Musizierhaltung. Hier ist der Interpret weniger Diener als mitgerissener Anhänger, der darüber die Lust am Experiment nicht verloren hat. Orgelspiel als lebenslanges Abenteuer.

DK/Foto: Orgeltage Ingolstadt