Hilpoltstein
Über der Grenze des Erlaubten

Das Tischtennisspiel zwischen Hilpoltstein und Dortmund wird Schiedsrichter Martin Herzog wohl lange im Gedächtnis bleiben

05.05.2020 | Stand 02.12.2020, 11:25 Uhr
Normalerweise einen ruhigen Job hat Martin Herzog bei seinen Einsätzen als Tischtennis-Schiedsrichter in Hilpoltstein. Am 8. März, der letzten Partie vor der Corona-Pause, folgt während der Partie zwischen Dortmunds Kirill Fadeev und Hilpoltsteins Francisco Sanchi jedoch das Heftigste, was er in seinen 30 Jahren als Schiedsrichter erlebt hat. −Foto: Thomas (Archiv)

Hilpoltstein - Im Idealfall bemerken die Spieler seine Anwesenheit gar nicht.

 

Dabei ist einer wie Martin Herzog für den normalen Spielbetrieb schlicht unverzichtbar. Als "Schiedsrichter aus Leidenschaft zum Tischtennis" verlaufen seine Einsätze vergleichsweise ruhig. Nicht so am 8. März, der letzten Partie vor der Corona-Pause, als der TV Hilpoltstein den BV Borussia Dortmund zu Gast in der Stadthalle hatte.

Begonnen hat alles ganz entspannt. Herzog - einer von rund 2400 Unparteiischen bundesweit - geht bei den Eingangsdoppeln routiniert seinen Tätigkeiten nach. Er sitzt hinter dem Zählgerät, hebt bei jedem einzelnen Punkt den Arm und dreht die Tafel mit dem neuen Spielstand um. Das tut er an einem Spieltag mehrere hundert Male. Keine besonderen Vorkommnisse also. Nicht einmal Muskelkater in der Schulter.

Das ändert sich, als Hilpoltsteins Francisco Sanchi auf den jungen Russen Kirill Fadeev trifft. Es folgte das Heftigste, was Martin Herzog in seinen 30 Jahren als Schiedsrichter erlebt hat: Fadeev gingen ab dem zweiten Satz die Nerven durch. Der 18-jährige Heißsporn monierte mehrfach Sanchis angeblich verdeckten Aufschläge, wie er es in der Vorrunde schon erfolgreich praktizierte hatte. Doch Herzog winkt ab: Die Aufschläge waren gut sichtbar. Doch Fadeev war nicht zu beruhigen, verlor den zweiten Satz und seine Fassung.

Eine kritische Situation auch für Herzog, der jetzt Fingerspitzengefühl beweisen muss: "Ich kann mich gut in die Spieler hineinversetzen", sagt der 63-Jährige, der wie die meisten seiner Kollegen selbst noch aktiv ist und für den SV Unterwurmbach auf Punktejagd geht. So beließ er es bei zwei Ermahnungen.

Doch als Fadeev erneut protestierte, zog Herzog die gelbe Karte. Daraufhin mischte sich Vater Evgeny mit lautstarken abfälligen Bemerkungen ein, bis auch er "gelb" sah. Der ehemalige russische Nationalspieler kommentierte fortan jeden Aufschlag, ehe die Situation vollends eskalierte. Herzog war kurz davor, Fadeev aus der Halle zu weisen, die ultimative Bestrafung im Tischtennis.

Immerhin hat sich der russische Tischtennis-Fuchs hinterher entschuldigt. Herzog akzeptierte und äußerte den Verdacht: "Ich weiß, warum du das gemacht hast. " Nämlich, um Sanchi aus der Fassung zu bringen. Fadeev quittierte das mit einem schmunzeln. Genützt hat es am Ende wenig: Hilpoltstein gewann mit 6:3.

Natürlich loten alle Beteiligten die Grenzen aus. Auch die Hilpoltsteiner Akteure. Nico Christs Tritte gegen die Bande sind legendär. Auch Dennis Dickhardt ist kein Kind von Traurigkeit und hämmert nach einem verlorenen Satz mit der Faust schon mal auf den Tisch. Das verschafft ihm ganz sicher keinen Bonus bei der Schiedsrichter-Gilde.

Gegen Fortuna Passau war es dann so weit: Ein Unparteiischer zeigte Dickhardt wegen einer Lappalie gelb und brachte sich damit in Zugzwang. Beim Stande von 13:13 zückte er wegen Zeitspiels den gelb-roten Karton, gleichbedeutend mit einer Punktewertung für den Gegner. Das Pfeifkonzert gegen den Schiedsrichter half nichts. Dickhardt verlor den Punkt und am Ende auch das Match.

Ein Unparteiischer benötigt eiserne Nerven und erhält für sein Amt eine Aufwandsentschädigung von gerade einmal 25 Euro plus Fahrgeld. "Wir sind am Ende der Nahrungskette", formuliert Joachim Car Schiedsrichterobmann in Bayern: Warum also tut sich Herzog so etwas an? Als er mit seinem Stammverein SV Westheim zu Beginn der 1990er Jahre in die Landesliga aufstieg, musste der Klub einen Schiedsrichter stellen. Andernfalls wäre damals ein Ordnungsgeld von 100 Mark fällig gewesen. Doch auch nach dem nicht ganz freiwilligen Start blieb Herzogs Leidenschaft zum Tischtennis in allen Aggregatszuständen ungebrochen: Als Spieler und als Schiedsrichter.

Außerdem laufen neun von zehn Spielen völlig problemlos ab, das sei ausdrücklich erwähnt. Also wird er auch nach der Corona-Pause weitermachen und so unauffällig wie möglich die Spiele leiten. Denn so ein "Tischtennis-Verrückter" wie Martin Herzog ist ganz einfach unverzichtbar.

wwl