„Es ist okay, große Träume zu haben“
100 Spiele als ERC-Trainer: Mark French feiert am Sonntag Jubiläum

17.12.2023 | Stand 17.12.2023, 21:32 Uhr

Raketenstart: Gleich in seinem Premierenjahr wurde Mark French „Trainer des Jahres“ und feierte mit dem ERC Ingolstadt die Vizemeisterschaft. Foto: Traub

Im Spiel bei den Grizzlys Wolfsburg an diesem Sonntag (16.30 Uhr/Magenta Sport) ist Mark French zum 100. Mal als Trainer des ERC Ingolstadt im Einsatz. Ein Anlass, um auf die Erfolge des Kanadiers mit den Panthern zu blicken – und zu schauen, was da noch kommen könnte.



Herr French, welches der 100 Spiele mit dem ERC ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Mark French: Das erste Heimspiel war ein sehr wichtiges für mich. Ich durfte vor den Augen von immerhin zwei Dritteln meiner Familie coachen. Das hat mir sehr viel bedeutet, nachdem ich die zwei Jahre zuvor getrennt von ihr gewesen war. Auch das erste Finalspiel gegen München war besonders – allein auf dieser großen Bühne zu stehen, auch wenn das Spiel nicht zu unseren Gunsten ausging.



Zählt das spektakuläre letzte Viertelfinalspiel gegen die Düsseldorfer EG, das der ERC in der Verlängerung mit 7:6 gewann und somit ins Halbfinale einzog, auch dazu?


French: Ja klar! Das war ein klasse Spiel. Ich weiß nicht, ob es noch ein anderes Spiel gab, in dem ich die Verbindung zu den Fans so stark gespürt habe. Sie haben einen großen Teil dazu beigetragen, dass wir gewonnen haben, indem sie uns immer weiter nach vorne trieben. Diese Emotionen in der Halle werde ich wohl nie vergessen.

Als Sie nach Ingolstadt kamen, kannten Sie weder die Mannschaft noch die Liga. Wann wurde Ihnen zum ersten Mal bewusst, dass Sie mit diesem Team um die Meisterschaft spielen können?

French: Ich durfte bisher zwei Meisterschaften feiern, und wenn man auf seine Karriere zurückblickt, sind das die Dinge, die dich antreiben. Das legt man immer als Ziel fest, für das kämpft man die ganze Saison. Aber es ist klar, man muss täglich dafür arbeiten. Uns war nicht klar, ob wir all die vielen Hürden überwinden können, die sich uns während der Saison in den Weg stellten. Aber wir haben es geschafft – und das hat uns auf den Kurs gebracht, der erst im Finale gestoppt wurde.

Sie sagten mal, Sie seien extrem lernbegierig. Was haben Sie in Ingolstadt bisher dazugelernt?

French: Ich habe natürlich inzwischen viel über die Liga gelernt. Sicherlich war es ein Vorteil, dass ich schon in vielen verschiedenen Ligen trainieren konnte. Deshalb war das keine riesige Herausforderung für mich, als Neuling in die Liga zu kommen, weil ich das eben davor schon häufiger erlebt hatte. Aber natürlich gewöhnt man sich mehr an die Spieler, man versteht die Gegner besser. Genauso lernt man, welche Art von Eishockey auf DEL-Niveau erfolgreich sein könnte. Ich lerne auch weiter ständig dazu. Es ist ein täglicher Prozess, die passende Botschaft zu finden und die Dinge richtig anzustoßen.

In der vergangenen Saison hatte das von Beginn an funktioniert. In dieser Spielzeit tat sich der ERC dagegen lange sehr schwer. Was war das Problem?

French: Zunächst: Ich sehe das nicht als Problem, sondern als Chance. Die Vorbereitung lief in diesem Sommer genauso gut wie in der vergangenen Saison. Aber wir haben zu Beginn viele enge Spiele verloren. Solche Duelle hatten wir in der vergangenen Saison meist noch für uns entschieden. Und sowas prägt die Meinung über das Team. In unserem Beruf geht’s nun mal rein um Ergebnisse. Zwischen Gewinnen und Verlieren ist es nur ein schmaler Grat auf diesem Niveau.

Einer der Gründe für den Erfolg in der vergangenen Saison war der große Teamgeist der Panther. Wie stark ist der Zusammenhalt in dieser Saison?

French: Der Teamgeist ist exzellent. Man lernt die Mitglieder einer Mannschaft besser kennen, wenn der Weg mal steiniger wird, wenn man mit Herausforderungen konfrontiert wird. In dieser Phase hat uns der Charakter der Gruppe und der einzelnen Spieler zuversichtlich gestimmt, dass wir die Schwierigkeiten überwinden können.

Einer Ihrer Lieblingssätze lautet: Das Leben besteht zu zehn Prozent daraus, was passiert, und zu 90 Prozent, wie man darauf reagiert. Wie haben Sie auf den schwierigen Start reagiert, mit welchen Methoden haben Sie Ihre Spieler nach vorne gebracht?

French: Es ist wichtig, dass man prozessorientiert und auch ein wenig emotionslos diesen Dingen gegenüber bleibt. Man muss einfach die richtigen Lösungsansätze finden und die geeigneten Botschaften an die Jungs richten.

Hat es dabei geholfen, dass Sie einst Psychologie studiert haben?

French: (lacht) Nein. Viel hilfreicher für mich war das Umfeld, das uns sehr unterstützt hat, von Tim (Sportdirektor Regan, d. Red.) bis zum Trainerteam. Wir hatten viele gute Gespräche zu der Zeit, als wir mit den Ergebnissen haderten. Persönlich hat mir eher meine Erfahrung geholfen, dass ich auf manche ähnliche Situation in meiner Trainervergangenheit zurückgreifen konnte.

Einige junge Spieler haben seit Ihrem Antritt in Ingolstadt eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen, wie Wojciech Stachowiak, Leon Hüttl oder Enrico Henriquez. Wer hat Sie am meisten begeistert?

French: Es ist schwer, einen herauszupicken. Man muss ihnen allen anrechnen, dass sie ihre Chance wirklich genutzt haben, Wojo und Chili als allererstes. Sie fingen in der vierten Reihe an – und dann kam das Spiel in Mannheim, als wir ersatzgeschwächt antraten und sich für sie die Möglichkeit ergab, Verantwortung zu übernehmen. Das haben sie getan und sich damit ihre Rollen im späteren Saisonverlauf verdient. Bei Leon waren Brad (Co-Trainer Tapper, d. Red.) und ich uns gleich sicher, dass er sich nach oben spielen kann. Aber auch ihm muss man anrechnen, dass er seine Chance genutzt hat.

In dieser Saison fällt vor allem Philipp Krauß’ Sprung auf.

French: Krauß ist in der vergangenen Saison vielleicht noch hinter seinen Möglichkeiten geblieben, aber er hat viel gespielt und permanent Fortschritte gemacht. Das zahlt sich in dieser Saison aus. Auch bei Jan Nijenhuis sehen wir übrigens eine konstante Entwicklung.

Wie intensiv können Sie als Trainer zu diesen positiven Entwicklungen beitragen?

French: Unser Trainerteam genießt es, mit jungen Spielern an der Entwicklung ihres Talents zu arbeiten, egal ob Jeff MacLeod in der vergangenen Saison oder nun Artur Grass. Maritta Becker leistet fantastische Arbeit, um die Fitness der jungen Spieler zu verbessern. Sie hat einen wesentlichen Anteil an deren Erfolg. Uns macht es wirklich sehr viel Spaß, mit dieser Altersgruppe zu arbeiten, Brad und ich haben ja früher in Kanada auch Juniorenteams trainiert.

Die erste Hälfte der Hauptrunde ist vorbei, der ERC befindet sich eindeutig im Aufwind. Was ist noch drin mit den Panthern in dieser Saison?

French: Wir sind immer noch im Lernprozess. Wir haben schon einige Hürden überwunden, und wir werden zweifellos auf weitere treffen. Für mich geht es darum, wie wir gegen diese Widerstände ankämpfen werden. Das wird entscheidend für den Saisonverlauf sein. Jeder hat hohe Ziele, und ich finde, es ist okay, große Träume zu haben. Aber es muss uns bewusst sein, dass wir täglich daran arbeiten müssen, um sie zu verwirklichen.

Ihr Vertrag in Ingolstadt läuft bis zum Ende der kommenden Saison. Was kommt danach? Was möchten Sie noch erreichen?

French: Je älter ich werde, desto mehr ist mir das Vermächtnis wichtig, dass ich etwas zurücklasse. Und damit meine ich nicht Siege und Niederlagen, sondern dass ich Spuren hinterlasse. Es geht darum, in der Karriere eines Spielers einen Unterschied gemacht, einen Verein nach vorne gebracht oder in einer Gemeinschaft einen wertvollen Beitrag geleistet zu haben.

Können Sie sich vorstellen, noch länger in Ingolstadt zu bleiben?

French: Das ist schwer vorherzusagen, denn meine Familiensituation ändert sich gerade ständig. Nach unserer Tochter ist nun auch unser Sohn nach Nordamerika gezogen. Sie spielen beide Eishockey dort. Wir wussten, dass das auf uns zukommt, das ist auch völlig in Ordnung, nur ist es etwas früher passiert als bei den meisten anderen Familien. Das sind große Veränderungen für mich und meine Frau, wir vermissen unsere Kinder.