Flugtaxis
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20.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:33 Uhr
So sieht ein Vertiport aus: Das Unternehmen Skyports hat in Singapur den ersten Landeplatz für Flugtaxis gebaut. Jetzt startet es in Ingolstadt mit dem Projekt INCity Takeoff. −Foto: Zuma Press/dpa

Flugtaxis, Drohnen, vernetzte Mobilität - das Ingolstädter Netzwerk für Urban Air Mobility (UAM) hat seit seiner Gründung im Jahr 2018 schon zwölf Millionen Euro an Fördergeldern gesammelt. Mit brigkAir soll der Höhenflug weitergehen. Eine Bestandsaufnahme.

Singapur - Paris - Ingolstadt. Dieser Dreiklang versetzt Ingolstadts Oberbürgermeister in höchste Verzückung. Da glättet sich auch kurz die Sorgenfalte über seiner Nasenwurzel, die der schleichende Verlust von Arbeitsplätzen und Wirtschaftskraft in der Region immer tiefer eingräbt. Singapur - Paris - Ingolstadt - das ist Musik in seinen OB-Ohren. Möglich macht das die Urban Air Mobility (kurz: UAM), Zauberworte, die Wachstum und technologischen Fortschritt versprechen. Die Daimler-Tochter Volocopter hat kürzlich in Singapur erfolgreich einen bemannten Testflug durchgeführt. Werden die Lufttaxis und Transportdrohnen, die künftig elektrisch-emissionsfrei weltweit über die Dächer der Metropolen wie Singapur oder Paris schweben werden, in Ingolstadt und Umgebung entwickelt, gebaut und getestet? Im europäischen Wettstreit ist man mit dabei, sogar ziemlich weit vorne. Das lässt sich nach eineinhalb Jahren Bestehens der regionalen UAM-Initiative mit Fug und Recht behaupten. Alles könnte also so schön sein ...

Wäre da nicht der Franzose. Staatspräsident Emmanuel Macron, bei dem der Haussegen gerade etwas schief hängt, hat in seiner Regierungserklärung im September die Territoires d'Innovation ausgerufen - 24 Projekte, die der Republik einen Innovations- und Investitionsschub bringen sollen. Sorgenvoll blicken die Ingolstädter Spitzenpolitiker nun gen Toulouse: "Dort", so mahnt CSU-Bundestagsabgeordneter Reinhard Brandl mit eindringlicher Stimme, "dort wollen sie haargenau das machen wie wir."

Toulouse soll zur "Vilagil" werden: Flugtaxis und Drohnen, autonomes Fahren und eine Vernetzung der Mobilität, Living-Labs - man könnte glauben, sie haben es von den Bayern abgeschrieben, was natürlich nicht stimmt. Und die Franzosen haben auch gleich die passende Dramaturgie geschaffen: Im Jahr 2024, bei den Olympischen Spielen in Paris, soll erstmals ein Shuttle-Service mit Flugtaxis angeboten werden. Ein klares Signal. Airbus hat angekündigt: Das machen wir.

Das Problem: Der City-Airbus will nicht so recht in die Gänge kommen - also in die Luft. Der mit großem Wirbel auf dem Ingolstädter Rathausplatz präsentierte Demonstrator (Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer drückte mit den Buzzer - dann geschah nichts) ist bisher nicht, wie angekündigt, zu Testflügen aufgestiegen. Airbus hält sich bedeckt, es heißt, es gebe technische Probleme: Für den Prototypen des elektrisch betriebenen Lufttaxis hat die Siemens-Tochter eAircraft den Antrieb entwickelt. Im Juni jedoch verkaufte Siemens das Geschäft mit elektronischen Flugzeugantrieben an Rolls-Royce. Seitdem ist Sand im Getriebe.

Gebetsmühlenartig wiederholt der Ingolstädter CSU-Politiker Brandl, quasi der UAM-Botschafter der Bundesregierung, was 2024 in Paris fliege, "wird hier bei uns gebaut und getestet". Er und OB Lösel wollen diese Tage ein klärendes Gespräch mit der Airbus-Spitze führen. Der Luft- und Raumfahrtkonzern muss liefern.

Denn das Wettrennen um die Vorherrschaft in der Luft ist in vollem Gange. Überall auf der Welt steigen Flugtaxis auf. Das Londoner Unternehmen Skyports, in Partnerschaft mit der Daimler-Tochter Volocopter, hat bei dem UAM-Netzwerktreffen in Ingolstadt diese Woche die passende Infrastruktur vorgestellt: einen Vertiport für Flugtaxis, wie er nach Singapur auch auf dem Ingolstädter Hauptbahnhof entstehen könnte. Im Rahmen der UAM-Initiative soll ab 2020 untersucht werden, welche Standorte für solche Landeplätze geeignet sind. Ein kompliziertes Vorhaben, wie Skyports-Infrastruktur-Manager Damian Kysely erläuterte. "Die Zertifizierung ist sehr schwierig und wird gerade von der EASA entwickelt." Der smarte Jungmanager, beseelt von Pioniergeist, erklärte, es brauche eine Vorlaufzeit von zwei bis drei Jahren, um einen Vertiport zu bauen. "Ingolstadt kann unser erster Markt werden", sagte er.

Das geht den örtlichen Protagonisten runter wie Öl. Der Name für das Projekt: INCity-Takeoff. Der Förderbescheid soll diese Tage ins Haus flattern. Die UAM-Initiative greift überhaupt kräftig Subventionen ab: Mehr als zwölf Millionen Euro allein im ersten Jahr - das ist rekordverdächtig. Laut Brandl, der im Haushaltsausschuss sitzt, wurden jetzt weitere acht Millionen bewilligt. Die Zahl der Anträge auf dieser Förderlinie allerdings umfasst eine Gesamtsumme von rund 180 Millionen Euro. Also ein Zehnfaches. Zum Vergleich: Das UAM-Budget für "Vilagil" in Toulouse beläuft sich auf 113 Millionen Euro - davon 23,5 Million Fördermittel.

Kritiker der UAM-Aktivitäten stößt freilich übel auf, wie viele Millionen da in eine Entwicklung gesteckt werden, die am Ende nur wenigen zugute kommt. Wer soll sich schon so einen Flug im Lufttaxi leisten können? Und dürfen die überhaupt einfach so durch die Lüfte fliegen - über unsere Köpfe, Häuser und Gärten hinweg? Behörden wie die EASA (Europäische Agentur für Flugsicherheit) befassen sich längst mit den notwendigen Regularien. In einer ersten Studie der UAM-Initiative geht es auch um solche Fragen, genauer gesagt um die Erforschung des langfristigen Potenzials von UAM als Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr am Beispiel Oberbayerns.

Die Ergebnisse stellte Kay Plötner vom Bauhaus Luftfahrt nun in Ingolstadt vor. So wurde für UAM ein modaler Anteil zwischen 0,05 und 1,60 Prozent errechnet. Da wundert es nicht, dass "UAM wahrscheinlich das gesamte Mobilitätssystem nicht wesentlich verändern" wird, so eine Kernaussage. Alle Teile der Gesellschaft müssten in der Lage sein, diesen Transportdienst zu nutzen, "nicht nur die Reichen", so Plötner. Um UAM aus der Nische zu bringen, sollten die Preise auf Taxi-Niveau liegen. Der Politik empfehlen die Mobilitätsforscher sicherzustellen, dass es "keine Kannibalisierung von öffentlich-finanzierten ÖPNV-Verkehrsverbindungen" stattfindet.

Laut der Untersuchung wird sich die Nachfrage nach UAM hauptsächlich auf Entfernungen von weniger als 40 Kilometern konzentrieren. Und fest steht jetzt schon, dass Flugtaxis oder Drohnen überwiegend den Luftraum über bestehenden Verkehrsadern wie Autobahnen oder Schienennetzen nutzen werden. Warum dann nicht gleich mit dem Zug fahren, der längst nahezu emissonsfrei unterwegs ist?

Es bleibt spannend, wohin die Luftreise geht. In wenigen Wochen startet brigkAir, Außenstandort des Digitalen Gründerzentrums und spezialisiert auf dreidimensionale Mobilität, auf einem Gelände nahe des Manchinger Flughafens, wo auch Testflüge möglich sein sollen. "Obwohl wir noch nicht in die Kommunikation gegangen sind, haben schon 15 Unternehmen Interesse angemeldet", sagt Brandl. Aber der erfahrene Politiker weiß auch, worauf es jetzt am meisten ankommen wird: "Eine der größten Herausforderungen ist es, gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen."

Eine kleine AuswahL: Sechs Fluggeräte

1 Lilium-Jet: Lilium befindet sich mit der Entwicklung seines fünfsitzigen Lilium Jets weiter auf Kurs, um bis 2025 einen Passagierbetrieb an mehreren Standorten weltweit gewährleisten zu können. Der Lilium Jet soll mit einer Maximalgeschwindigkeit von 300 Stundenkilometern und einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern fliegen. Nach dem Jungfernflug des Prototyps im Mai 2019 wurde im Oktober die erste Testphase nach zahlreichen Probeflügen mit zunehmend komplexeren Manövern abgeschlossen. Das Flugzeug beginnt nun seine zweite Testphase mit hohen Geschwindigkeiten. Gleichzeitig baut Lilium seine Serienproduktion auf: Hierfür stellte das Unternehmen im Oktober ein neues Werk nahe des Hauptsitzes in Weßling (Oberpfaffenhofen) fertig. Bis zu 500 neue Stellen sollen geschaffen werden.

2 City-Airbus: Nach Plänen von Airbus soll der City-Airbus im Jahr 2024 bei den Olympischen Spielen in Paris erstmals autonom fliegen und Passagiere befördern. Aber es gibt Verzögerungen: Die im dritten Quartal angekündigten Testflüge haben noch nicht stattgefunden, die Rede ist von technischen Problemen.

3 Quantum Systems: Der Drohnenhersteller mit 45 Mitarbeitern aus Gilching (Kreis Starnberg) ist innerhalb des Ingolstädter UAM-Netzwerks gut im Rennen: Seine unbemannten Fluggeräte sollen Bahngleise überwachen (Projekt FreeRail) und Medikamente vom Klinikum Ingolstadt in umliegende Krankenhäuser transportieren (Projekt: MEDinTime). Die Drohnen Tron und Trinity starten wie ein Hubschrauber, in der Luft verwandelt der Autopilot das Gerät binnen Sekunden zu einem Flugzeug, indem er die Rotoren umlegt.

4 Daimler und Volocopter: Die im badischen Bruchsal ansässige Daimler-Tochter Volocopter hat im südostasiatischen Singapur erfolgreich einen bemannten Testflug mit einem autonomen Flugtaxi absolviert. Das Unternehmen stellt damit das erste Serienmodell vor, in Deutschland soll es ab 2025 in den Alltagsbetrieb gehen, heißt es. Das Gerät verfügt über 18 Rotoren und schafft eine Höchstgeschwindigkeit von 110 Stundenkilometern.

5 Porsche, Boing und Aurora: Porsche und Boeing wollen gemeinsam den Premium-Markt der Urban Air Mobility (UAM) erschließen. Dazu haben beide Unternehmen im Oktober eine Absichtserklärung unterzeichnet. Mit Aurora Flight Sciences, einer Tochtergesellschaft von Boeing, entwickeln sie ein Konzept für ein vollständig elektrisches Fluggerät, das 2023 starten soll.

6 BMW und Alaka'i Technologies: Die BMW-Tochter Designworks beteiligt sich an der Entwicklung des ersten Wasserstoff-Flugtaxis. Die Drohne Skai wird von dem US-Startup Alaka'i Technoligies gefertigt. Das Fluggerät bietet vier Passagieren Platz und kann vier Stunden in der Luft bleiben.

 

 

 

Suzanne Schattenhofer