System der Vertuschung
Verteidiger im Münchner Dieselbetrugsprozess erheben schwere Vorwürfe gegen VW

Vorstand bei Schuldfrage ausgeklammert

11.01.2022 | Stand 23.09.2023, 11:13 Uhr

Der ehemalige Audi-Entwickler Giovanni P. (links) mit seinem Verteidiger Klaus Schroth. Foto: Balk, dpa-Archiv

Von Horst Richter

München – Schwere Geschütze fuhr am Dienstag die Verteidigung des früheren Audi-Entwicklers Giovanni P. im Münchner Dieselbetrugsprozess auf. Die Anwälte wollen mit einem Beweisantrag belegen, dass die Führungsebene im Hause Audi sehr wohl frühzeitig über die illegalen Abgasmanipulationen Bescheid wusste. Aber es geht auch um die Rolle des Volkswagen-Konzerns. Er soll bei der internen Aufklärung vorgegeben haben, die Vorstandsebene bei den Ermittlungen außen vor zu lassen. Nachdem der Skandal in den USA im September 2015 aufgeflogen war, soll VW sich samt möglicherweise beteiligter Führungskräfte gegen Zahlung von 2,8 Milliarden Dollar strafrechtlich aus der Verantwortung freigekauft haben.

Giovanni P.s Verteidiger Walter Lechner (München) und Klaus Schroth (Karlsruhe) wollen in dem mittlerweile 92 Verhandlungstage andauernden Betrugsverfahren den früheren VW-Vorstand García Sanz sowie den VW-Chefjuristen und künftigen VW-Rechtsvorstand Manfred Döss im Zeugenstand sehen. Döss und Sanz sollen schon im Januar 2017 Kenntnis davon erhalten haben, dass es Verdachtsmomente für eine Beteiligung von Vorstandmitgliedern an den strafbaren Handlungen gab. Dies sollen sie jedoch bewusst gegenüber der deutschen Staatsanwaltschaft und den amerikanischen Justizbehörden verschwiegen haben. Stattdessen sollen sie den Eindruck vermittelt haben, „dass sich alles innerhalb einer Abteilung abgespielt habe, die ihre Probleme nicht effizient nach oben kommuniziert habe“.

Döss soll in Verhandlungen mit US-Behörden in Sachen Dieselbetrug die Entfernung jeglicher Hinweise auf Vorstandsmitglieder bis hinauf zum damaligen VW-Chef Martin Winterkorn erreicht haben. In Folge hätten sich alle Vorwürfe gegen Vorgesetzte auf Ebenen unterhalb des Vorstands bezogen, sagten die Verteidiger. All das gehe aus den Unterlagen eines Dieselbetrugsverfahrens in Braunschweig hervor, wie Klaus Schroth sagte. Eine frühere Kenntnis dieser Akten hätte „unserem Verfahren möglicherweise völlig andere Strukturen gegeben“. Giovanni P. sei ein Bauernopfer, das bestätige sich immer mehr.

Neben dem ehemaligen Entwickler sitzen sein damaliger Mitarbeiter Henning L., der frühere Audi-Motorenchef und Ex-Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz sowie der einstige Audi-Chef Rupert Stadler auf der Anklagebank. L. und P. hatten eingeräumt, an den Manipulationen von Abgasanlagen beteiligt gewesen zu sein, um gesetzliche Grenzwerte einzuhalten – aber nur, weil es „von oben“ so gewollt gewesen sei. Hatz und Stadler bestreiten jede Verantwortung. Für sie birgt der Beweisantrag besondere Brisanz.

Lechner und Schroth hatten in dem Prozess schon mehrfach die aus ihrer Sicht fragwürdige Rolle der Anwaltskanzlei Jones Day angesprochen. Um ihre Punkte zu untermauern, wollen sie die mit der internen Aufklärung betrauten Vertreter dieser Kanzlei nun im Zeugenstand des Münchner Verfahrens sehen. „Diese sollen dazu vernommen werden, dass sie die Anweisung hatten, keine Ermittlungen bezüglich einer Verantwortlichkeit von Personen aus der obersten Führungsebene zu tätigen“, fordern sie. Das Gericht soll sie weiter dazu befragen, dass sie nichts nach außen geben sollten, falls sie von Sachverhalten erfahren, die für eine Verantwortlichkeit oberster Führungskräfte sprechen, heißt es in dem Beweisantrag.

Jones Day soll sogar Streichungen und Änderungen bei den eigenen Erkenntnissen vorgenommen und somit Ermittlungsergebnisse verfälscht haben. Alles sei der Zensur und Kontrolle durch VW unterworfen gewesen, sagten die Verteidiger. Es habe für die Kanzlei zudem ein Verbot gegeben, schriftlich an die Staatsanwaltschaft zu berichten. Die Verteidiger wünschen sich eine Überprüfung, ob damit nicht sogar eine Strafvereitelung durch den Konzern und die Kanzlei vorliegt. Es sei eben nicht in alle Richtungen und ohne Ansehen der Person ermittelt worden, wie ein Audi-Jurist das Gericht als Zeuge glauben machen wollte. Mitarbeiter bei Audi und VW seien zudem ohne Belehrung über ihre Rechte und ohne Möglichkeit einer Korrektur ihrer Aussagen befragt worden.

Unliebsame Zeugen, die Belastendes gegen die oberste Führungsebene hätten vortragen können, sollen durch die Zahlung von „sehr, sehr viel Geld“ mundtot gemacht worden sein, erklärte Verteidiger Lechner – allein das frühere Vorstandmitglied Christine Hohmann-Dennhardt soll nach nur einem Jahr mit rund zwölf Millionen Euro abgefunden worden sein. War es, weil sie Hinweise auf eine Beteiligung von hohen Führungskräften am Dieselbetrug hatte? „Eine solche Aufklärung wollte man nicht haben“, sagte Lechner. Und ein enger Mitarbeiter von Rupert Stadler schrieb 2015 an den Ex-Audi-Chef: „Der Konzern wirft mich gerade mit Geld zu“ – er glaube, „damit ich schön ruhig bin“. Lechner sprach von einem „System der Vertuschung“ und der „Verschiebung von Verantwortlichkeiten nach unten“.

Aussagen eines Zeugen am Dienstag legen den Schluss nahe, dass die Führungsebene tatsächlich schon früh von den Machenschaften gewusst hatte – die Frage bleibt, bis zu welcher Ebene. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

DK