Bayreuth
"A weng göttlich": Der Werkstatt-Macher

Wolfgang Wagner wäre heuer 100 Jahre alt geworden - eine Sonderausstellung bietet spannende Einblicke

06.08.2019 | Stand 02.12.2020, 13:20 Uhr
Er prägte die Bayreuther Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg maßgebend: Wolfgang Wagner wäre in diesem Jahr 100 Jahre als geworden. −Foto: Strelow/Nationalarchiv Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth

Von Barbara Angerer-WinterstetterBayreuth (DK) Derzeit richtet sich der Fokus noch voll aufs Bayreuther Festspielgeschehen.

Nach dem 28. August aber wird es wieder still auf dem Grünen Hügel. Praktischerweise fiel Wolfgang Wagners Geburtstag auf den 30. August. Vorher hätte sich der omnipräsente Festspielleiter nämlich keine Sekunde für persönliches Innehalten und Feiern gegönnt. Am 30. August 2019 wäre der mit 57 Festspieljahren dienstälteste Intendant 100 Jahre alt geworden. Passend zum Jubiläumstermin hat das Richard Wagner Museum Bayreuth die Sonderausstellung "Der Prinzipal. Wolfgang Wagner und die ,Werkstatt Bayreuth'" herausgebracht.

Dort, wo Wagners "Wähnen Frieden fand", im und um das einstige Wohnhaus Wahnfried mit seinen diversen Seitengebäuden und Museums-Neubauten, hat sich für den Wagner-Fan - Einsteiger wie Profi - ein echtes Zentrum installiert. Eines der intellektuellen wie sinnlichen Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners, dem Festspielgeschehen und der Festspielgeschichte an einem (trotz immer wieder dunkler Vorgeschichte) heiteren Ort. Im herrlichen Café kann man, aufs Herzlichste umsorgt, sitzen und genießen, sitzen und lesen, sitzen und über Wagner und aktuelle Inszenierungen diskutieren. Tagsüber oder in der neuen Champagner-Abendbar, in die nach der Vorstellung gerne Künstler kommen. Von hier aus geht man auch mal ans Wagner-Grab, das idyllisch hinterm Haus am Übergang zum Hofgarten liegt. Nicht nur, wenn das "Grabsingen" des Festspielchores alljährlich am ersten Festspieltag würdiger eröffnet als das Promi-Schaulaufen auf dem Grünen Hügel. Kurz: Wahnfried ist (wieder) ein magischer Ort. Einer, der sich auch erleben lässt, wenn man gerade keine Karte für die Vorstellungen im Festspielhaus besitzt.

Den Sonderausstellungen, die das Team um Museumsleiter Sven Friedrich hier konzipiert, eilt der Ruf voraus, anspruchsvoll und zugleich ansprechend aufbereitet Festspielgeschichte lebendig werden zu lassen. So auch die aktuelle Sonderausstellung zum 100. Geburtstag Wolfgang Wagners. Es sei, meint Sven Friedrich bei einem Pressetermin, für ihn nicht leicht gewesen, diese Schau zu konzipieren - habe er doch Wolfgang selbst 15 Jahre aus großer Nähe erlebt und deshalb noch keine historisch objektivierende Distanz. Was also zeigen? Wolfgang Wagners Frotteejacke? Seine Brille? "Dass er ein komischer Kautz sein konnte, wissen wir", schmunzelt Friedrich, "auch, dass er sein Privatleben abgeschirmt hat. " Wagner habe gern im Garten gearbeitet, gut gekocht und sei viel gewandert. Soweit, so normal. Thema für eine erste Betrachtung seiner Lebensleistung sei vielmehr seine Omnipräsenz im Festspielhaus, in dem er unglaubliche 1700 Festspielaufführungen erlebt habe. Bewusst nur am Rande gestreift werden familiäre Konflikte und Details der Nachfolgediskussion.

In einer Art "Zeittunnel" begegnet man so der Biografie Wolfgang Wagners: Geht man geradeaus, folgt man chronologisch wichtigen Lebens- und Wirkens-Stationen, die durch originale Videos atmosphärisch ergänzt werden. Wendet man den Blick, findet man sich in einem hoch spannenden Panorama deutscher Geschichte und wichtiger Schlüsselereignisse wieder, gekrönt von den jeweiligen (Wahl-)Plakaten deutscher Politiker. Adenauers "Keine Experimente" findet sich hier ebenso wie Kohls "Dieser Kanzler sorgt für Vertrauen" und "Ein neuer Anfang" mit der jungen Angela Merkel. Das alles ist sehr anschaulich gemacht - und verortet die Biografie Wolfgang Wagners in der Zeitgeschichte, "deren Spiegel die Festspiele und ihr Umgang mit Werk und Person Richard Wagners immer waren".
So erlebt man Wolfgang als Kind, der als Zweitgeborener das Glück hatte, sich im Hintergrund halten zu können. Ging doch Adolf Hitler als enger Freund der Mutter in Wahnfried ein und aus. Anders als der Bruder aber absolvierte Wolfgang klaglos Arbeits- und Wehrdienst und wurde bereits 1939 im Polenfeldzug schwer verwundet, was eine Musiker-Karriere ausschloss. So kam es ab 1940 zur theaterpraktischen Ausbildung an der Berliner Staatsoper beim Ziehvater Heinz Tietjen. Interessant, da erstmals in der Sonderausstellung zu sehen: Wolfgangs Album seiner ersten eigenen Inszenierung in Berlin, wo er seines Vaters Siegfrieds Oper "Bruder Lustig" auf die Bühne brachte, die im Kriegsjahr 1944 in "Andreasnacht" umgetauft worden war. Wenige Tage vor der Zerstörung Wahnfrieds durch eine Bombe am 5. April 1945 rettete Wolfgang übrigens das Archiv mit Wagners Handschriften, seine Bibilio-thek und zahlreicher Kunstwerke vor der Vernichtung.

Während Bruder Wieland mit dem abstrahierenden "Neu Bayreuther Stil" ab 1951 die nötige ästhetische Erneuerung brachte, waren Wolfgangs Aufgaben zuerst kaufmännischer wie administrativer Art. Deshalb konzentriert sich die Schau auch auf Wolfgangs große Zeit als Begründer der "Werkstatt Bayreuth", die nach Wielands Tod ab 1966 einsetzte. "Richard Wagners Werk muss immer wieder von unserer Gegenwart aus gefordert und gemessen werden. Es muss uns unmittelbar betreffen", beschrieb der Festspielleiter selbst seinen Werkstatt-Gedanken. Vor allem die ersten Inszenierungen auswärtiger Regisseure im Festspielhaus werden sehr greifbar gezeigt: Etwa der Skandal um die hoch politische "Tannhäuser"-Inszenierung des damaligen DDR-Regisseurs Götz Friedrich. "Ärger hin, Ärger her. Die Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners musste in Bayreuth unbedingt in einer solchen Form erfolgen", sagte Wolfgang nach der Premiere 1972. Solcherlei Zitaten begegnet man häufiger. Sie zeugen davon, wie der Festspielleiter (trotz gelegentlich eigener Irritation) hinter den wegweisenden Verpflichtungen von Regisseuren bis hin zu Harry Kupfer und Christoph Schlingensief stand, die innovative wie kontroverse Interpretationen auf den Grünen Hügel brachten.

Besonders bewegend in diesem Zusammenhang: Fotografien, die Wolfgang Wagner bei den Proben zu Patrice Chéreaus "Jahrhundert"-Ring 1976 zeigen. Immer mitten drin, im "Siegfried" selbst Bühnen-Bäume schleppend, Chéreaus starke und so überaus natürliche Gestik nachempfindend, gelöst und sichtlich begeistert. Eben jene völlig unbekannten Fotografien von Stefan Moses sind eine kleine Sensation der aktuellen Ausstellung. Hatte Moses doch Wolfgang Wagner über Jahrzehnte begleitet, nicht nur bei Proben und öffentlichen Auftritten, sondern auch in seinem Büro oder im Wald. Es sind Bilder, die neue Facetten zeigen. Nachdenkliche Momente ebenso wie überschäumenden fränkischen Humor und deutliche Anzeichen von Verärgerung.

Auch Wolfgang Wagners eigene Regiearbeiten werden gewürdigt. Wer im Video verfolgt, wie Wolfgang den Lehrbubentanz seiner "Meistersinger"-Inszenierung als biederen Hopser probt, wird in der Sonderschau auch daran erinnert, dass die Werkstatt Bayreuth nur durch die Balance der ästhetischen Gegenpole stabil bleiben konnte. Somit gelingt ein durchaus kritischer, aber niemals abwertender Blick auf Wolfgangs eigene eher konservative Regiearbeiten. Freilich darf auch mal geschmunzelt werden - etwa über Wolfgangs Antwort auf die Frage des Wotan-Darstellers Theo Adam von 1960, wie er denn seine Rolle anzulegen habe: "A weng göttlich". Nicht zuletzt lenkt die Schau den Blick auf Originalkostüme und Bühnenbildmodelle aus der langen Festspielleiter-Ära Wolfgang Wagners (bis 2008), die so manche Wiederentdeckung garantieren. Etwa Günther Ueckers moderne Nagel-Schwan-Plastik für den Bayreuther "Lohengrin" 1979-82.

So ist die Sonderausstellung des Richard-Wagner-Museums Bayreuth angenehmerweise keine Huldigung geworden, sondern eine interessante Auseinandersetzung und Annäherung an die Bayreuther-Ära Wolfgang Wagner.

Die Ausstellung "Der Prinzipal. Wolfgang Wagner und die ?Werkstatt Bayreuth'" ist bis zum 3. November 2019 zu sehen - im August täglich von 10 bis 18 Uhr (www. wagnermuseum. de). Das Café Wahnfried ist im August täglich ab 10 Uhr geöffnet, die Champagner-Abendbar an Aufführungstagen der Festspiele ab 18 Uhr bis ca. Mitternacht.