Schrobenhausen
"Früher war es zwar nicht leichter, aber schöner"

20 Jahre nach seinem letzten Bundesligaspiel: Winfried Buchhart spricht über sich und das Schiedsrichterwesen ganz allgemein

21.02.2020 | Stand 02.12.2020, 11:54 Uhr
Damals: Winfried Buchhart als energischer Schiedsrichter auch in den unteren Spielklassen mittendrin im Geschehen. −Foto: M. Schalk

Schrobenhausen - Exakt zwei Jahrzehnte ist's mittlerweile her, dass Winfried Buchhart seine Pfeife an den Nagel hängte und seine Karriere als Bundesligaschiedsrichter beendete.

Aber komplett weg vom Fußball ist der Schrobenhausener natürlich trotzdem nicht, gerade auf die Unparteiischen schaut der 61-Jährige immer noch besonders genau - vor allem jetzt, in einer Zeit, in der die Referees wieder besonders im Fokus stehen. Folgerichtig gibt es viel mit ihm zu reden.

Herr Buchhart, Hand aufs Herz: Sind Sie froh, dass sie in diesen wilden Zeiten mit Videobeweis nicht mehr als Bundesligaschiedsrichter fungieren?
Buchhart: Definitiv ja. Früher war es für Unparteiische zwar nicht unbedingt leichter, aber doch schöner - woran der "Video Assistant Referee" (VAR) nun tatsächlich einen Riesenanteil hat. Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass er eine große Erleichterung für die Schiedsrichter darstellen könnte - aber nur, wenn er bei wirklich klaren Fehlentscheidungen zum Einsatz kommt, wie es ursprünglich auch geplant gewesen war. Bloß in Deutschland wird leider alles zu genau genommen, selbst Kleinigkeiten werden überprüft - womit die Dramatik auf den Bundesligaplätzen immer mehr zunimmt. Und wenn sich das nicht mehr ändern sollte, bin ich mir auch nicht mehr sicher, ob der VAR die Unparteiischen wirklich schützt - was allerdings sehr schade wäre.

Sie leiteten ihr letztes Bundesligamatch ja vor rund 20 Jahren, im Winter 1999/2000 zwischen Hertha BSC und dem SSV Ulm 1846 im Berliner Olympiastadion. Was vermissen Sie aus jener Zeit am meisten?
Buchhart: Ganz klar das Einlaufen in die Stadien. Das Rausgehen aus den Katakomben in die fast immer prall gefüllten Stadien - das ist ein unbeschreibliches Gefühl, das pusht einen ungemein. Aber sonst? Auf alles andere kann ich ganz gut verzichten - zumal ich jetzt die anstrengenden Konditionstests für meine DFB-Schiedsrichterkarriere nicht mehr zu machen brauche (lacht).

Gab's damals eine Lieblingsarena für Sie?
Buchhart: Zugegeben, im alten Gelsenkirchener Parkstadion war ich schon immer wieder gerne. Da war dank der Fans stets die Hölle los. Und dass ich im Mai 2005 das allererste Fußballspiel, das jemals in der Münchener Allianz-Arena ausgetragen wurde, leiten durfte, werde ich ebenfalls nie vergessen. Dieser historische Moment des allerersten offiziellen Pfiffs in diesem Stadion wird immer mit mir in Verbindung gebracht - das macht mich schon außerordentlich stolz.

Sie galten damals als echter Typ unter den Bundesligaschiedsrichtern. Gibt es solche auch jetzt noch?
Buchhart: Auf jeden Fall, schauen Sie nur auf Deniz Aytekin oder Manuel Gräfe. Aber man kann schon den Eindruck bekommen, dass es weniger werden. Beziehungsweise, dass sie nicht mehr so gewollt sind wie früher noch.

Früher wirkten die Unparteiischen wie Sie auf jeden Fall kommunikativer, redeten mehr mit den Spielern beziehungsweise Trainern. . .
Buchhart: Und ich bin absolut der Meinung, dass das elementar wichtig ist, um ein Fußballspiel gut zu leiten. Aber andererseits gab es damals bei mir noch keine Richtmikrofone rund um den Platz, die jedes Wort von Dir gnadenlos aufnehmen. Zu meiner Zeit in der Bundesliga konnte man als Schiedsrichter noch extrem deutliche Ansagen machen, ohne dass es Dir anschließend von allen Seiten um die Ohren gehauen wurde. Jetzt dagegen musst Du auf alles peinlich genau aufpassen. Und das macht die Sache nicht gerade leichter.

Sie leiteten insgesamt 60 Erstligapartien, 49-mal kamen Sie als Referee in der 2. Bundesliga zum Einsatz. Ärgert es Sie mittlerweile ein bisschen, dass es nicht mehr wurden?
Buchhart: Zunächst mal bin ich selbst daran schuld, denn ich trat in der Winterpause 1999/2000 ja freiwillig zurück. Aber was wäre jetzt, wenn ich zehn oder zwanzig Bundesligaspiele mehr auf dem Konto hätte? Gar nichts. Wie hatte ein guter Freund schon damals völlig richtig zu mir gesagt: "Ob Du nun zehn- oder zwölfmal in Leverkusen pfeifst, Deine Karriere wird dies nicht groß beeinflussen. Wichtig ist, dass Du überhaupt im deutschen Oberhaus ran durftest. "

Weshalb eigentlich hörten Sie vor 20 Jahren auf - noch dazu, zumindest aus Sicht der Öffentlichkeit, quasi von einem Tag auf den anderen?
Buchhart: Sie können sich sicher sein, dass dieser Schritt sehr wohl von mir überlegt war. Aus dem Traum, in der 1. Bundesliga tätig zu sein, war für mich immer mehr eine Riesenbelastung geworden, die kaum noch Spaß machte. Sie dürfen glauben: Dreimal pro Woche damals noch auf der Schrobenhausener Aschenbahn trainieren zu müssen, um die regelmäßigen DFB-Leistungstests zu bestehen, das war nicht mehr wirklich charmant - gerade für jemanden wie mich, für den das Leben keinesfalls nur aus Fußball besteht.

Und diesen Schritt, Schluss zu machen, haben Sie bis zum heutigen Tag nicht bereut?
Buchhart: Nein, zumal mich die Leute immer noch aufgrund meiner früheren Tätigkeit in der Bundesliga kennen. Ja, das Ganze ist jetzt schon über 20 Jahre her - und ich bin immer noch nicht vergessen. Dass ich mich riesig darüber freue, dass mir das supergut gefällt, ist doch logisch.

Wie äußert sich das?

Buchhart: Ich war zum Beispiel vor kurzem mit meiner Frau in Kitzbühel, wo wir zufälligerweise Clemens Tönnies, den Präsidenten des FC Schalke 04, trafen. Wir kannten uns sofort wieder, hatten ein schönes Gespräch miteinander - und an dessen Ende lud er mich sogar ganz spontan zu einem Bundesligaheimspiel seines Klubs in die Veltins-Arena ein. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das nicht stolz macht.

Dass Sie in der Bundesligaszene ein Stück weit unvergessen sind, liegt vielleicht auch an Ihrem Spitznamen "Roter Winni". Aufgrund der vielen Platzverweise, die Sie anfangs im deutschen Fußball-Oberhaus aussprachen, war Ihnen dieser ja sehr schnell von den Boulevardmedien verliehen worden. Sind Sie auch darauf stolz?
Buchhart: Ach, diese Bezeichnung bekam ich halt einfach - ob ich wollte oder nicht. Absichtlich, um etwas für meinen Ruf zu tun, zückte ich die Roten beziehungsweise Gelb-Roten Karten allerdings nicht. Zu Beginn meiner Erstligakarriere musste ich mich als Neuling einfach durchsetzen und hart sein, um akzeptiert zu werden. Das ist im Fußball nichts anderes als im normalen Berufsleben. Mit zunehmender Dauer im deutschen Oberhaus verhängte ich zwar deutlich weniger Platzverweise - aber das interessierte dann niemanden mehr. Ich hatte meinen Spitznamen, und damit basta (lacht).

Würden Sie gerne darauf verzichten?
Buchhart: Ach Quatsch, ich kann schon einigermaßen damit leben (lacht). Aber jetzt ganz im Ernst: Das Pfeifen ganz allgemein hat mir immens viele Vorteile gebracht - und tut es immer noch. Ja, das ist schon sehr charmant. Ich hätte nie gedacht, dass das in dieser Form möglich ist.

Also waren die zahlreichen Jahre als Bundesligareferee nicht nur wegen des Einlaufens in die verschiedenen Stadien eine wunderschöne beziehungsweise wichtige Zeit für Sie?
Buchhart: Das ist richtig. Allerdings bekam ich sie nicht geschenkt. Ich musste sehr wohl auch gut pfeifen können, um überhaupt in diesen elitären Kreis zu kommen.

Eine schöne beziehungsweise wichtige Zeit, mit der die jetzige nicht mithalten könnte?
Buchhart: Hundertprozentig kann ich's zwar nicht beurteilen, denn dafür bin ich inzwischen zu weit weg von der Bundesliga - aber glaube in der Tat nicht, dass ich aktuell nur annährend so viel Spaß hätte wie in den Jahren damals.

Wissen Sie eigentlich, dass sie in Ihrem ersten Zweitligamatch gleich einem gewissen Jürgen Klopp die Gelbe Karte vor die Nase hielten?
Buchhart: Stimmt, das war im August 1990 - in der Partie zwischen dem 1. FSV Mainz 05 und dem SV Meppen im Bruchwegstadion - und 'Kloppo' war damals noch ein beinharter Verteidiger bei den Rheinhessen. Aber ich habe die 90 Minuten noch aus einem anderen Grund in Erinnerung, denn anschließend bekam ich so schlechte Noten, dass ich eigentlich schon nach meinem ersten Zweitligaspiel sofort wieder abgestiegen war. Also befand ich mich 1991/92 wieder eine Etage weiter unten - aber ich ließ mich dort nicht hängen, schaffte sofort den Wiederaufstieg. Und landete eben im Dezember 1993 sogar erstmals in der 1. Bundesliga.

Sie gaben also nie auf?
Buchhart: Nein, das soll man niemals tun - egal, wo auch immer im eigenen Leben. Aber natürlich benötigte ich hin und wieder auch Glück, um nach oben zu kommen - schließlich gab es schon damals rund 75000 Fußballschiedsrichter in Deutschland, unter denen sich gewiss auch einige andere befanden, die ebenfalls das Zeug für die Bundesliga hätten. Der Herrgott meinte es jedoch gut mir, hat mir geholfen.

Mit Manfred Amerell hatten Sie damals zudem einen namhaften Förderer. . .
Buchhart: Richtig. Er war mein Mentor beim DFB, der mir extrem viel half. Und dafür werde ich ihm immer dankbar sein - auch wenn sein Ende dann leider sehr unschön war.

Gab es auch Trainer oder Spieler, mit denen sie besonders gerne zusammenarbeiteten?
Buchhart: Das Verhältnis zu Carsten Wettberg war in der Tat immer toll. Und bei den Spielern hat es vor allem mit Niko Kovac, Andreas Herzog, Thomas Kastenmaier oder Toni Polster viel Spaß gemacht. Mit denen hast Du einfach noch so richtig ,ratschen' können.

Nochmals zurück zum Fachlichen: Was ist Ihrer Ansicht nach ein regelwidriges Handspiel beim Fußball?
Buchhart: In dieser Hinsicht werden mittlerweile tatsächlich Dinge gepfiffen, bei denen ich nur den Kopf schütteln kann. Wenn ein Schiedsrichter selbst mal Fußball gespielt hat, dann weiß er zu 95 Prozent, was ein zu bestrafendes ,Hand' ist - nämlich bei einer unnatürlichen Körperhaltung. Das war vor 50 Jahren schon so - und sollte weiterhin so sein. Deswegen muss man nicht gleich irgendwelche Regeln ändern beziehungsweise umformulieren.

Nachdem Sie bereits aktiver Schiedsrichter und Schiedsrichtermanager beim DFB waren - wäre da nicht auch das Amt eines Videoschiedsrichters im Kölner Keller etwas für Sie?
Buchhart: Ich würde ja schon als Schiedsrichterbeobachter unter den gegebenen Umständen keinesfalls mehr arbeiten wollen - also kann ich mir auch nicht vorstellen, dass mir das Amt als VAR gefallen könnte, obwohl ich das noch nie gemacht habe.

Verfolgen Sie das Geschehen in der Bundesliga noch intensiv?
Buchhart: Ja, durchaus. Aber nicht um jeden Preis. Wenn ich beispielsweise einen Trip an den Tegernsee mache, ist mir der Fußball komplett egal - wer immer zu dieser Zeit auch kickt.

Und das gilt sogar für den FC Schrobenhausen, für den Sie ja seit vielen Jahren als Präsident arbeiten und der in der laufenden Saison kurz vor dem Aufstieg in die A-Klasse steht?
Buchhart: Natürlich hängt da viel Herzblut drin. Und wenn wir es schaffen könnten, irgendwann sogar wieder in der Kreisliga zu sein, was für eine Stadt wie Schrobenhausen doch möglich sein sollte, wäre ich endgültig glücklich.

Also stehen Sie an diesem Wochenende wieder beim FCS an der Seitenlinie?
Buchhart: Nein, ich bin am Tegernsee beim Eisstockschießen. Vor 14 Tagen bin ich dort mit meinem Freizeitteam nur Letzter unter 27 Mannschaften geworden, da muss Wiedergutmachung her (lacht).

Das Gespräch wurde geführt von Roland Kaufmann.