Gedanken zur neuen Arbeitswelt

10.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:16 Uhr
Deutlich unterrepräsentiert sind Arbeitszeitkonten zum Beispiel in Betrieben des Gastgewerbes. −Foto: Getty Images

Im nachfolgenden Gastbeitrag handelt es sich ebenso wie im nebenstehenden grauen Kasten um Auszüge einer Analyse aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB-Kurzbericht 15/2018).

Das IAB ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Die Autoren Peter Ellguth, Hans-Dieter Gerner und Ines Zapf beschäftigen sich darin mit dem Thema "Arbeitszeitkonten in Betrieben und Verwaltungen - Flexible Arbeitszeitgestaltung wird immer wichtiger".

Viele Beobachter und Betroffene machen sich - auch angesichts des absehbaren Fachkräftemangels und gestiegener Unsicherheit - Gedanken über eine "neue Arbeitswelt", in der die Arbeitnehmer selbstständiger über Arbeitsorganisation, Arbeitsumgebung und Arbeitszeit entscheiden.
Die Grundidee von Arbeitszeitkonten ist seit jeher, dass sie als Instrument dienen sollen, um für Beschäftigte mehr Zeitsouveränität und für Betriebe Flexibilitätsspielräume zu schaffen. Zudem können sie aber auch in Krisenzeiten das betriebliche Beschäftigungsniveau stabilisieren.

Ganz allgemein handelt es sich bei diesem personalpolitischen Instrument um eine Möglichkeit, Abweichungen der erbrachten Arbeitszeit von der vertraglich vereinbarten aufzuzeichnen. Für Arbeitnehmer ergeben sich Arbeitszeitguthaben, wenn die erbrachte Arbeitszeit die vertragliche Arbeitszeit übersteigt und Arbeitszeitschulden, wenn die erbrachte Arbeitszeit geringer ist als die vertragliche.

Je nach Ausgestaltung der Arbeitszeitkonten können sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer davon profitieren. Arbeitgebern bieten sie die Möglichkeit, den Arbeitseinsatz an die Auftragslage anzupassen, ohne Personal einzustellen oder zu entlassen. Dadurch sparen sich die Betriebe Such- und Einarbeitungskosten sowie Entlassungskosten. Beschäftigte können neben der gewünschten Beschäftigungsstabilität einen Gewinn aus diesem Instrument ziehen, wenn es ihnen beispielsweise hilft, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Dies gilt insbesondere für sogenannte Kurzzeitkonten. Darunter versteht man Arbeitszeitkonten, auf denen die Salden, also Guthaben oder Schulden, innerhalb eines Zeitraums von bis zu einem Jahr ausgeglichen werden müssen oder diese zu einem Stichtag einen bestimmten Wert nicht überschreiten dürfen. Diese Frist wird als Ausgleichszeitraum bezeichnet.

Darüber hinaus gibt es sogenannte separate Langzeitkonten (auch "Zeitwertkonto"). Diese haben aus Sicht der Beschäftigten den Zweck, größere Guthaben für längere Freistellungen (Sabbaticals) anzusparen oder einen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand zu ermöglichen. Betriebe bieten solche Konten etwa an, um für Bewerber attraktiver zu sein.

Beschäftigte können Arbeitszeitkonten aber kaum ausschließlich nach persönlichen Bedürfnissen nutzen. Vielmehr zeigt sich, dass sich die gestiegene Arbeitszeitflexibilität primär an den betrieblichen Interessen orientiert. Das heißt, Beschäftigte können Arbeitszeitkonten dann für eigene Belange nutzen, wenn dies mit den betrieblichen Erfordernissen vereinbar ist. So müssen Beschäftigte einen geplanten Abbau von Arbeitszeitguthaben häufig vorab mit Vorgesetzten und Kollegen absprechen, damit dieser nicht den betrieblichen Bedürfnissen entgegensteht. Wie die Beschäftigten Arbeitszeitguthaben auf- und abbauen können, dürfte dabei insbesondere von der betrieblichen Kapazitätsauslastung abhängen.

Arbeitszeitkonten wurden in der Großen Rezession 2008/2009 besonders intensiv genutzt, um die Arbeitszeiten von Beschäftigten vorübergehend zu verkürzen. Hier hat sich gezeigt, dass der Einsatz dieses Instruments dazu beitragen kann, negative Beschäftigungsanpassungen in Krisenzeiten hinauszuzögern oder sogar zu vermeiden. Die Befunde zu den längerfristigen Beschäftigungswirkungen von Arbeitszeitkonten in der Großen Rezession sind zwar nicht einheitlich. Es besteht allerdings kein Zweifel daran, dass sie zumindest kurzfristig zur Stabilisierung des Beschäftigungsniveaus beigetragen beziehungsweise den Betrieben eine Verschnaufpause verschafft haben.

Arbeitszeitkonten sind in größeren Betrieben deutlich weiter verbreitet als in kleineren. Unter den Betrieben mit 250 und mehr Beschäftigten lag der Anteil im Jahr 2016 bei rund 81 Prozent, wohingegen bei den Kleinbetrieben mit bis zu neun Beschäftigten nur rund jeder vierte Betrieb Arbeitszeitkonten führte. Die seit 1999 insgesamt festgestellte Zunahme an Betrieben mit Arbeitszeitkonten hat sich in den einzelnen Größenklassen weitgehend parallel vollzogen. Auch der Anteil der Beschäftigten mit einem Arbeitszeitkonto fällt über alle größeren Betriebe höher aus als über alle kleineren. Im Jahr 2016 hatten rund 72 Prozent der Beschäftigten, die in einem Betrieb mit mindestens 250 Beschäftigten arbeiten, Arbeitszeitkonten. In Betrieben mit bis zu neun Beschäftigten waren es rund 24 Prozent.

Dagegen sind in größeren Betrieben, die Arbeitszeitkonten führen, anteilig weniger Beschäftigte in die Regelungen einbezogen als in kleineren Betrieben mit Arbeitszeitkonten: In Betrieben mit mindestens 250 Beschäftigten waren es rund 85 Prozent, während es in Kleinbetrieben mit bis zu neun Beschäftigten rund 92 Prozent der Belegschaft waren. Dies ist auf mehrere Gründe zurückzuführen. Zum einen verursachen Arbeitszeitkonten betriebliche Kosten bei der Einführung und Pflege. Diese sind in kleineren Betrieben in Relation zur Beschäftigtenzahl höher als in größeren Betrieben. Daher erscheint eine Einführung und Nutzung von Arbeitszeitkonten in kleineren Betrieben nur dann sinnvoll, wenn möglichst alle Beschäftigte einbezogen werden. Zum anderen haben kleinere Betriebe häufig keine differenzierte Arbeitszeitpolitik, vielmehr gelten die Arbeitszeitregelungen meist uneingeschränkt für alle Beschäftigten. In größeren Betrieben ist die Arbeitszeitpolitik dagegen oft differenzierter und bei unterschiedlichen Beschäftigtengruppen werden verschiedene Instrumente zur Arbeitszeitflexibilisierung genutzt. So gelten Arbeitszeitkontenregelungen häufig nur für einen bestimmten Teil der beschäftigten Arbeitnehmer, während unter bestimmten Beschäftigtengruppen, wie Führungskräften, beispielsweise die Vertrauensarbeitszeit weiter verbreitet ist.

Arbeitszeitkonten sind nach Branchen ebenfalls sehr unterschiedlich verbreitet. Am häufigsten gibt es Arbeitszeitkonten in der öffentlichen Verwaltung und Sozialversicherung (76 Prozent der Betriebe und Verwaltungen), im Bereich Energie, Wasser, Abfall und Bergbau (59 %) sowie im Bereich der Produktionsgüter (54 %). Deutlich unterrepräsentiert sind Arbeitszeitkonten in Betrieben der Finanz- und Versicherungsdienstleister (26 %) sowie im Gastgewerbe (24 %).

Dementsprechend ist auch der Anteil der Beschäftigten mit Arbeitszeitkonten in der öffentlichen Verwaltung und Sozialversicherung am höchsten (78 %) und im Gastgewerbe am geringsten (34 %). Da die Nutzung von Arbeitszeitkonten mit der Betriebsgröße zunimmt, liegen die Anteilswerte der Beschäftigten in allen Branchen über denen der Betriebe. Im Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen ist dieser Unterschied am deutlichsten ausgeprägt: In nur 26 Prozent der Betriebe gibt es Arbeitszeitkonten, aber fast zwei Drittel der Beschäftigten in dieser Branche verfügen über ein solches Konto (63 %), da hier ein besonders großer Teil der Beschäftigten in Großbetrieben arbeitet.