Neuburg
Altes loslassen, Neues zulassen

Christel Rietze, die Grande Dame der Neuburger Kunstszene, zeigt ihre Ausstellung "Zurück nach vorn"

18.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:17 Uhr

Kraft und viel Lebensfreude sprechen aus den jüngsten Arbeiten der Christel Rietze. Bezeichnend auch, dass sich die Werkschau ganz auf Bilder der vergangenen Jahre konzentriert. - Foto: Heumann

Neuburg (DK) Mehrfach muss bei der Ausstellungseröffnung der Philosoph Heraklit mit seinem „Panta rhei“ herhalten. Jenes Ständig-im-Fluss-sein trifft auf jedes der gezeigten Bilder im Rathausfletz zu. Hier ist der Grande Dame der Neuburger Kunstszene, Christel Rietze, eine Einzelausstellung gewidmet.

Hausherr Bernhard Gmehling erwähnt lediglich den anstehenden runden Geburtstag ohne Zahlenangabe. Doch wer als Achtzigjährige so ein Kreativbündel an Schaffenskraft ist, wer als Altersweisheit oder auch Alterssturheit allein gelten lässt, sich und sein Tun ständig zu hinterfragen, mag jedem Jüngeren Vorbild sein: So wäre man selbst gern – womöglich auch schon mit ein paar Jährchen weniger auf dem Buckel. „Zurück nach vorn“ hat Christel Rietze selbst ihre Ausstellung betitelt. Das „Zurück“ bedeutet in der Summe vieler Lebensjahre auch Schmerz, Verlust – und keine Frage, der gleich am Anfang des sehr schönen Ausstellungskatalogs begegnende „Bergsteiger“ ist Christel Rietzes Mann, den sie intensiv auch durch schwere Krankheit bis zum unweigerlichen Loslassen-Müssen begleitet hat. In dem Bild „Ludwig“ dann treffen sich konzentrierteste Intimität und durchdrungenster künstlerischer Ausdruck. Der die Malerin seit Jahren schon als künstlerischer Mentor und Lehrer begleitende Christoph Kern beschreibt im Katalog trefflich diesen Vorgang: „Ob es die schmerzhaften Erfahrungen eigener Körperlichkeit waren oder der langsame Vergehensprozess geliebter Personen, nicht das Narrative dominiert, erst das Ringen um die Form führt zum adäquaten Bild innerer Empfindungszustände.“

Insofern, so Dieter Distl bei der Vernissage am Sonntag, stellt sich die Frage nach der Professionalität des Schaffens bei Christel Rietze schon lange nicht mehr. In allen Genres zu Hause, suche sie und ringe um eine Auseinandersetzung mit der Malerei. Nie habe sie sich in einen Elfenbeinturm zurückgezogen, in all den Jahren sei Christel Rietze interessiert und impulsiv geblieben, ihre Bilder bergen immer wieder Überraschungen. Bezeichnend auch, dass sich die Werkschau auf Arbeiten der letzten drei, vier Jahre beschränkt, die Retrospektive als solche ist dem Katalog vorbehalten.

Die auch schmerzende Erinnerung an das „Zurück“ bleibt, doch das Streben richtet sich „nach vorn“, so die zweite Hälfte des Ausstellungstitels. In den jüngsten Arbeiten begegnen wieder Menschen, Malerkolleginnen, die Enkelkinder beim Spielen. Und wenn man dann auf der Vernissage eines der familiären Bildmotive jetzt schmissig gefühlvoll die Flöte spielen erlebt, ist schon wieder ein Schritt neu getan aus einem Kreis, der sich gerade erst zu schließen schien. Jenes mehrfach an diesem Vormittag zitierte „Alles fließt“ hat Christel Rietze für sich und ihr Schaffen trefflich so übersetzt: „Altes loslassen. Neues zulassen.“

Die Ausstellung ist bis zum 14. Juni in der Städtischen Galerie im Rathausfletz zu sehen.