Wolnzach
Plötzlich Europameisterin

Physiotherapeutin Vanessa Gorny über Erfolge und Erfahrungen mit Österreichs U-16-Basketball-Team

04.09.2018 | Stand 23.09.2023, 3:59 Uhr
Michael Urban
  −Foto: Gorny, Catalin Soare/FIBA

Wolnzach (PK) Vanessa Gorny und Sport, das gehört einfach zusammen. Neun Jahre war sie als Spielerin für den TSV Wolnzach Basketball eine feste Größe. Heuer verhalf die 27-jährige Physiotherapeutin der österreichischen U16-Nationalmannschaft zu Spitzenleistungen, die Anfang Juli bei der EM in Moldawien den ersten Platz in der Division C holte.

Mittlerweile wohnt Gorny, die in Geisenfeld geboren wurde und in Wolnzach auf das Gymnasium ging, nicht mehr in der Hallertau, sondern in Regensburg. Dort arbeitet die studierte Sportphysiotherapeutin als Dozentin und kann immer wieder ihre vielschichtigen, persönlichen Erfahrungen weitergeben. Ob Skisport, Tennis, Fußball, Karate, Leichtathletik, Basketball, Slacklinen oder Klettern - es gibt wenige Sportarten, die der athletische Tausendsassa noch nicht erfolgreich versucht hat. Ihre Basketballschuhe hat sie in Regensburg diese Saison wieder ausgepackt und konnte mit der Bayernligamannschaft der Regensburg Baskets Mitte März den Aufstieg in die Regionalliga feiern. In der Rolle als Physio durfte sie sich einen Monat später erneut freuen, als die Wolnzacher Männer den Klassenerhalt in ihrer ersten Regionalligasaison sicherten.

Das Engagement für ihren Heimatverein konnten die Wolnzacher 2017/18 auch gut gebrauchen, es hätte wohl noch mehr Verlezungen gegeben.

Und wenn es schon einmal läuft, dann läuft es richtig. Kurzfristig kam über Gornys ehemalige Universität in Salzburg eine Verbindung zum österreichischen Basketballverband zustande, der für die U16-EM in Moldawien noch einen Physiotherapeuten brauchte. Mission angenommen, Reisetagebuch aufgeschlagen. Schnell wurde sie Teil von Head-Coach Aldin Saracevics Team, das sechs Wochen lang die besten österreichischen Mädchen auf die internationale Herausforderung in Moldawien vorbereitete. Da hieß es Freitagabend nach der Arbeit ab ins Auto und die 400 Kilometer ins Trainigslager nach Tulln in Niederösterreich herunterreißen und Sonntag spätabends wieder zurück.

Auf diese intensive Zeit folgte Anfang Juli die abenteuerliche Anreise von Wien über Kiew in die moldawische Hauptstadt Chisinau. Viel Zeit zum Akklimatisieren blieb nach der verspäteten Ankunft nicht, mit nur vier Stunden Schlaf im Tank stand am nächsten Tag bereits das erste Training auf dem Programm. Auf der Hinfahrt bekam die Mannschaft zum ersten Mal einen Eindruck vom Leben in der Stadt. "Auf der einen Seite Armut und Plattenbau, auf der anderen moderne Gebäudekomplexe", erinnert sich Gorny. "Zweispurige Fahrspuren wandeln die Fahrer bei Bedarf spontan zu vierspurigen um, auf riesige Schlaglöcher folgen plötzlich perfekt ausgebaute Straßen. Klapprige, alte Karren neben einem großen Mercedes, der in der Sonne blinkt."

Während die Halle keine Wünsche übrig ließ, stellte das Mittagessen bestehend aus Nudeln ohne Soße, dafür aber mit Caesar-Dressing eine weitere Herausforderung für die Athleten dar. Neben dem sportlichen Programm und einigen Dehneinheiten gab es natürlich auch ein Fotoshooting mit der FIBA (International Basketball Federation) zu absolvieren. Ein abendlicher Absacker in der Hotellobby durfte auch nicht fehlen - auch wenn dadurch der Schlaf zu kurz kam.

Beim ersten Spiel und dem Singen der Nationalhymne kam das erste Mal Gänsehautfeeling auf. "Auch bei mir, es fühlte sich gar nicht so fremd an", staunt Gorny. Die ersten sportlichen Highlights folgten, denn das Team aus Malta war völlig überfordert. Mit 111:22 fuhren die österreichischen Mädels ihren ersten Sieg ein. Am freien Abend wurde Gornys Zimmer dann als Hauptversammlungsort auserwählt. Neben den Spielen der Fußball-Weltmeisterschaft und lustigen Anekdoten stand auch das Füllen der Social-Media-Kanäle der Mädchen ganz oben auf der Tagesordnung.

Auch die nächsten Tage warteten mit Überraschungen auf: Unter anderem musste das Team in einer 40 Jahre alten Schulhalle trainieren - der Hallenboden war mit bemalten Holzbohlen bestückt. Die Mittagskost stellte sich als immer noch kartoffel- und nudellastig, dafür gemüsearm heraus - ein Grund, sich im nächsten Supermarkt mit Knabbereuien einzudecken, wie Gorny verrät.

Sportlich ließen sich die Österreicherinnen auch von den physisch aggressiv auftretenden Georgierinnen nicht stoppen, das Team siegte mit 80:49. "Vielleicht hatten die Mädels den Schwung auch von der Anfahrt mitgebracht, als der Busfahrer eine Verspätung durch eine entsprechend dynamische Fahrweise auszugleichen versuchte", berichtet Gorny.

Im letzten Gruppenspiel ging es gegen Monaco, mit dessen Trainerstab schon eine abendliche Freundschaft aufgebaut worden war. Gorny war beeindruckt von ihrem Team, das mittlerweile nur noch den Sieg vor Augen hatte: "Während bei den anderen Teams nachts heimlich Partys stattfanden, konnten wir uns voll auf unsere Spielerinnen verlassen." Doch auch das Arbeitspensum für die Physiotherapeutin stieg im Turnierverlauf an. "Abends ist der Physio der letzte, der ins Bett geht, nachts steht man auf, wenn es irgendetwas gibt und morgens ist man wieder als Erster auf den Beinen, um alle Wehwehchen und Tapings hinzukriegen", erklärt sie. Vor der Partie nutzten die Österreicherinnen einen Ausflug am See zur Erholung, am Abend wurde Monaco mit 69:26 geschlagen. Allerdings kam durch einen Frontalzusammenstoß und ein daraus resultierendes Schleudertrauma der österreicherischen Center-Spielerin eine Herausforderung auf Gorny zu. "Die ganze Halle starrt dich an, die Eltern sorgen sich und der Coach will nach 20 Minuten bereits wissen, ob unsere Spielerin fürs Halbfinale wieder fit ist", schildert Vanessa den Vorfall. "Da den Druck rauszunehmen, lernt man auch erst, wenn es so weit ist."

Gorny war nicht nur Physiotherapeutin sondern nimmt auch eine ganz besondere Rolle im Teamgefüge ein: Auf Instagram wird sie von den jungen Mädchen liebevoll als "unsere Mama" bezeichnet. "Es gibt schlimmere Komplimente. Aber zehn Minuten für einen selbst wären auch mal fein", meint sie.

Zur Halbfinalpartie gegen den Gastgeber reisten auch auch zahlreiche Freunde und Eltern aus Österreich an, es gab sogar eine Live-TV-Übertragung und Cheerleaders. "Die laute Halle und die Nervosität haben Spuren hinterlassen", berichtet Gorny. Beide Teams agierten fahrig, Österreich siegt dennoch deutlich mit 82:37. "Unser Cheftrainer hat das aber gleich relativiert", sagt Gorny. "Noch ist gar nichts gewonnen und das Spiel war richtig mies", erklärte Saracevics.

Neben dem Morgentraining und dem üblichen Rhythmus aus Essen, Schlafen, Spielerbehandlung und Videoanalyse wartete eine besondere Motivation für die Mannschaft: "Freunde, Familie sowie Bundes- und Nationalspieler haben uns kleine Videos zukommen lassen",sagt Gorny. "Da kullerte schon mal die eine oder andere Träne."

Im Finale wartete mit Schottland ein zäher Gegner, Gornys Arbeit zahlte sich aus: "Unsere Centerin spielte, als wäre sie nie verletzt gewesen", sagt sie stolz. Am Ende setzte sich Östterreich mit 69:48 durch. "Beim Ertönen der Sirene kannte unser Jubel keine Grenzen mehr", erzählt Gorny. "Der beste Moment war dann der Konfettiregen auf dem Podium mit der Goldmedaille um den Hals." Weit nach Mitternacht kam das Team in einer Gaststätte an - dort wird gegessen und gefeiert. "So schafft man auch eine Heimreise mit wenig Schlaf. Mit vielen Höhen und Tiefen, einem EM-Titel, vielen neuen Freunden und dem Wissen, dass Sport Barrieren überbrückt, denn es ist tatsächlich möglich, dass in einer Brust zwei Herzen schlagen können", sagt Gorny. "Sowohl für Deutschland als auch für Österreich."

Michael Urban