München
"Jetzt muss ich ein Jahr länger machen"

Nach der Olympia-Verschiebung trainiert der Pförringer Judoka Sebastian Seidl zu Hause in München

14.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:33 Uhr
Training in den eigenen vier Wänden: Der aus Pförring im Landkreis Eichstätt stammende Judoka Sebastian Seidl hält sich aktuell in seiner Wohnung in München fit. −Foto: Privat

München/Pförring - Sebastian Seidl (29) arbeitete auf Lanzarote gerade an seiner Kondition, als seine Olympia-Vorbereitungen durch das Coronavirus jäh unterbrochen wurden.

 

Seitdem hält sich der aus Pförring (Landkreis Eichstätt) stammende Judoka des TSV Abensberg in seiner Wohnung in München fit, das große Ziel Tokio ist auf nächstes Jahr verschoben. Im Gespräch mit unserer Zeitung schildert Seidl, wie sich die aktuelle Krise auf seine Situation auswirkt und warum ihm die Pause sogar gelegen kommt.

Herr Seidl, vor rund einem Monat befanden Sie sich noch mit der deutschen Judo-Nationalmannschaft im "Konditions-Camp" auf der Kanarischen Insel Lanzarote, als Sie zum ersten Mal die Konsequenzen der Covid-19-Epidemie zu spüren bekamen.

Sebastian Seidl: Stimmt. Am Anfang war noch alles gut, wir hatten super Bedingungen. Dann ging es plötzlich auch hier im Hotel los. Wir durften Pools und das Spa nicht mehr benutzen, das Essen wurde nur noch mit Handschuhen ausgegeben, ein Büffet gab es nicht mehr. Letztendlich durften wir nicht mal mehr auf die Laufbahn oder das Hotel verlassen. Wir waren eingesperrt und durften uns nur noch zu zweit bewegen. Schließlich sind wir eine Woche früher als geplant zurückgeflogen.

Allerdings ruht auch in Deutschland der Sport. Das Dojo Ihres Vereins TSV Abensberg ist ebenso vorübergehend geschlossen wie der Olympiastützpunkt in München, wo Sie in der Regel trainieren. Wie halten Sie sich aktuell fit?

Seidl: Ich habe von meinem Judo-Bundestrainer einen Stay-at-Home-Traininsplan bekommen. Ich mache in meiner Wohnung vorgegebene Workouts und habe Hanteln und Gewichte aufgebaut. So ein Kraftzirkel ist dann eine Einheit. Ansonsten gehe ich joggen. Ich habe in München einen großen Park vor der Haustür, in dem gehe ich täglich zehn Kilometer Laufen. So mache ich zwei Einheiten am Tag.

Ein gezieltes Judo-Training ist derzeit also nicht möglich?

Seidl: Nein. Es war aber eh geplant, weniger Judo zu trainieren, also ist es für mich in dieser Hinsicht gar nicht so schlimm. Ich konzentriere mich jetzt auf andere Defizite und durch die Verschiebung der Olympischen Spiele haben wir noch genug Zeit, Judo zu machen.

Sie wirken trotz der Zwangspause recht gelassen. Warum ist das so?

Seidl:Ich fühl mich ganz wohl, das Training ist abwechslungsreich und ich finde es mal nicht schlecht, ein bisschen weniger Judo zu machen. Außerdem tut mir die Judo-Pause ganz gut, weil so kleinere Verletzungen ausheilen können. Natürlich ist man ein bisschen im Rückstand, aber das ist ja die ganze Welt. Das wichtigste ist, gesund zu sein - und das ist aktuell noch der Fall.

Sie sind vom Deutschen Judo-Bund für Olympia nominiert, einige internationale Qualifikationsturniere stehen allerdings noch aus und sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie bewerten Sie ihre derzeitige Situation?

Seidl: Die Krise trifft mich schon härter, weil ich nicht mehr der Jüngste in dem Sport bin und das jetzt noch ein Jahr länger machen muss. Das Ziel bleibt aber gleich: An Olympia erst einmal teilnehmen und dann dort den Tag meines Lebens abrufen.

Sie spielen auf Ihr frühes Ausscheiden bei Ihren ersten Olympischen Spielen 2016 in Rio an? Seidl: Ja, das muss man leider sagen. Was einem wirklich im Gedächtnis bleibt, ist natürlich eine Niederlage, beziehungsweise nicht das erreicht zu haben, was man erreichen wollte.

Warum lief es bei Ihnen damals nicht rund?

Seidl: Bei uns hängt viel mit dem Losglück zusammen und ich hatte in der ersten Runde direkt den späteren Olympia-Sieger, das war extremes Pech - obwohl ich damals noch dachte, dass ich gute Chancen habe. Er war eigentlich auch kein Favorit, aber er hatte letztendlich den Tag seines Lebens. Das muss man gut verarbeiten können und dafür habe ich meine Zeit gebraucht.

Dennoch ist Olympia für Sportler etwas ganz Besonderes. An was denken Sie heute noch gerne zurück?

Seidl: Die atemberaubende Stimmung im olympischen Dorf, dieses Zusammenleben nur mit anderen Sportlern, die alle das gleiche Ziel haben. Diese Gefühl, da dabei zu sein, ist unvergleichbar und das will man natürlich wieder haben - und am besten mit einem besseren Ausgang.

Und ein besserer Ausgang scheint nicht unmöglich, wie auch Ihr damaliger Gegner in Rio unter Beweis stellte.

Seidl: Genau, das ist ja das Geile an unserem Sport. Da ist alles möglich. Es sind Sekunden und Millisekunden, die alles entscheiden. An einem guten Tag ist mit ein bisschen Glück wirklich alles drin.

Vorausgesetzt, Sie bleiben auch weiterhin vom Deutschen Judo-Verband für die Spiele nominiert. Ist Ihnen Ihre zweite Olympia-Teilnahme schon sicher?

Seidl: Nein, leider ist es jetzt so, dass sich neue Qualifikationsmöglichkeiten ergeben. Aber solange ich in Deutschland die Nummer eins bleibe oder weiterhin unter den besten 18 der Weltrangliste bin, ist mir die Nominierung sicher. Das kann sich aber in den nächsten Turnieren noch ändern. Es gibt also zwei Möglichkeiten, dass ich noch ausscheide.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Seidl: International ist die Konkurrenz in meiner Gewichtsklasse sehr hoch. Ich brauche also noch zwei, drei gute Ergebnisse unter den Besten, dann sollte das in trockenen Tüchern sein. Ich bin aktuell qualifiziert, jetzt gilt es, die Quali zu halten.

Wie geht es national weiter? Werden Sie vor Olympia noch einmal in der Bundesliga kämpfen?

Seidl: Die Bundesliga wird auf Ende des Jahres verschoben, denke ich. Nächstes Jahr wird das Ganze mit Corona kein Thema mehr sein und ich gehe fest davon aus, dass ich noch in der Bundesliga kämpfen werde und mir da die Wettkampfpraxis holen, bevor es nach Tokio geht.

Sind Sie finanzielle von der Corona-Krise betroffen?

Seidl: Ich bin Polizeiobermeister und damit auf Lebenszeit verbeamtet. Auch von der Deutschen Sporthilfe ist die finanzielle Unterstützung da. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Wie schützen Sie sich privat vor Covid-19?

Seidl: Ich halte mich an die Ausgangsbeschränkung und verlasse das Haus nur zum Joggen und um das nötigste einzukaufen. Ich sehe nur noch meine Freundin, mit der ich zusammen wohne. Meine Familie in Pförring habe ich seit zwei Monaten nicht mehr gesehen.

Vor drei Wochen gab das Internationale Olympische Komitee (IOC) bekannt, dass die Spiele in Tokio auf 2021 verschoben sind. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Seidl: Ich war erstmal enttäuscht, weil ich auch daran denke: Kann ich mit 30 Jahren noch so erfolgreich sein wie mit 29? Aber das ist alles Quatsch, natürlich kann man das. Die Olympischen Spiele sind Motivation genug.

Werden die Olympischen Spiele 2021 in Tokio ihre letzten sein?

Seidl: Ich gehe davon aus, dass ich 2024 nicht mehr in Angriff nehmen werde. Das hängt aber auch vom Ergebnis der Spiele in Tokio ab.

Das Gespräch führte

Benedikt Schimmer