Ingolstadt
"Wir wollen zu den Besten gehören"

08.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:33 Uhr
Kümmern sich um die Zukunft des ERC Ingolstadt: Nachwuchsleiter und Coach Petr Bares (oben) und Trainer Terry Campbell (kleines Foto). −Foto: Rimmelspacher

Ingolstadt - Der ERC Ingolstadt hat erneut die höchste Auszeichnung für seine Nachwuchsarbeit erhalten. Im Interview erklären Nachwuchsleiter Petr Bares und Jugendtrainer Terry Campbell, wie schwierig es ist, die Kriterien des "Fünf-Sterne-Nachwuchsprogramms" des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) zu erfüllen, und wieso es noch immer kein Eigengewächs der Panther zu den Profis geschafft hat.

Herr Bares, der ERC Ingolstadt hat zum dritten Mal die Top-Bewertung des DEB für sein Nachwuchsprogramm erhalten. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?

Petr Bares: Das ist eine schöne Auszeichnung für uns, die Kinder und für den Verein. Es zeigt: Wir sind auf einem guten Weg. Unsere Arbeit hat einen guten Ruf, und sie ist sinnvoll. Deshalb wurden wir auch sehr gut bewertet. Wir sind einer der besten Vereine Deutschlands - das ist ein schönes Gefühl.

Was muss man tun, um die Auszeichnung zu bekommen?

Bares: Es sind verschiedene Punkte, die man erfüllen muss. Es gibt einen Zuständigen vom DEB, der mehrmals pro Saison zu uns kommt, auch während des Sommertrainings, und uns bewertet. Er begutachtet unsere Sportstätte, schaut, was wir machen. Wie viele Trainer haben wir? Welche Qualität bringen wir auf dem Eis? Was lehren wir den Kindern? Er führt mit uns auch die vorgegebenen Tests mit den Kindern durch.

Was zeichnet die Nachwuchsarbeit des ERC im Vergleich zu anderen Klubs aus?

Bares: Die Kooperation mit den Schulen ist enorm wichtig. Wir holen die Kinder nach dem Unterricht selbst ab und bringen sie zum Eisstadion, um dort zu trainieren. Das machen wir seit zwei Jahren, und das hat sich bewährt. Es war schwierig, das hinzubekommen, aber wir haben es geschafft und haben jetzt großen Erfolg darin. Ohne diese Zusammenarbeit und die Unterstützung der Lehrer und Rektoren würden wir das nicht schaffen. Auch die Audi-Sportakademie hat einen großen Anteil am Erfolg. Der Verein, die Schulen und die Akademie sind sehr verzahnt. Die Zusammenarbeit mit der Sportakademie hat den Nachwuchs des ERC und FC Ingolstadt einen Riesenschritt weitergebracht. Natürlich ist auch die Zusammenarbeit mit den Eltern wichtig. Und nicht zuletzt wäre es ohne die große Unterstützung des Fördervereins nicht möglich, uns immer wieder zu verbessern.

Wie schwierig ist es, die Auszeichnung zu bekommen?

Bares: Klar müssen wir kämpfen. Keiner schenkt dir irgendetwas. Wir wissen, wir müssen uns jedes Jahr verbessern, sonst können wir nicht mithalten. Aber wir wollen diesen Weg gehen. Wir wollen, dass der ERC Ingolstadt zu den Besten gehört. Nur das zählt.

Worin herrscht noch Verbesserungsbedarf?

Bares: Es gibt drei Punkte, in denen wir uns noch verbessern müssen. Erstens die Infrastruktur. Wir haben zu wenige Krafträume und Kabinen. Wir haben uns in diesen Bereichen sehr verbessert, aber wir müssen es noch weiter tun. Zweitens soll jede Mannschaft Nationalspieler in der U17 oder U20 haben. Das haben wir noch nicht. Drittens sollen im wöchentlichen Techniktraining am Vormittag jeweils 14 Spieler der U17 und U20 auf dem Eis stehen. Das ist schwierig, das schafft fast kein Verein, denn die Jungs gehen in dem Alter aufs Gymnasium, auf die Fachoberschule, oder sie machen eine Ausbildung. Da können sie nicht vormittags zum Training kommen. Das ist also fast nicht zu erfüllen.

Gibt es Kandidaten, die den Sprung in das U17- oder U20-Nationalteam schaffen könnten?

Bares: In der U16-Nationalmannschaft haben wir Lukas Ullmann und Niklas Hübner. Diese wollen wir nun in die U17-Nationalmannschaft bringen. Daniel Maul wurde leider nicht eingeladen, auch wenn er in meinen Augen seine Sache gut macht.

Sie sind seit 2014 für den Nachwuchs des ERC zuständig. Was hat sich seit dem Beginn Ihrer Arbeit verändert?

Bares: Als wir angefangen haben, hatten wir noch nicht so viele Kinder. Heute haben wir knapp 300 Kinder, nur Berlin hat mehr als wir. Wir werden nächstes Jahr wahrscheinlich wieder eine Mannschaft mehr haben.

Herr Campbell, Sie sind für die ganz Kleinen zuständig. Wie schwierig ist es, Kinder für Eishockey zu begeistern?

Terry Campbell: Das ist nie vergleichbar mit dem Fußball, aber wir haben viele Kinder. Als der ERC 2014 Deutscher Meister wurde, haben wir viele Kinder gewonnen. Und wenn man gute Arbeit macht, spricht sich das herum. Je breiter man in den jungen Jahrgängen oder in der Laufschule aufgestellt ist, desto größer sind die Chancen, dass später ein Spieler in die Nationalmannschaft kommt. Das ist auch das Ziel des DEB, sonst würde er dieses Fünf-Sterne-Programm nicht machen. Er will, dass wir unten gute Arbeit leisten, damit die Nationalmannschaft später davon profitiert. Das ist ein langfristiges Ziel, aber es fängt in der Laufschule an.

Noch hat kein Eigengewächs des ERC den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft.

Bares: Wir haben schon ein paar gute Spieler, die den Schritt schaffen können und bereits mit der Ersten Mannschaft trainiert haben. Ich hoffe, dass wir bald so weit sind, dass von unserem Nachwuchs ein Spieler in der DEL ist. Eine tolle Geschichte ist Samir Kharboutli, der letztes Jahr bei uns aufgehört hat und dann in Memmingen in der Oberliga gespielt hat. Und nun hat er bei den Augsburger Panthern für zwei Jahre unterschrieben und wird jetzt in der DEL spielen. Schade ist nur, dass er nicht in Ingolstadt, sondern in Augsburg spielt.

Diesen Wunsch, dass es "bald so weit ist", äußert der ERC bereits seit Jahren. Warum hat es noch immer nicht geklappt?

Bares: Das Problem ist: Der Schritt von der DNL (Deutsche Nachwuchsliga, d. Red.) zur DEL (Deutsche Eishockey-Liga, d. Red.) ist riesig und zu groß. Dreiviertel der Spieler unserer Profimannschaft haben bereits in der NHL gespielt. Wir haben allgemein viele Ausländer und wenige gute deutsche Spieler im Profiteam. Man kann nicht von der DNL gleich in die DEL, das schafft einer von 100. Der muss aber 1,90 Meter groß sein und 90 Kilo haben. Die Spieler müssen zuerst in der DNL spielen, dann in der Oberliga, um das körperliche Spiel zu erlernen. Auch Tim Wohlgemuth ist beispielsweise von der Nachwuchsmannschaft in Kaufbeuren erst in das Oberliga-Team nach Memmingen, dann ins Zweitliga-Team von Kaufbeuren und erst dann in die DEL. Es geht also nur Schritt für Schritt.

Campbell: Ob ein Spieler den Schritt schafft, liegt auch am Kind selbst. Wir können gute Arbeit machen, aber es hängt nicht nur vom Training und den Trainern, sondern auch vom Talent und Ehrgeiz des Spielers ab. Selbst ein Supertalent mit 16 oder 17 muss richtig Gas geben, um den nächsten Schritt zu gehen. Viele Kinder aber verlieren den Ehrgeiz, dahin zu kommen. Wir können die Kinder nur begleiten, ein gutes Training machen, ihnen viele Tipps geben, sie unterstützen und motivieren.

Sind andere Klubs dem ERC in diesem Bereich voraus?

Bares: Wir haben schon Spieler, die in der Ersten Mannschaft trainieren. Marvin Feigl ist beispielsweise ein toller Eishockey-Spieler. Er macht alles richtig, aber er ist 17 Jahre alt und braucht mehr Muskelmasse. Wenn er gegen einen 1,90 Meter großen Spieler mit 100 Kilo antreten muss, hat er ein Riesenproblem.

Wann spielt das erste Eigengewächs in der Profimannschaft des ERC?

Bares: Ich bin kein Hellseher, aber klar wollen wir das. Wir kooperieren auch mit Vereinen der Oberliga. In der vergangenen Saison hatten wir vier Spieler dort. Diese Kooperationen sind wichtig, damit die Spieler die Erfahrung im Erwachsenen-Eishockey sammeln.

Ein Hindernis ist auch, dass Spieler kurz vor dem Schritt zum Profi von anderen Vereinen "weggeschnappt" werden.

Bares: Ich bin dafür, dass ein Verein eine Ausbildungsentschädigung leisten muss, wenn ein Spieler im Nachwuchs den Klub wechselt. Das ist in der Schweiz, in Tschechien, in Schweden, in Russland - überall ist das so. Nur in Deutschland herrscht hier ein bisschen Anarchie, jeder macht hier, was er will. Wenn ein Spieler, den wir von der U7 bis zur U20 ausgebildet haben und bereits in der Nationalmannschaft spielt, nach Köln oder Berlin wechselt, kann ich nichts machen. Aber es sind nicht nur die Vereine, die die Spieler zu sich lotsen. Die Spieler selbst haben auch bereits Agenten, die die Jungs bei anderen Vereinen unterbringen.

Anfang Mai soll das Sommertraining für die neue Saison beginnen. Könnte Ihnen das Coronavirus einen Strich durch die Rechnung machen?

Bares: Wir planen ganz normal wie in jeder Saison, aber wir müssen abwarten, wie sich das entwickelt. Im Moment haben wir eigentlich Pause, aber weil die Kinder zu Hause sind, bieten wir seit Montag Training per Internet mit Fitnesstrainerin Maritta Becker an. Ich kann das per App kontrollieren. Ich bin begeistert davon, wie Maritta das macht. Aber wir haben große Hoffnung, dass wir im Mai mit dem normalen Training beginnen können.

Das Interview führte

Julia Pickl