Ingolstadt
Lauf des Lebens

11.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:14 Uhr

Foto: Sportfotodienst GmbH Imago

Ingolstadt (DK) Kristin Möllers fünfter Start bei der Ironman-WM auf Hawaii - dem Mekka der Triathleten - platzte kurzfristig. Der Grund: Die Ingolstädterin erwartet ein Kind. An ein Karriereende verschwendet die 33-Jährige aber keine Gedanken.

Es ist der Traum eines jeden Triathleten: einmal bei der Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii mit mehr als 2000 weiteren Athleten aus der ganzen Welt an der Startlinie zu stehen. Mit Weltstars wie Jan Frodeno und Daniela Ryf auf die Strecke zu gehen und den extremen Bedingungen auf der Pazifikinsel zu trotzen. Kristin Möller kennt dieses Gefühl. Die Ingolstädterin war bereits viermal beim Jahreshöhepunkt der Triathleten am Start. Im Jahr 2013 absolvierte sie die 3,86 Kilometer im Wasser, 180 Kilometer auf dem Rad und 42,2 Kilometer auf der abschließenden Marathonstrecke in 9:31:41 Stunden. Das bedeutete in der Profiwertung bei den Damen Platz 15 - Möllers bislang beste Hawaii-Platzierung.

In diesem Jahr wollte die gebürtige Geraerin endlich unter die Top Ten der Welt laufen. Ihre gesamte Vorbereitung war auf den Saisonhöhepunkt am 14. Oktober ausgerichtet. Und Möller war auf einem guten Weg. "Ich bin verletzungsfrei durch die finale Vorbereitung gekommen, meine Verfassung ist gut", sagte sie unserer Zeitung vor einigen Wochen. Mit dem dritten Gesamtrang beim Ironman Hamburg Mitte August war ihr die souveräne Qualifikation für die 40 umkämpften Profi-Startplätze bei der Weltmeisterschaft auf Hawaii gelungen. Flugtickets und Unterkunft waren gebucht. Alles lief nach Plan.

Dann aber veränderte sich etwas. Die Zeiten in den letzten Trainingseinheiten wurden plötzlich immer schlechter, Möller fühlte sich schwach und erschöpft. "Irgendetwas stimmte nicht. Ich war total schnell außer Atem und hatte auch immer wieder Schmerzen", erinnert sich die 33-Jährige. "Aber als Leistungssportler hast du manchmal diese Phasen, ich habe anfangs also noch darauf gehofft, dass sich alles wieder normalisiert." Als sich ihr Zustand jedoch auch wenige Tage vor dem geplanten Abflug nicht verbessert hatte, beschlich Möller eine gewisse Ahnung. Es war Donnerstag, der 22. September. Fünf Tage später, am Dienstag, hob Möllers Flieger in Richtung Hawaii ab.

Die Ingolstädterin wollte Gewissheit. "Allerdings habe ich so kurzfristig für den Freitag keinen Termin mehr bekommen", berichtet sie. Also suchten Möller und ihr Lebensgefährte am Samstag den ärztlichen Notdienst auf - und ließen einen Schwangerschaftstest machen. "Das dauert heutzutage ja nur wenige Minuten. Das Ergebnis war dann auch sehr schnell da. Und es ließ keinen Zweifel", erinnert sich die 33-Jährige. Möller war in der fünften Woche schwanger. Was folgten, waren emotionale Minuten im Wartezimmer. "Ich lag in den Armen meines Partners und habe geweint. Da war einerseits die große Überraschung. Andererseits die riesige Freude und das Glück", berichtet Möller.

Nachdem sich die erste Aufregung etwas gelegt hatte, galt es, die Lage im Hinblick auf Hawaii realistisch einzuschätzen. "Die Reise Hals über Kopf abzusagen war keine Option für mich", sagt Möller. "Ich hatte für diesen Start so viel investiert, das hatte ich mir erkämpft. Andererseits war mir das enorme Risiko natürlich bewusst." Am Montag, einen Tag vor dem Abflug, saß Kristin Möller also erneut in einem Wartezimmer. "Ich bin zu einer Frauenärztin, die ebenfalls Ausdauersportlerin ist. Wir haben dann jedes Detail und jedes Szenario durchgesprochen." Viele Fragen mussten beantwortet werden. Ist ein Start vielleicht doch möglich, wenn Möller es im Wettkampf etwas verhaltener angehen lässt? Wie wirkt sich die extreme Belastung auf das ungeborene Kind aus? Sollte Möller überhaupt so lange in einem Flugzeug sitzen? "Die Ärztin hat mir letztlich von einem Start abgeraten", erinnert sich die Ingolstädterin. "Diese Erkenntnis war in den Tagen zuvor natürlich schon irgendwie gereift, aber in diesem Moment war mir dann endgültig klar, dass es mit einem Start nichts werden würde."

Da aus ärztlicher Sicht jedoch nichts gegen die Reise an sich sprach, packte Möller dennoch die Koffer - und flog nach Hawaii. "Immerhin hatte ich nun die Möglichkeit, wenigstens als Zuschauer dabei zu sein und die anderen Athleten zu unterstützen", berichtet sie. "Zudem war es natürlich auch wichtig, dass ich unabhängig von meinem Start meine Partner vor Ort repräsentiere." In Telefonaten am Tag vor dem Rennen informierte die 33-Jährige ihre zwei Hauptsponsoren über die Situation und ihren Startverzicht. "Sie hatten vollstes Verständnis und haben mich in meiner Entscheidung auch bekräftigt", sagt sie. "Es hat ja niemand etwas davon, wenn ich mich dem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt hätte, und es wäre etwas passiert."

Eigentlich wollte sich Möller in den zwei Wochen auf Hawaii mit intensiven Trainingseinheiten noch den Feinschliff für den Wettkampf holen - nun konnte die Ingolstädterin die Atmosphäre rund um den Wettkampf "richtig aufsaugen" - und alles etwas entspannter angehen. "Ich bin trotzdem jeden Morgen eine lockere Runde geschwommen, habe aber immer genau in meinen Körper hineingehorcht", sagt sie. "Es ist schon Wahnsinn, was da los ist. Die ganze Stadt ist voll mit Triathleten, tagelang wird alles aufgebaut, es ist ein riesiges Getummel. Diese ganz besondere WM-Stimmung und dieses Flair gibt es nur auf Hawaii", berichtet die 33-Jährige.

Das Rennen erlebte Möller schließlich in der ungewohnten Rolle der Zuschauerin. Nur den Start der Profis um die spätere Siegerin Daniela Ryf aus der Schweiz am frühen Samstagmorgen des 14. Oktober verpasste die Ingolstädterin. "Das konnte ich dann doch nicht mit ansehen, da war dann schon etwas Wehmut da", erinnert sie sich. "Aber dann war ich den gesamten Tag natürlich an der Strecke unterwegs und habe die anderen Mädels angefeuert." Die Aufholjagd des deutschen Überraschungssiegers Patrick Lange und das Drama um den zweifachen Hawaii-Sieger Jan Frodeno erlebte Möller so hautnah mit. "Wenn du selber startest, bekommst du vieles ja überhaupt nicht mit. Insofern war das schon eine interessante Erfahrung. Auch das Rennen der Damen war natürlich Dramatik pur, insbesondere der Marathon mit den vielen Positionswechseln", sagt die Ingolstädterin. "Am Ende war es dann doch ein sehr schöner Tag."

Am nächsten Morgen war auf der Pazifikinsel bereits wieder Normalität eingekehrt. "Auch das ist Hawaii", berichtet Möller. "Am Tag danach merkst du kaum noch, dass da eine Weltmeisterschaft stattgefunden hat." Einige der Athleten würden noch ein, zwei Wochen Urlaub auf der Insel machen. Für Möller hingegen ging es bereits drei Tage nach dem Wettkampf zurück nach Hause. "Ich habe da schon den Arzttermin herbeigesehnt, wollte unbedingt wissen, wie sich der kleine Sprössling in den zwei Wochen entwickelt hat", erinnert sie sich. "Aber ich bin schon auch mit dem Gedanken heimgeflogen, dass ich wiederkommen will."

Denn an ein mögliches Ende ihrer Triathlon-Karriere verschwendet Möller keine Gedanken. "Natürlich dreht sich jetzt erst einmal alles um das Baby. Aber zusammen mit meinem Partner haben wir schon einen konkreten Plan für die Rückkehr in das Renngeschehen im Kopf", sagt sie. "Wenn alles so klappt, wie ich mir das vorstelle, werde ich Anfang 2019 wieder einsteigen", sagt die ehrgeizige Sportlerin und scherzt: "Ich habe mit Hawaii ja nun noch eine Rechnung offen." Dass das Comeback nicht leicht wird, ist Möller klar. "Ich muss natürlich auch jetzt so gut es geht versuchen, mich fit zu halten. Es wird ein harter, langer Weg zurück. Aber mit solchen Herausforderungen kennt man sich als Triathlet ja bestens aus", sagt sie.

Auch für die nächsten Monate hat sich Möller einiges vorgenommen. "Ich habe das Gefühl, dass viele Frauen, die Leistungssport betreiben, Angst haben, schwanger zu werden. Dabei gibt es genügend Beispiele erfolgreicher Athletinnen, die Kind und Karriere unter einen Hut gebracht haben", sagt die Ingolstädterin, die ihre Erfahrungen während der Schwangerschaft auf ihren Social-Media-Kanälen im Internet teilen will. "Vielleicht kann ich anderen Frauen auf diese Art helfen", sagt sie. "Denn ich habe nicht das Gefühl, dass ich einen Traum für den anderen geopfert habe. Nein, ganz im Gegenteil."