Ingolstadt
"Es ist Zeit für einen Umbruch"

FCI-Trainer Stefan Leitl spricht im Interview mit dem DONAUKURIER über den enttäuschenden neunten Platz

15.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:24 Uhr
Arbeitet an der Neuausrichtung: Stefan Leitl, Trainer des FC Ingolstadt, bastelt derzeit gemeinsam mit Sportdirektor Angelo Vier am Kader für die kommende Saison. Dabei wünscht sich der 40-jährige Fußballlehrer vorwiegend talentierte, hungrige Spieler zu bekommen, "die für sich und mit dem Verein, den nächsten Schritt gehen wollen". −Foto: Simon/Imago

Ingolstadt (DK) Nach dem enttäuschenden neunten Platz in der abgelaufenen Zweitliga-Saison zeigt sich FCI-Trainer Stefan Leitl selbstkritisch. Für die kommende Spielzeit setzt der 40-Jährige Coach auf personelle Veränderungen.

Herr Leitl, Kapitän Marvin Matip hat nach dem letzten Spiel gesagt, dass er sich noch nie so auf die Sommerpause gefreut hat. Geht es Ihnen genauso?

Stefan Leitl: (überlegt) Man muss schon sagen, dass es eine sehr kräftezehrende Saison war. Entsprechend freut man sich dann schon auf den Urlaub. Was haften bleibt, ist natürlich der letzte Eindruck, das letzte Spiel. Und das haben wir nun einmal verloren. Deshalb verstehe ich Marvin auch, weil bei uns allen die Enttäuschung riesengroß war.

Nun geht man unzufrieden aus der Saison, dabei war man in der Winterpause noch so zuversichtlich und hat den Aufstieg als Ziel ausgerufen. Was ist danach schief gelaufen?

Leitl: Zunächst einmal waren wir zum damaligen Zeitpunkt alle davon überzeugt, dass es richtig ist, mit diesem Ziel in die Restrunde zu gehen. Hätten wir damals erzählt, dass wir Vierter bleiben wollen, wären wir doch für verrückt erklärt worden. Zumal wir einen Rückstand hatten, der absolut aufzuholen war.

Wo war dann der Wendepunkt?

Leitl: Ein Stachel, der wirklich tief saß, war die Niederlage in Regensburg, wo wir 2:0 geführt haben, 70 Minuten klar auf der Siegerstraße waren und dann doch noch 2:3 verloren haben. Danach war um uns herum schon alles sehr negativ. Bemerkenswert war dann auch, dass direkt danach das 3:0 gegen Fürth - eigentlich eine gute Reaktion der Mannschaft - keine wirkliche Euphorie erzeugen konnte.

Zumal sehr bald eine Serie mit drei Niederlagen folgte. . .

Leitl: . . . und dann eine mit sieben Zählern aus drei Spielen. Es war ein ständiges Auf und Ab. Wir haben es einfach nicht geschafft, Konstanz in unser Spiel zu bekommen, um wirklich oben eingreifen zu können.

Ist in der angesprochenen Negativphase das Mannschaftsgefüge kaputtgegangen?

Leitl: Nein, überhaupt nicht. Wenn man die Niederlagen gegen St. Pauli, Duisburg und Bochum einzeln betrachtet, waren wir in diesen Partien ja auf Augenhöhe. Zweimal hatten wir zum Beispiel die Chance, per Elfmeter in Führung zu gehen. Insgesamt fehlte uns die letzte Gier, um diese Partien für uns zu entscheiden. Und dann hat man es auch nicht verdient.

Unmittelbar nach dem Bochum-Spiel verkündete Sportdirektor Angelo Vier, dass nun der Spielansatz geändert werden müsse. Inwieweit sind Sie dazu gedrängt worden?

Leitl: Da muss ich ein bisschen ausholen: Im August haben wir eine Mannschaft übernommen, die mental in einem richtig schlechten Zustand war. Mit einem einfachen Spielansatz haben wir die Wende geschafft. Mit zunehmendem Selbstvertrauen wollten und konnten die Jungs immer dominanter auftreten. Wir haben im spielerischen Bereich eine große Entwicklung genommen und waren zugleich erfolgreich.

Was Mitte der Rückserie dann aber nicht mehr funktioniert hat. Hätten Sie rückblickend früher eingreifen müssen?

Leitl: In der Nachbetrachtung war es ein Fehler, den Ballbesitzfußball in der Winterpause so intensiv voranzutreiben. Beim Bochum-Spiel haben wir schon in der Halbzeit einfachere Dinge eingefordert und zum Beispiel mehr auf schnelle Bälle in die gegnerische Hälfte gesetzt, um das Risiko bei der Spieleröffnung zu reduzieren.

Nicht unproblematisch war sicherlich auch der Umstand, dass Sie mit Dario Lezcano und Stefan Kutschke zwei grundverschiedene Stürmertypen zur Verfügung hatten, die unterschiedliche Spielansätze notwendig machten.

Leitl: Die Überzeugung, auch innerhalb der Mannschaft, war aber immer da. Wir dachten schon, dass wir mit Akteuren wie Sonny Kittel und Thomas Pledl Jungs haben, die diese Stürmer entsprechend ins Spiel bringen können. Das hat aber eben nicht wie gewünscht funktioniert, sodass wir den Ansatz ändern mussten.

Der Verein hat vor der Saison mit Marcel Gaus und Kutschke zwei klassische "Mentalitätsspieler" verpflichtet. Waren Sie enttäuscht, dass beide diese Fähigkeit so selten einbringen konnten?

Leitl: Nein. Für Spieler, die neu zum Verein kommen, ist es immer schwer, sich sofort so zu positionieren. Das dauert schon etwas. "Gausi" hat sich ja etabliert und fast alle Spiele gemacht. Bei "Kutsche" war es ein Auf und Ab. Er hatte mit seinen beiden verschossenen Elfmetern auch unglückliche Situationen zu verarbeiten. Zum Ende hin kam seine Mentalität aber immer mehr zum Tragen.

Zeitweise wirkte es jedoch so, als sei Kapitän Matip der einzige Führungsspieler.

Leitl: Wir haben in der Winterpause den Mannschaftsrat umbesetzt und hatten uns erhofft, dass Marvin von diesen Spielern Unterstützung bekommt. Keine Frage, da hätte ich mir mehr gewünscht.

Sind Sie besonders von Tobias Levels enttäuscht, den Sie ja extra zurückgeholt haben?

Leitl: Ich bin überhaupt nicht von ihm enttäuscht. Ihn als so starke Persönlichkeit zurückzuholen, war zu diesem Zeitpunkt wichtig. Die Mannschaft war mental am Boden. Dass er zum Schluss nicht mehr gespielt hat, hatte sportliche Gründe. Viele Probleme, die wir in der Defensive hatten, sind nun mal über die rechte Seite entstanden. Zugleich hatte Frederic Ananou sehr gut trainiert, und er ist unsere Zukunft auf dieser Position.

Wieso behauptet Levels jetzt, dass er zuletzt grundlos vom Training suspendiert gewesen sei? War er deshalb nicht bei der Verabschiedung?

Leitl: Es war kein Spieler suspendiert, das stimmt nicht. Es waren auch alle Spieler im Training. Wir haben uns lediglich entschieden, die letzten beiden Einheiten vor den Spielen in Braunschweig und gegen Kaiserslautern mit einem 18er-Kader zu absolvieren. Mich hätte es gefreut, wenn Tobi zur Verabschiedung gekommen wäre, aber das ist seine Entscheidung.

Auch Christian Träsch saß in den letzten beiden Spielen nur auf der Bank. Warum?

Leitl: Auch das hatte nur sportliche Gründe. Gegen Braunschweig war klar, dass wir dort gegen die physische Präsenz und die langen Bälle der Eintracht reagieren müssen, deshalb wählten wir mit Tobias Schröck und Almog Cohen eine defensive Variante. Und gegen Kaiserslautern wollten wir noch einigen anderen Spielern Einsatzzeit geben.

Täuscht der Eindruck, dass Alfredo Morales und Almog Cohen nach dem Abstieg nie richtig in der Zweiten Liga angekommen sind?

Leitl: Das finde ich nicht, weil "Alfi" eine gute Saison gespielt hat. Mit Schwankungen, aber er war ein Fixpunkt und hat versucht voranzugehen. Almog hatte von Beginn an mit Verletzungen zu kämpfen und war nie in einem richtigen Rhythmus. Er ist deswegen nicht an die Leistungen aus der Bundesliga herangekommen. Ich hoffe, dass er verletzungsfrei durch die Sommervorbereitung kommt, weil er das für sein Spiel braucht.

Wie weit sind Phil Neumann, Max Thalhammer und Frederic Ananou, die jeweils nur wenige Einsätze bekamen?

Leitl: Phil Neumann hatte einen schwierigen Start im ersten Saisonspiel und musste sich danach erst fangen. Dann war es schwierig für ihn, Fuß zu fassen, weil wir mit Matip und Wahl in der Innenverteidigung stabil standen, und sich Schröck in der Rückrunde auf dieser Position als Aktivposten herauskristallisierte. Phil gehört die Zukunft, er muss sich aber im Training noch mehr zeigen. Bei Max Thalhammer ist es genauso. Er bekam die Chance und hat sie auch gut genutzt. Aber danach hat mir ein bisschen gefehlt, dass er diesen unbedingten Willen zeigt, immer spielen zu wollen. Der war noch nicht da. Er ist eines unserer größten Talente im Verein und muss mehr an sich glauben, das haben wir ihm mit auf den Weg gegeben. Fredi Ananou haben wir ein halbes Jahr Eingewöhnungszeit geben, um ihn auch speziell als Rechtsverteidiger zu schulen. Er ist jetzt soweit.

Was sprach für die Verpflichtung von Charlison Benschop?

Leitl: Charlie passt einfach in unser Profil. Er ist ein absoluter Teamplayer, hat physische Präsenz und ist schnell. Hinzu kommt, dass er ablösefrei ist und nachweislich in der Zweiten Liga schon überzeugt hat. Natürlich hat er zuletzt weniger gespielt und war auch mal angeschlagen. Aber wenn er 70 Bundesliga-Spiele gemacht hätte, hätten wir ihn nicht bekommen.

In der Rückrunde war der FCI mit 20 Punkten das fünft-schwächste Team der Liga. Trotzdem hat der Verein früh das Signal gesendet, dass es mit Ihnen weitergeht. Das ist nicht bei vielen Vereinen denkbar, oder?

Leitl: Absolut nicht. Ich habe aber auch während der Saison nie gespürt, dass Kritik an unserer Arbeit aufkam. Die Ergebnisse haben nicht gepasst. Es war schön, frühzeitig zu hören, dass wir weitermachen dürfen, und das ist auch ein Ansporn für die nächste Saison, es besser zu machen. Wir werden noch intensiver arbeiten, um erfolgreich zu sein.

Mit welchen Gedanken gehen Sie in die neue Saison?

Leitl: Mit unheimlich viel Freude und neuem Elan. Alle sind gespannt, wie es weitergeht. Wir suchen junge, entwicklungsfähige Spieler, die für sich und den Verein den nächsten Schritt gehen wollen. Es ist Zeit für einen Umbruch, weshalb wir versuchen, uns in allen Mannschafts-teilen zu verstärken. Auch in diesem Sommer verlassen uns verdiente Spieler aus der Aufstiegssaison, sodass eine Epoche langsam zu Ende geht. Jetzt muss Platz sein für einen Neuanfang.

Das Interview führten Norbert Roth und Gottfried Sterner.