Neue Impulse aus der goldenen Epoche

Oldtimer auf der IAA

19.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:39 Uhr
Daheim in Halle 4 der IAA: Das Gesangstrio Peter Wieth (von links), Martin Stange und Reinhard Neumann leben den Stil der 20er- und 30er-Jahre in vollen Zügen. −Foto: Tamm

Frankfurt (DK) Erstmals haben auf der IAA Fahrzeuge aus längst vergangenen Zeiten eine eigene Halle bekommen. Ganz unumstritten ist das nicht. Doch zweifelsfrei gibt es in der Oldtimer-Höhle mitten am Gelände vieles zu entdecken, was sonst keinen Platz mehr auf der Messe hätte.

Auf den Messeständen in Frankfurt stehen sie und glänzen im Scheinwerferlicht. Überall. An jeder Ecke. Einfach ignorieren? Nicht mehr möglich, ergo zwecklos. Die Rede ist von Elektroautos. Die IAA wird dominiert von der Mobilität der Zukunft. Fraglos war das zu erwarten angesichts der laufenden Debatten um CO2 und Klimaschutz. Und die IAA war schließlich immer der Ort, an dem die neueste Technik präsentiert wurde. Ebenso unstrittig ist außerdem, dass der mittlerweile in beinahe halsbrecherischer Art und Weise vollzogene Umbruch in der Automobilbranche richtig ist.

Doch in Halle 4 scheinen die Uhren stehen geblieben zu sein. "Wir leben die 20er- und 30er- Jahre. Das Outfit mit den breiten Hosen und großen Revers wird auch schon mal privat getragen", sagt Peter Wieth. Der freundlich dreinblickende Herr mit der runden Brille steht locker an einen historischen Eisstand gelehnt und verzehrt gerade eine gefrorene Leckerei. Er trägt einen Anzug im Stile der wilden 20er. Braun, kariert, aus heutige Sicht völlig überdimensioniert, die Knickerbockerhose steckt in den Socken, zweifarbige Budapester dazu.

Wieth fällt auf - selbst in diesem überladenden Ambiente. In der sogenannten IAA Heritage wird man schon am Eingang vom ersten Oldtimer begrüßt - nur der Anfang: Auf gut 11000 Quadratmetern finden sich Raritäten aus fast neun Jahrzehnten. Es riecht nach Öl, Schmierfett und altem Leder. Die Glitzerwelt der "modernen" IAA ist plötzlich weit weg. In einer Ecke sitzt ein Schuhputzer mit seinem Equipment und obligatorischer Fliege. Ein roter Teppich weist den Weg durch die auf Hochglanz polierten Sammlerstücke - schauen ist erwünscht, berühren nur bedingt.

Wieth hat sein Eis inzwischen gegessen - wie die beiden Männer neben ihm, die genau so angezogen sind. Wieth bildet mit Martin Stange und Reinhard Neumann das Gesangstrio "Die Herren von der Tankstelle". Wer die Vorbilder der drei sind, muss nicht lange erklärt werden. "Uns fasziniert die Verbindung von schönen Automobilen und alter Musik", meint Stange. Und die Filme, in denen noch die alten Autos fahren, das gefalle ihnen ganz besonders, ergänzt Wieth aufgeregt.

Einen eigenen Oldtimer kann keiner der drei sein Eigen nennen: "Dafür fehlt uns halt das Kleingeld", klagt Neumann mit hörbar bedauerndem Ton aber perfekter Berliner Schnauze. Es wird kurz still, bis Wieth einwirft: "Ich hatte zumindest mal einen." Bevor das verbleite Benzin abgeschafft worden sei, habe er einen 78er Ford Mustang gefahren, erzählt er mit stolzem Blick. "Einspruch!", geht Stange seinen Kollegen an. Das sei gar kein Oldtimer. "Na jetzt schon", raunt Peter Wieth leise zurück. Neumann - genau, der mit dem fehlende Kleingeld - hat zumindest einen deutlichen Favoriten, den er sich zulegen würden: "Einen ,Zitrön' DS, die Göttin", sagt er in die Runde. Nicken.

Geht man etwas weiter durch die Halle, merkt man, dass die rund 200 Fahrzeuge selten allein kommen. In einer Ecke finden sich unzählige Porsche. Angefangen mit dem klassischen 911er bis zum seltenen 356. In einer anderen Ecke stehen Dutzende Mercedes SL Spalier - darunter ein Flügeltürer für 1,29 Millionen Euro. "Haben Sie schon den Käfer da gesehen?" Die Frage kommt von Andreas Dünkel. Der Schwabe ist Geschäftsführer der Motorworld GmbH, die diese Halle ermöglicht hat und betreibt. "Das ist einer der letzten aus dem Werk in Mexiko und noch nie gefahren. 30 Jahre alt und quasi noch immer original verpackt", sagt Dünkel - ebenfalls im feschen 20er-Jahre-Aufzug mit Casablanca-Hut. "Wir wollen der IAA hier neue Impulse geben", sagt er.

In der Tat steht die Halle der IAA nicht schlecht zu Gesicht. Wer ein wenig Ruhe vom hektischen Treiben an den klassischen Messeauftritten braucht und zu leichter Swingmusik in vergangenen Zeiten schwelgen will, wird hier fündig. Laut Dünkel soll das neue Angebot an die Besucher eine Art Brücke schlagen zwischen "den Wurzeln der Mobilität und ihrer Zukunft".

Doch völlig unumstritten ist das Ganze nicht. Im Vorfeld der IAA waren auch Stimmen zu hören, die deutsche Leitmesse für Automobile sei eigentlich den neuen Fahrzeugen vorbehalten und das solle so bleiben. Klar ist aber: Aufgedrängt hat sich der Unternehmer Andreas Dünkel nicht. Laut einer Mitteilung sei die Entscheidung gemeinsam mit dem VDA - also dem Verband der Deutschen Automobilindustrie - getroffen worden, die IAA um eine solche Halle zu erweitern. Noch-VDA-Chef Bernhard Mattes bestätigt das und betont die Wichtigkeit der historischen Fahrzeuge für die Messe: Es sei ein Bereich, "der den Besuchern einen noch besseren Eindruck über die faszinierende Geschichte der individuellen Mobilität bietet und ihnen damit die Dimension zwischen Zukunft und Herkunft der Mobilität vermittelt". Und Dünkel freue sich über so manches Lob: "Wir haben auch einige Stimmen gehört, die uns für eine Art Rettung der IAA halten."

Ob das so stimmt, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Fakt ist aber, dass Oldtimer und die dazugehörigen Treffen seit vielen Jahren boomen. Das Kraftfahrt-Bundesamt notiert zum 1. Januar 2019 mehr als 550000 Fahrzeuge, die 30 Jahre oder älter sind. Ein neuer Rekord. Die Wagen werden oft als Hobby, aber in vielen Fälle auch als rollende Geldanlage in die Garage gestellt.

Und die Sänger im Anzug? Sie wollen sich kein rechtes Urteil über die IAA erlauben. Denn so richtig aus der eigenen Halle sind sie laut Peter Wieth nicht rausgekommen. Man ist geneigt zu fragen "warum auch?", wo die drei hier doch so perfekt ins Interieur passen. Eine kleine Runde, das muss genügen. Aber die Entwicklung hin - oder besser gesagt - zurück zu E-Motoren sei sehr gut. "Vor 100 Jahren gab es mehr E-Autos als Benziner. Es ist also eine Rückbesinnung, die uns eigentlich total gelegen kommt", findet Neumann zum Abschied.
 

Christian Tamm