Detroit
US-Justiz klagt Winterkorn an - VW-Chef Diess beschwört Kulturwandel

03.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:27 Uhr
Herbert Diess hat Mitte April die Führung der gesamten VW-Gruppe übernommen. −Foto: Swen Pförtner

Berlin (dpa) Die US-Justiz will den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn im Abgasskandal vor Gericht bringen. Ermittler klagen ihn wegen Betrugs und Mittäterschaft in der Dieselaffäre an, wie aus einer erweiterten Anklageschrift hervorgeht, die am Donnerstag vom zuständigen Gericht in Detroit (US-Bundesstaat Michigan) veröffentlicht wurde.

Das US-Justizministerium machte die Anklage am Donnerstag beinahe zeitgleich mit dem Ende der VW-Hauptversammlung in Berlin bekannt. Dort hatte der neue VW-Chef Herbert Diess bei den Aktionären für seine Umbaupläne geworben und einen konsequenten Kulturwandel versprochen.

Für die Bemühungen um ein sauberes Image ist die Anklage in den USA ein herber Rückschlag. Bislang hatte VW stets versucht, den Abgasskandal als das Werk von Mitarbeitern in unteren Rängen darzustellen. Dass jetzt der ehemalige Konzernchef auf die Anklagebank soll, passt nicht zu dieser Version.

Die Tatsache, dass die kriminellen Straftaten von VW von der höchsten Ebene der Konzernführung abgesegnet gewesen sein dürften, sei erschreckend, sagte der zuständige Staatsanwalt Matthew J. Schneider vom östlichen Bezirk Michigans laut einer Mitteilung. „Wer versucht, die Vereinigten Staaten zu betrügen, wird einen hohen Preis bezahlen“, erklärte US-Justizminister Jeff Sessions.

Volkswagen kooperiere vollumfänglich mit dem US-Justizministerium, teilte das Unternehmen am Donnerstagabend mit. Allerdings sei es nicht angemessen, zu individuellen Verfahren Stellung zu nehmen.

Winterkorn wird Betrug vorgeworfen - er soll außerdem Teil einer Verschwörung zum Verstoß gegen US-Umweltgesetze gewesen sein. Dem 70-Jährigen drohen einem Gerichtssprecher zufolge im Fall einer Verurteilung bis zu 25 Jahre Haft und und eine Geldstrafe von maximal 275 000 Dollar. Die US-Behörden vermuten Winterkorn laut Justizkreisen in Deutschland, von wo ihm vorerst keine Auslieferung drohen dürfte.

Der Top-Manager war im September 2015 von seinem Amt zurückgetreten, kurz nachdem US-Behörden Abgasmanipulationen von Millionen Dieselautos bei VW aufgedeckt hatten. VW hatte nur mit einer Schummel-Software Schadstoff-Grenzwerte eingehalten. Winterkorn hatte aber betont, sich keines Fehlverhaltens bewusst zu sein.

VW musste wegen des Skandals in den USA Milliarden an Strafen zahlen. Durch die Affäre wurde auch das Image des Diesel schwer beschädigt. Diese Krise hält bis heute an. Die US-Justizbehörden hatten zuvor bereits Strafanzeigen gegen acht amtierende und frühere Mitarbeiter des VW-Konzerns gestellt. Zwei von ihnen wurden bereits zu mehrjährigen Haftstrafen und hohen Geldbußen verurteilt.

Gegen Winterkorn und andere Manager wird auch in Deutschland ermittelt. Zum einen wegen des Anfangsverdachts des Betruges, zum anderen wegen Marktmanipulation. Anleger klagen auf Schadenersatz in Milliardenhöhe, weil die VW-Aktie nach Bekanntwerden des Skandals auf Talfahrt ging. Die Manager sollen die Finanzmärkte im Herbst 2015 zu spät über den Abgasskandal informiert haben. Der Konzern betont stets, dies rechtzeitig getan zu haben.

Volkswagen soll "anständiger werden"

Nachfolger Winterkorns an der Konzernspitze war im Herbst 2015 der damalige Porsche-Chef Matthias Müller geworden. Müller wiederum war erst vor kurzem von VW-Markenchef Herbert Diess an der Konzernspitze abgelöst worden. Damit verbunden war die Ankündigung eines massiven Konzernumbaus.

Auf der Hauptversammlung in Berlin hatte Diess vor Bekanntwerden der Anklage angekündigt, beim viel beschworenen Kulturwandel ernst zu machen. „Volkswagen muss in diesem Sinne noch ehrlicher, offener, wahrhaftiger, in einem Wort: anständiger werden“, sagte Diess. Der schon von Ex-Konzernchef Matthias Müller ausgerufene Kulturwandel für mehr Kritikfähigkeit und ethisches Verhalten - angestoßen nach dem Abgasskandal mit Millionen von manipulierten Dieselautos - ließ bislang aber viele Fragen offen.

Der Vorstand hat laut Diess mit „Together4Integrity“ jetzt ein Programm zum Kulturwandel auf den Weg gebracht. Das interne Hinweisgeber-System soll demnach ausgebaut, Fehlverhalten kompromisslos geahndet und integres Verhalten in den Mittelpunkt gestellt werden.

Neben der Unternehmenskultur soll sich auch die Struktur des VW-Konzerns wandeln, möglicherweise soll Volkswagen auch schlanker machen. Sparten wie der Motorradbauer Ducati oder der Getriebehersteller Renk kommen auf den Prüfstand.

Ausgliederungen seien „denkbar“, aber auch Erweiterungen und Wachstumsstrategien, erklärte der Diess am Donnerstag vor den Aktionären auf der Hauptversammlung in Berlin. Damit macht Diess klar, dass weder Verkäufe noch Börsengänge ausgeschlossen sind.

Die Sparte der schweren Nutzfahrzeuge - Volkswagen Truck & Bus - solle weitgehend unabhängig von der Steuerung durch den Konzern aufgestellt und „in absehbarer Zeit“ fit für die Börse gemacht werden. Nach Angaben von Spartenchef Andreas Renschler wird Volkswagen hier die Mehrheit der Anteile behalten.