Pfaffenhofen
"Ein bisschen verrückt ist es schon"

Daniel Kühn und Simon Holzmann bewältigen die Rallye Breslau Poland mit einem Unimog

11.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:44 Uhr
Erhard Wallenäffer
Sechs Tonnen schwer, 350 PS-starkes Turbotriebwerk: Diesen Unimog bewegte das Trio über 1369 Kilometer durch mehrere Prüfungen. −Foto: Sasja Ligtenbarg

Pfaffenhofen (PK) Etwas Vergleichbares wie die Rallye Breslau Poland gibt es in Europa nicht: Eine Woche lang Matsch, Staub, Dieselgeruch, heulende Motoren und ratternde Druckluftschrauber.

Als absolut harte Prüfung für Mensch und Material muss man also das bezeichnen, auf was sich Daniel Kühn und Simon Holzmann eingelassen haben. Der Pfaffenhofener Rallyepilot sowie der Nutzfahrzeugmechaniker aus Niederscheyern nahmen im Norden Polens erstmals an einer Cross-Country-Rallye teil.

Von einem 350 PS starken Turbotriebwerk befeuert und sechs Tonnen schwer - der Unimog von Adrian Bernhard wirkt wie ein gigantisches Kraftpaket. Im Herbst vergangenen Jahres kam die Anfrage des Augsburgers völlig überraschend, wie sich Kühn erinnert: "Adrian hat sich die Teilnahme an der Rallye Breslau in den Kopf gesetzt, suchte Mitstreiter und hat mich über das Internet gefunden. Den Simon habe dann ich aufgetrieben. " Die Dreier-Besatzung des "Mog-Team-Bavaria" war somit komplett, wobei man sich zunächst überhaupt nicht kannte.

"Ein bisschen verrückt ist es schon, unter solchen Voraussetzungen ein derartiges Projekt in Angriff zu nehmen", gibt Kühn zu. Immerhin: "Rallye Breslau Poland" - das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als acht Wertungsprüfungen mit einer Gesamtdistanz von 1369 Kilometern innerhalb von fünf Tagen zu bestreiten. Dabei unzählige Stunden gemeinsam in einer engen Kabine zu verbringen - wiederkehrende Stresssituationen inbegriffen, denn: Die vorgeschriebene Strecke führt kaum über öffentliche Straßen und Wege. Überwiegend plagt man sich mit dem Fahrzeug über staubige Felder, durch dichte Wälder, Bäche, Flüsse oder sonstiges unwegsames Gelände.

"Idealerweise sollte man zu dritt unterwegs sein", betont Daniel Kühn. Im Unimog war er dafür zuständig, den vorgegeben Weg zu finden. "Navigation ist alles - wer nicht gut navigiert, der kommt nicht an", beschreibt der 31-Jährige seine Funktion. Um seinen Piloten Adrian Bernhard stets in die richtige Richtung schicken zu können, hat Kühn mit seinen Kollegen einen gewissen Aufwand betrieben. So wurde die Instrumententafel mit einem Bildschirm, einem GPS-Gerät, einem digitalen Kompass und Wegstreckenzählern ergänzt.

Beinahe ein Dreivierteljahr habe man in die Vorbereitung investiert, versichert Kühn. Holzmann wiederum war der Schrauber im Team - er hatte die Technik im Griff, überwachte während der Fahrten die Anzeigen und half beim Navigieren. Reparieren musste der 21-Jährige glücklicherweise nichts - was auch mit der einen oder anderen Vorsichtsmaßnahme zu tun hatte, wie Daniel Kühn erläutert: "So haben wir einmal während einer längeren Pause sämtliche Stoßdämpfer getauscht. " Durchzuhalten war schließlich das Wichtigste, wobei sich die drei Neulinge Platz zwei bei den Cross Country Trucks (bis 7,5 Tonnen) sicherten.

Die Rallye Breslau Poland wurde heuer zum 25. Mal ausgetragen. Insgesamt waren 189 Fahrzeuge (Motorräder, Quads, Gelände- und Lastwagen) am Start, von denen 139 das endgültige Ziel erreichten. In der Rallye-Szene wird die jährliche Veranstaltung längst als legendär bezeichnet.

Nachfolgend gibt Kühn Einblicke in sein persönliches Rallye-Tagebuch:

Montag, 1. Juli

Los ging es mit einem Show-Start in der Stadt Miastko und schnell merkten wir: Das wird hier kein Kindergeburtstag. Ein sandiger Berg stellte uns gleich zu Beginn der 146 Kilometer langen Wertungsprüfung vor arge Probleme: Erst im zweiten Anlauf, mit Untersetzung und dem Einsatz sämtlicher technischen Sperren kamen wir hinauf. Ein erstes Schockerlebnis sollte bald folgen: In einem stillgelegten Gleisbett erwischten wir eine harte Bodenwelle, woraufhin der Vortrieb komplett weg war. Ein Getriebeschaden - befürchteten wir zunächst. So setzten wir unsere Seilwinde ein, um den Mog über einen Baum von der Strecke zu ziehen. Groß war dann die Erleichterung, als wir den Grund unseres plötzlichen Stillstands bemerkten: Ein Umkehrhebel war in die Neutralstellung gesprungen, also konnten wir die Fahrt problemlos fortsetzen - ein Missgeschick, das uns jedoch viel Zeit gekostet hat.

Dienstag, 2. Juli

Es erwarteten uns zwei völlig unterschiedliche Sonderprüfungen, die beide ihre Tücken hatten: Zunächst ging es 53 Kilometer weit durch ein ehemaliges Militärgelände, über meist sandige Pisten, vorbei an vielen verlassenen Bunkern. Hunderte kleine Abzweige erforderten ein hohes Maß an Konzentration beim Lesen des Roadbooks. Die zweite Prüfung führte uns auf die westliche Seite der Stadt Szczecinek und über 80 Kilometer durch ein riesiges Waldgebiet. Wir kreuzten mehrmals alte Bahnschienen und fuhren immer wieder durch Forstschneisen, wo schlecht sichtbare Baumstümpfe lauerten. Beide Prüfungen meisterten wir ohne Zwischenfall.

Mittwoch, 3. Juli

Sowohl während der Prüfung "Bobolice" als auch beim insgesamt fünften Abschnitt "Dretyn" lief es ausgezeichnet - wir konnten richtig Strecke machen. Beide Male ging es jeweils 70 Kilometer weit durch viel Wald, wobei wir drei Neueinsteiger spürten, dass wir uns mittlerweile eine gewisse Sicherheit angeeignet hatten. Uns unterliefen keinerlei Navigationsfehler und der Mog lief wie ein Uhrwerk.

Donnerstag, 4. Juli

Europas größter Nato-Truppenübungsplatz - ein Areal von 36 000 Hektar - war unser Terrain für die letzten beiden Rallye-Tage. Den Auftakt bildete eine 100 Kilometer lange Sonderprüfung durch diesen monströsen Sandkasten bei Drawsko Pomorskie. Zahlreiche zerschossene Panzer dienten als einzige Orientierungshilfe - so war Navigationsgeschick gefragt. Bei uns klappte das Zusammenspiel immer besser, wodurch wir fehlerfrei nach gut drei Stunden die Ziellinie überquerten. Was mir in Erinnerung bleibt: Für unseren Konkurrenten Martino Mutti aus Italien waren wir gewissermaßen die letzte Rettung - er stand mit seinem Truck orientierungslos auf dem freien Feld, entdeckte uns am Horizont und nahm sofort die Verfolgung auf.

Freitag, 5. Juli

Der Finaltag war mit Abstand der härteste - als "Belohnung" dafür, dass wir vier Tage durchgehalten haben, "durften" wir jetzt auch im Dunkeln die Tücken der polnischen Landschaft bewältigen: "Nachtprüfung" war das Stichwort - womit gemeint war, dass wir ab 00.30 Uhr auf 60 Kilometern die verstreuten Anhaltspunkte mit der Ausleuchtung unseres Mogs finden mussten. Fast wurde uns dabei eine unübersichtliche Kreuzung zum Verhängnis: Wie viele andere Teams haben auch wir die falsche Richtung eingeschlagen - die Szenerie wirkte schon fast unheimlich: In stockfinsterer Umgebung wurde kreuz und quer gefahren - ein Wirrwarr aus Scheinwerferkegeln ergab sich. Auch ich wurde nervös, jedoch fanden wir zurück zum Ausgangspunkt unserer Irrfahrt und konnten so den vorgeschriebenen Weg wieder in Angriff nehmen. Nach zwei Stunden Fahrzeit erreichten wir schließlich das Ziel. Voll mit Adrenalin fielen wir in den frühen Morgenstunden in die Betten, wobei an Schlaf natürlich kaum zu denken war: Wir wussten, dass uns das schwierigste Teilstück der Veranstaltung noch bevor stand: Die finale Prüfung erforderte nochmals totale Konzentration auf einem Gelände, bei dem jede Ecke gleich aussieht und maximal Bäche sowie ausgebrannte Panzer als Orientierungshilfen taugten. Letztmalig volles Programm also, verteilt auf 152 Kilometer - neben der immensen körperlichen Anstrengung kann man auch von einer Nervenprobe sprechen. Wir kämpften uns durch und fühlten bei der Zieldurchfahrt unbeschreiblichen Stolz.

Erhard Wallenäffer