Berlin
Die Zeichen stehen auf Konfrontation

Im Bahn-Tarifstreit bekräftigt EVG-Chef Kirchner seine Streikbereitschaft – Verhandelt wird trotzdem

19.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:58 Uhr

Berlin (DK) Für Bahnkunden könnte das Reisen in der Vorweihnachtszeit wieder ungemütlich werden. Nachdem die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) bereits sechsmal den Zugverkehr lahmgelegt hat, droht nun die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit Streik.

Ob es zu Arbeitsniederlegungen komme, hänge vom Verhandlungsverlauf mit der Deutschen Bahn ab, sagte gestern der Vorsitzende der EVG, Alexander Kirchner. Zuvor war ein Sondierungsgespräch zwischen Bahn, GDL und EVG über gemeinsame Verhandlungen gescheitert. In dem dreieinhalb Stunden währenden Gespräch am späten Dienstagabend konnten die Beteiligten in Frankfurt kein Einvernehmen über ein gemeinsames Vorgehen erzielen.

Die GDL um ihren streitbaren Vorsitzenden Claus Weselsky erhebt den Anspruch, nicht nur für die 20 000 Lokführer, sondern auch für die bei ihr organisierten 17 000 Zugbegleiter, Bordgastronomen, Disponenten und andere Eisenbahner zu verhandeln. Die EVG lehnt jedoch unterschiedliche Bedingungen in den gleichen Berufsgruppen ab und fordert, dass im Zweifelsfall der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gelten soll – also der der EVG. „Wir stehen für Tarifeinheit“, bekräftigte EVG-Chef Kirchner im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Die GDL hat bislang nur die Mehrheit der Lokomotivführer organisiert.

Nun also getrennte Verhandlungen. Morgen, Freitag, wird die Bahn zuerst mit der EVG zusammenkommen, im Anschluss sind Gespräche mit der GDL anberaumt. Das ist schon ein Fortschritt, war es doch mit der GDL bislang gar nicht erst zu Verhandlungen in der Sache gekommen – die teilweise tagelangen Streiks drehten sich allein um Zuständigkeiten. Die Bahn will jetzt beiden Gewerkschaften Angebote unterbreiten.

Die bisherigen Konflikte könne man sich „keinen Tag mehr leisten“, sagte gestern Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber. Der Manager will um jeden Preis konkurrierende Tarifverträge in den einzelnen Beschäftigtengruppen vermeiden – nicht praktikabel, ungerecht, schlecht für den Betriebsfrieden, so sein Urteil. Dieses Ziel des Arbeitgebers hätten beide Gewerkschaften akzeptiert, so Weber – und versucht damit, im Vorfeld der Gespräche schon Pflöcke einzurammen.

„Verhandeln, verhandeln, verhandeln“, so das Nahziel des Personalvorstands. Weber wird aber großes Geschick brauchen, um am Schluss zwei praktisch identische Tarifverträge auf dem Tisch zu haben, die alle Parteien dann auch ohne Gesichtsverlust unterschreiben. Haben sich doch die Bahngewerkschaften nicht nur im Vorfeld öffentlich beharkt – die Forderungen könnten auch unterschiedlicher kaum sein: Während es der EVG vor allem auf die „soziale Komponente“ ankommt, also die Erhöhung der Bezüge um mindestens 150 Euro, und sie außerdem sechs Prozent mehr Lohn verlangt, fordert die GDL neben einer Gehaltserhöhung um fünf Prozent auch eine Arbeitszeitreduzierung um zwei Stunden in der Woche. Die Bahn beziffert das insgesamt auf ein Volumen von 15 Prozent.

Völlig offen ist, was passiert, wenn die Bahn die konkurrierenden Gewerkschaften nicht dazu bringt, inhaltsgleichen Tarifverträgen zuzustimmen. Die GDL pocht auf ihre Autonomie, sieht Tarifkonkurrenz im Unternehmen als akzeptabel, wenn nicht sogar als erstrebenswerten Zustand. Die EVG hingegen hält an der Tarifeinheit fest.

Die Chance, die Spaltung der Belegschaft zu überwinden, sei am Widerstand der GDL gescheitert, sagt Kirchner. Kritiker bemängeln aber die angebliche EVG-Forderung, die GDL habe sich von vorne herein darauf festlegen sollen, ein gemeinsames Ergebnis zu erreichen. Schließlich würden solche parallelen Tarifgespräche üblicherweise ergebnisoffen geführt. Die Bundesregierung will solche konkurrierenden Tarifverträge künftig durch ein Gesetz zur Tarifeinheit eindämmen. Noch ist das Gesetz aber nicht in Kraft.