Interview
"Der DOSB ist an einem Tiefpunkt angekommen"

Clemens Prokop über die Probleme des DOSB, und wie man den deutschen Spitzensport wieder auf Kurs bringt

26.10.2021 | Stand 23.09.2023, 21:32 Uhr
Clemens Prokop aus Saal im Landkreis Kelheim war von 2001 bis 2017 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. −Foto: dpa

Clemens Prokop über die Probleme des DOSB, und wie man den deutschen Spitzensport wieder auf Kurs bringt

 

Herr Prokop, Sport-Deutschland sucht eine neue Führung. Die Debatte um einen Nachfolger von Alfons Hörmann als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist in vollem Gang. Der neue DOSB-Chef soll am 4. Dezember wählt werden, seine Aufgaben sind gewaltig. Wie kann man das Schiff wieder auf Erfolgskurs bringen?

Clemens Prokop: Es gibt sicherlich nicht den Schalter, den man umlegt, damit der Sport wieder in großem Glanz erstrahlt. Es ist eine Runderneuerung des DOSB erforderlich. Und so eine Runderneuerung erfordert nach meiner Auffassung nicht nur neue Inhalte, sondern auch neue Personen, sodass ich persönlich für eine komplette Erneuerung der DOSB-Spitze plädiere. Es müssen rundherum neue Akzente gesetzt werden.

Es kursieren unterschiedliche Namen. Welche Optionen gibt es?

Prokop: Es gibt momentan im Prinzip drei Initiativen: Zum einen die Initiative für Thomas Weikert, die von einer Reihe von Fachverbänden unterstützt wird. Dann gibt es eine Gegeninitiative aus den Kreisen des Landessportbunds Nordrhein-Westfalen, und es gibt die beauftragte Kommission unter der Führung des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der einen Kandidatenvorschlag machen soll. Es ist für mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar, ob es am Ende nur einen Kandidaten oder eine Kandidatin oder möglicherweise eine Kampfkandidatur geben wird.

Die größten Chancen werden Thomas Weikert zugerechnet. Ist er in Ihren Augen ein geeigneter Kandidat?

Prokop: Ich kenne Thomas Weikert seit vielen Jahren, er hat eine sehr erfolgreiche Laufbahn als Präsident des Deutschen Tischtennis-Verbandes und des -Weltverbandes hinter sich. Ich schätze ihn als sehr integren Charakter, fachlich kompetent, und ich glaube, er wäre auf jeden Fall ein guter DOSB-Präsident. Auch als Vorsitzender des DOSB-Vorstandes wäre er sehr zu begrüßen.

Auch Ihr Name war im Gespräch. Haben Sie Ambitionen?

Prokop: Das ist richtig, aber nein. Für mich ist es kein Thema, weil ich auf der einen Seite mit meinem Beruf als Landgerichtspräsident durchaus ausgelastet bin, und zum anderen auch inzwischen die Lebensqualität von freien Wochenenden durchaus zu schätzen weiß.

Ein neuer Präsident wird nicht reichen. Der DOSB, vielleicht sogar der deutsche Sport allgemein, braucht einen grundlegenden Wandel. Es heißt, der Bund habe unter anderem ein schlechtes Verhältnis zum IOC, zur Politik, zu einigen Mitgliedsorganisationen. Veränderungen in der Verbandskultur seien nötig. Was läuft schief?
Prokop: Ich glaube, der DOSB ist zum jetzigen Zeitpunkt an einem gewissen Tiefpunkt angekommen. Ein Punkt ist ein scheinbar zerrüttetes Verhältnis zumindest zu einigen Beamten des Innenministeriums und damit zum bedeutendsten Sponsor des deutschen Sports. Dann gab es eine harsche Kritik des IOC-Präsidenten Thomas Bach, die in Form und Inhalt höchst ungewöhnlich ist, aber doch ein Maßstab ist, dass hier die internationale Vertretung des DOSB einen gewissen Niedergang erlebt hat. Dann natürlich der Rückgang im Spitzensportbereich, wir haben die Ergebnisse in Tokio erlebt. Hier entwickelt sich der deutsche Spitzensport nach unten.

Bei den Olympischen Spielen in Tokio gab es im vergangenen Sommer mit 37 Medaillen so wenige wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Was ist der wichtigste Punkt, damit Deutschland international wieder besser mithalten kann?
Prokop: Das ist die Konzeption des Leistungssports. Momentan verwaltet der DOSB die gesamte Bandbreite des Sports, vom Hochleistungssport bis zum Gesundheitssport. Es zeigt sich, dass diese Gesamtverwaltung des Sports einfach nicht mehr der Besonderheit des Hochleistungssports gerecht wird. Sinnvoll wäre die Ausgliederung des Leistungssports in eine eigene Strukturform, sei es eine Leistungssport GmbH Deutschland als Beispiel, um dann gemeinsam mit den Athletenvertretungen neue Strukturen aufzubauen und die begonnene Leistungssportreform konsequent und erfolgreich umzusetzen. Generell braucht es eine viel stärkere Einbindung der Athleten als die Hauptprotagonisten im Sport.

Wie könnte man den Sport in Deutschland noch verbessern?

Prokop: Die Ausgliederung müsste man kombinieren mit einer verbesserten Form der Talentfindung, denn auch mit unseren Strukturen der Talentfindung und der Talentförderung sind wir nicht mehr in der Lage, international im absoluten Top-Bereich mitzuhalten. Wichtig wäre hier eine Offensive im Bildungsbereich. Wir erleben seit vielen Jahren einen Niedergang der Bedeutung des Schulsports, vor allem im Bereich der Talentfindung. Hier sind neue innovative Ideen erforderlich und Kooperationen mit Bildungseinrichtungen, um diesen Niedergang zu stoppen.

Der DOSB hat im Corona-Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 fast 800000 Mitglieder verloren. Sind die Herausforderungen in der Pandemie-Zeit noch gewachsen?
Prokop: Die Pandemie war natürlich eine echte Belastungsform für den Sport, das ist gar keine Frage. Aber im Lockdown hat man gesehen, dass der Sport bei den Maßnahmen und bei den Diskussionen faktisch keine Rolle gespielt hat, jedenfalls nicht der Vereins- und Breitensport. Das Selbstverständnis des DOSB von einem gesellschaftlichen Riesen wurde da konterkariert. Es hat sich gezeigt, dass der DOSB eher ein Scheinriese ist und sein gesellschaftlicher Einfluss sich doch äußerst gering darstellt. Es ist natürlich eine Herausforderung für die Zukunft, das heißt, es wird alles dranzusetzen sein, die verlorenen Mitglieder zurückzugewinnen. Das schaffe ich nur über entsprechende Angebote, auch gerade in Zeiten der Pandemie, die ja noch fortbesteht.

In 100 Tagen werden die Olympischen Winterspiele eröffnet. Die Kritik am Regime in China ist aus unterschiedlichen Gründen riesig. War es ein Fehler, die Spiele nach Peking zu geben?

Prokop: Die Olympischen Spiele wurden in ein Land vergeben, das die Menschenrechte nicht einhält. Damit wird ein System durch die Spiele aufgewertet, das es unter diesen Aspekten nicht verdient hat. Unter den Gesichtspunkten, dass China nicht nur die Menschenrechte insbesondere der Uiguren verletzt, sondern im asiatischen Raum zunehmend dominant bis aggressiv auftritt, ist es problematisch, Olympische Spiele durchzuführen. Aber das sind Fragen, die nicht auf dem Rücken der Athleten ausgetragen werden sollten, sondern auf der Ebene des IOC, das sich nach meinem Eindruck mit diesen Fragen nicht in ausreichendem Maße auseinandersetzt.

Die Debatten über einen Boykott schwelen. Eine Lösung?

Prokop: Die Geschichte hat gezeigt, dass Boykotte bei Olympischen Spielen alle nutzlos waren. Wir hatten 1980 den Boykott der Spiele in Moskau und umgekehrt 1984 einen Teilboykott der Spiele in Los Angeles. Beide Maßnahmen haben eigentlich politisch nichts bewirkt, sodass ich von einem Boykott per se nichts halte. Ich glaube, was unternommen werden muss, ist zu versuchen, das IOC zu beeinflussen, dass der Maßstab der Demokratie und der Einhaltung von Menschenrechten bei der Vergabe von Olympischen Spielen mindestens so wichtig ist wie der bauliche Zustand von Stadien.

Hat man damit eine Chance bei einem IOC unter der Führung von Thomas Bach?

Prokop: Das in der Tat ist schwierig. Die Geschichte lehrt auch hier, dass das IOC sich von diesen Fragen in der Vergangenheit nicht groß beeindrucken hat lassen. Aber das kann nicht Grund sein, mit diesem Bemühen aufzuhören. Es müsste eher Ansporn sein, auf allen Ebenen zu versuchen, den Druck zu erhöhen, damit künftig grundlegende Fragen der Menschenrechte ein wesentliches Vergabekriterium werden.

DK

 

 

Julia Pickl