Interview mit Martin Wagener
"Wir wollen diese Scharte auswetzen"

18.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:32 Uhr
Martin Wagener übernimmt den Vorsitz im FCI-Aufsichtsrat. −Foto: Eberl

Der FC Ingolstadt hat den früheren Audi-Chefjustiziar Martin Wagener zum Aufsichtsratsvorsitzenden berufen. Der 61-jährige Bochumer äußert sich zu den Aufgaben des Gremiums, Fehlern in der Abstiegssaison und zur erhofften Rückkehr in die 2. Bundesliga.

Herr Wagener, Sie machen keinen Hehl aus Ihren Sympathien für den VfL Bochum. Was ist realistischer: Ein Duell des FCI mit dem VfL in der 2. Bundesliga oder in der 3. Liga?

Martin Wagener: (grinst) Ich weiß nicht, was realistischer ist. Aber der klare Wunsch ist ein Duell in der Zweiten Liga. Denn da gehören beide Klubs hin.

Das Duell könnte aber schon in der Relegation zustandekommen. Was machen Sie dann?

Wagener: Das wäre grauenhaft. Das würde mich innerlich zerreißen. Ich bin Fan von beiden Mannschaften, durch meine Funktion und Nähe natürlich jetzt aber mehr Ingolstädter.

Sie treten zum 6. Dezember offiziell das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden bei den Schanzern an. Wie gehen Sie die neue Aufgabe an?

Wagener: Durch meine frühere Funktion als Leiter der Rechtsabteilung bei Audi weiß ich, dass man Vorbild und Kümmerer ist. Es gibt einmal pro Woche ein Treffen mit der gesamten Klubführung. Ich mische mich aber nicht in den Trainingsbetrieb ein oder suche Spieler und Trainer aus. Der Aufsichtsrat ist ein Aufsichtsorgan, verantwortlich ist die Geschäftsführung. Das wird in der Öffentlichkeit gerne vergessen.

Beim Abstieg in der vergangenen Saison erweckte der Aufsichtsrat aber genau den Eindruck, dass er seine Aufsichtspflicht nicht wahrnahm und der Entwicklung tatenlos zusah.

Wagener: Auch wenn ich es nicht gerne in der Zeitung lese, muss ich sagen: Wir waren noch berauscht von der Bundesliga. Es war nicht mehr so die Nähe da, man bekam nicht mehr so viel vom Tagesgeschäft mit. Aber wir brauchen einen engen Kontakt zur Geschäftsleitung und der Sportlichen Führung, damit die ihre Probleme loswerden können. Das ist unsere Aufgabe als Aufsichtsrat, und da ist in der vergangenen Saison einiges schiefgelaufen. Das waren nicht nur die Spieler, Trainer, Geschäftsführung und sportliche Leitung. Das waren alle.

Das ist dem Gremium mehrfach und auch von den Fans in einem offenen Brief vorgeworfen worden.

Wagener: Richtig, und das in einer sehr sachlichen Weise. Wir müssen dafür die Verantwortung übernehmen. Der Stachel sitzt tief, und wir wollen diese Scharte auch wieder auswetzen und das in Ordnung bringen. Vielleicht sind wir im Aufsichtsrat insgesamt auch zu alt geworden, deswegen haben wir den sanften Umbruch vollzogen. Wir brauchen auch eine Perspektive, wenn die aktuelle Generation einmal aufhört. Dafür müssen wir jetzt die Leute suchen, die ihr Herz da reinlegen und ihre Freizeit opfern.

Der FCI hat mit Christoph Heckl und Karl Meier, die anstelle von Alfred Lehmann und Ihres Vorgängers Frank Dreves in den Aufsichtsrat berufen wurden, zwei Positionen neu besetzt. Wie ist die Aufgabenteilung?

Wagener: Peter Jackwerth ist der Vater des Vereins, das Gesicht der Schanzer. Er steht als Aushängeschild in der Öffentlichkeit, und das soll auch so bleiben. Ich kümmere mich um die finanzielle Seite durch meinen engen Kontakt zu Geschäftsführer Franz Spitzauer. Karl Meier und Christoph Heckl sind durch ihre Vergangenheit als Trainer und Spieler mehr für den sportlichen Bereich zuständig. Andreas Schleef stellt aufgrund seiner Erfahrung im Management die richtigen Fragen. Und Wendelin Göbel ist als Nassenfelser in der Region so tief verwurzelt und auch bei Audi bestens vernetzt, dass den jeder kennt. Er ist für uns eine große Hilfe.

Mit welchen Themen muss sich der Aufsichtsrat am dringendsten beschäftigen?

Wagener: Das Thema, das immer besprochen wird, ist die sportliche Entwicklung bei den Profis - und natürlich in den Nachwuchsmannschaften. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Wir betreiben einen sehr hohen finanziellen Aufwand im Nachwuchsleistungszentrum - und der muss sich auch auszahlen. Im Moment scheint es so zu sein, dass es sich lohnt. Wenn man die vielen jungen Leute bei den Profis sieht, haben wir etwas richtig gemacht. Man muss eben manchmal zehn Jahre investieren, damit hinterher etwas dabei herauskommt.

Würden Sie sagen, dass der FCI durch den schmerzlichen Abstieg aufgewacht ist und sich wieder auf seine Wurzeln besinnt?

Wagener: Definitiv. Ich bin froh, dass wir diesen mutigen Schritt gemacht haben. Es gibt uns nämlich wieder das Gesicht zurück. Wir waren zwischendurch nicht mehr kenntlich. Das ist uns ja auch in dem offenen Brief der Fanszene vorgeworfen worden. In vielen Dingen war das richtig und hat uns geholfen, wieder in die Spur zu finden. In Ingolstadt musst du eine ehrliche, bodennahe Geschichte erzählen - sonst bist du schnell wieder in der Eventszene. An hochkarätigen Veranstaltungen haben die Leute hier genug gehabt.

Sollte im Sommer die Rückkehr in die 2. Bundesliga gelingen, bleibt der Verein dann seiner neuen Linie treu?

Wagener: Ja! Wir werden davon keinen Millimeter abweichen. Wenn wir eine Alternative im eigenen Verein haben, nehmen wir den eigenen Spieler und nicht mehr große Namen.

Auf der anderen Seite wird es immer schwieriger, den Nachwuchs zu fördern und auszubilden, je länger der FCI in der finanzschwachen 3. Liga ist.

Wagener: Das ist ein Punkt. Wir können aber aus finanzieller Sicht noch in der 3. Liga spielen. Wir müssen nicht unbedingt aufsteigen. Die Nachwuchsarbeit wird dann aber schwieriger, weil sie eben auch von Sponsorengeldern abhängt.

Thema Sponsoring: Der Vertrag mit Audi läuft bis 2021. Wie geht es danach weiter?

Wagener: Ich sehe das Engagement von Audi nicht als Sponsoring, sondern als Regionalförderung. Man zeigt damit die Verbundenheit zur Region. Die Profimannschaft ist das Zugpferd. Damit wir die größte Fußballschule Deutschlands am Laufen halten können, brauchen wir die Protagonisten im Profifußball. Dahinter stehen aber rund 10000 Kinder, die jedes Jahr die Fußballschule durchlaufen. So wird auch ein Schuh für Audi daraus. Deshalb brauchen wir nicht über 2021 sprechen, das wird langfristig so bleiben - sowohl beim FC Ingolstadt als auch ERC Ingolstadt. Der gesellschaftlichen Verantwortung darf und kann sich Audi nicht entziehen - bei allen Diskussionen über die Kosten, die es derzeit gibt. Was Audi mit Bayern München macht, ist eine Sponsoringfrage. Das hat nichts mit Ingolstadt zu tun und ist finanziell eine ganz andere Liga.

Ist es denkbar, dass Audi die Förderung im Falle eines Aufstiegs aufstockt?

Wagener: Ich würde es mir wünschen, aber ich glaube es nicht. Wir sind glücklich, wenn wir die Konditionen, die wir in den Verträgen festgelegt haben, langfristig behalten. Das ist ein angemessenes Verhältnis. Wir müssen aber auch als Klub kreativ werden.

Nach dem Abstieg forcierte der Klub bei der Sponsorensuche die Regionalisierung ...

Wagener: Das ist absolut der Weg, den wir gehen müssen, und den werden wir auch konsequent weiterverfolgen. Natürlich haben wir durch den Abstieg einige Sponsoren verloren. Aber wir zeigen einen guten Fußball. Die Zuschauerzahl ist sehr erstaunlich, für Ingolstädter Verhältnisse ist das fast auf Zweitliga-Niveau. Und ich habe die Hoffnung, dass auch die Sponsoren wieder kommen. Es ist ganz klar: Auch wenn wir irgendwann mal wieder höherklassig spielen sollten, liegt der Fokus auf der Region. Wir sollten uns auf Sponsoren fokussieren, die langfristig ein Interesse an den Schanzern und unserer Philosophie haben.

Audi und der FCI haben viel in die Infrastruktur investiert. Hat der Verein hier gegenüber anderen Standorten wie beispielsweise Regensburg oder Heidenheim, die sich in der 2. Bundesliga etabliert haben, noch Vorteile?

Wagener: Mit Geld und der Stadt bekommen wir die Spieler nicht, aber wenn sie einmal unsere Trainingsbedingungen und die Anlage gesehen haben, sind alle begeistert. Da sind wir erstligareif. Als Nico Antonitsch aus Zwickau zu uns kam, hat er große Augen gemacht.

Birgt das aber auch die Gefahr, dass die Spieler manchmal zu sehr verwöhnt werden und sich dann zurücklehnen?

Wagener: Dafür haben wir Sportdirektor Michael Henke. Er weiß genau, wann es umschlägt und das Wohlfühlklima zu gut wird. Dann gibt es eben keine Flugreise, sondern dann wird mit dem Bus auch zu weiter entfernten Spielen gefahren. Man muss schon aufpassen, dass die Jungs das alles zu schätzen wissen und mehr als nur 90 Prozent bringen.

Das ominöse A-Wort hat beim FCI bislang noch keiner in den Mund genommen. Wie groß sehen Sie die Chancen für den Aufstieg?

Wagener: Da brauchen wir nur auf die Tabelle zu schauen. Es ist ein total enges Feld. Zwölf Mannschaften von Platz 2 bis 13 liegen innerhalb von acht Punkten. Und es gibt Vereine wie Duisburg, Braunschweig oder Unterhaching, die nichts anderes im Sinn haben, als aufzusteigen. Das wird ein harter Kampf werden, aber das ist ja das Schöne daran.

Und wann bekennen sich die Schanzer offiziell zum Ziel Aufstieg?

Wagener: Ich muss solche Parolen nicht ausgeben. Aber grundsätzlich: Welcher Fußballer spielt denn, wenn er nicht aufsteigen will? Als wir mal Letzter in der 2. Bundesliga waren, habe ich in einem Interview mit Ihnen gesagt, dass unser Ziel nur die Bundesliga sein kann. Danach habe ich den Thomas Linke (Ex-Sportdirektor, d. Red.) noch nie so wütend gesehen (lacht). Deswegen: Jeder Sportler will die Nummer eins sein - das gilt auch für mich. Ich werde im Golfen niemals ein Martin Kaymer werden, aber ich möchte so gut spielen, wie ich es kann. Wenn die Spieler kapiert haben, dass sie alles geben müssen und wenn wir den Spielern dieses Gefühl einimpfen können, dann ist alles möglich. Es ist aber auch eine Gratwanderung: Übt man Druck aus oder nutzt man die Euphorie, die gerade vorhanden ist?

Der Druck ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass die 3. Liga aus finanzieller Sicht nicht mit der 2. Bundesliga mithalten kann.

Wagener: Als Funktionär kann ich nur sagen, dass wir auf Sicht in die Zweite Liga müssen. In unserer aktuellen Situation möchte ich aber keinen Druck auf die ganz jungen Spieler aufbauen. Wir müssen eine Balance finden aus Euphorie und Druck - immer mit dem klaren Ziel zurück in die 2. Bundesliga. Wann? Das ist eine andere Frage. Die Größe der Stadt und die gesellschaftliche Struktur der Region verdient Zweitliga-Fußball. Da bin ich dann wieder bei Bochum. Wenn du da ein Top-Spiel sehen willst, gehst du zu Schalke 04 oder Borussia Dortmund - und hier eben zum FC Bayern. Und wenn du ehrlichen Fußball sehen willst, gehst du zum VfL - und hier eben zum FCI.

ZUR PERSON
Martin Wagener (61) ist promovierter Jurist und war bis Juli 2019 Leiter der Rechtsabteilung der Audi AG. Seit 2008 gehört der gebürtige Bochumer, der 1987 zum Ingolstädter Autobauer kam, dem Aufsichtsrat der FC Ingolstadt Fußball GmbH an. Nach der konstituierenden Sitzung am 6. Dezember wird er offiziell die Nachfolge des bisherigen Aufsichtsratschefs Frank Dreves übernehmen, der sich am Ende der vergangenen Saison zurückgezogen hatte.

Gottfried Sterner, Julian Schultz