Wertschätzen statt wegwerfen

<?Uni SchriftFarbe="Vollfarbe CMYK1,000000 0,000000 0,000000 0,000000 -1 1,000000" Kapitaelchen="100ru" SchriftGroesse="10,5dp" SchriftStil="0" SchriftArt="ITC Franklin Gothic Demi" Spationierung="1ru"> <?_Uni> Reparatur-Café

03.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:50 Uhr
Auf Fehlersuche: Ein defekter und geöffneter Schallplattenspieler liegt zur Reparatur bereit. −Foto: Karmann, dpa

Im Ingolstädter Reparatur-Café landen der kaputte Föhn oder defekte Toaster nicht im Müll, sondern auf dem Reparaturtisch. Ehrenamtlich und gemeinsam wird hier getüftelt. Ein Interview mit dem Organisator Hermann Mödl.

 

Liegt Reparieren Ihrer Meinung
nach im Trend?
HERMANN MÖDL: Es ist schwer zu sagen, ob generell ein Trend zum Reparieren in der Gesellschaft erkennbar ist. In jedem Fall ist es so, dass in den Reparatur-Cafés - auch bei uns in Ingolstadt - Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt. Zu uns kommen Leute, die sich davon angesprochen fühlen. Bei denen ist schon ein Umdenkprozess im Gange. Sie sind davon überzeugt, dass wir so nicht weitermachen können, weil wir über unsere Verhältnisse leben und gleichzeitig Ressourcen ohne Ende verbrauchen. Glücklicherweise gibt es immer mehr Leute, die in diese Richtung denken. Aber diese Einstellung ist leider noch nicht über alle Generationen und Altersstrukturen hinweg erkennbar.

Welche grundsätzlichen Ziele

verfolgen Reparatur-Cafés?

MÖDL: Es geht darum, den Nachhaltigkeitsaspekt zu verfolgen, die Nutzungsdauer von Gebrauchsgütern zu verlängern und auch die Strategien der geplanten Obsoleszenz etwas zu unterlaufen. Außerdem wollen wir natürlich Müll vermeiden, Ressourcen schonen und nachhaltige Lebensweisen in der Praxis erproben.

Mit unserem Reparatur-Café wollen wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Wir wollen die Leute anleiten, selbst etwas zu machen. Jetzt ist das natürlich bei Elektrogeräten zunehmend schwierig, weil man wirklich Ahnung haben muss und die Sicherheit eine große Rolle spielt. Aber in anderen Bereichen, beispielsweise bei Fahrradreparaturen, funktioniert Hilfe zur Selbsthilfe wunderbar. Da fehlt manchen nur das nötige Wissen oder Werkzeug - und dafür gibt es ja uns.

Was müsste sich Ihrem

Empfinden nach in unserer

Gesellschaft ändern?

MÖDL: Wir müssen unser Konsumverhalten ändern. Wir müssen dieses einschränken. Die Fragen sind doch: Brauche ich wirklich alle zwei Jahre ein neues Handy? Kann ich das Display auch reparieren?

Letztendlich sollten die Geräte aber wenigstens dem Recycling zugeführt werden - ein altes Handy, das in der Schublade lagert, bringt nichts.

Mangelt es auch an der nötigen

Wertschätzung von Produkten?

MÖDL: Ja. Schon allein, weil die Werbung uns suggeriert, wenn ein Gerät alt ist, kauft man halt einfach ein neues. Außerdem kommen die Fähigkeiten des Reparierens abhanden, weil es sich oft gar nicht lohnt. Wenn man beispielsweise einen kaputten Föhn ins Elektrogeschäft bringt, dann kostet die Reparatur vermutlich mehr, als ein kostengünstiges neues Gerät.

Was müsste sich in der Wirtschaft

und speziell bei den Herstellern

ändern?

MÖDL: Unserer Meinung nach sollte die Reparatur von bestimmten Geräten in der Ökodesign-Richtlinie verankert und gewährleistet sein. Einerseits müssten die Produkte so konstruiert werden, dass man sie reparieren kann und andererseits muss es dafür auch Ersatzteile geben.

Es sollte zudem eine Mindestlebensdauer eingeführt werden. Die Gewährleistung ist oft nur sechs Monate, dann kehrt sich die Beweislast um, und man muss danach selbst nachweisen, dass das Gerät einen Mangel hatte - also quasi vom Hersteller verursacht ist. Da hat man eigentlich keine Chance. Das sollte eben andersrum sein: Das Gerät muss zwei Jahre halten und wenn es nicht so ist, muss es repariert werden. Dann würden die Produzenten ihre Artikel wohl automatisch besser bauen.

Gibt es Produkte, die schlecht

oder gar nicht zu reparieren sind?

MÖDL: Es gibt Produkte ohne Reparierbarkeit beziehungsweise bei denen das nicht gewollt ist. Die können entweder gar nicht geöffnet werden, es gibt keine Ersatzteile oder diese werden nur an Großabnehmer abgegeben.

Ein typisches Beispiel dafür sind Toaster, die verschweißt oder vernietet und nicht aufzubekommen sind - diese Produkte kann man letztlich nur noch wegschmeißen. Viele Geräte haben auch Schrauben oder Stecker, die nicht mehr aufgemacht werden können, weil sie nur in eine Richtung gedreht werden können. Und bei Waschmaschinen ist der Bottich oft aus Kunststoff, weil das preiswerter ist. Hat aber den Nachteil, dass er sehr empfindlich ist und nicht repariert werden kann beziehungsweise dafür keine Ersatzteile vorhanden sind.

Gibt es auch Geräte,

die leicht zu reparieren sind?

 

MÖDL: Ja, und es ist wichtig, darauf schon beim Kauf zu achten. Bei Elektrokleingeräten wie Föhn, Staubsauger, Bohrmaschine, Bügeleisen oder Lampen sind die Reparaturerfolge recht hoch. Wir haben deshalb auch einen Service eingerichtet, bei dem wir vor dem Einkauf beraten, worauf zu achten ist - zum Beispiel auf Hersteller, die noch Ersatzteile anbieten oder dass Firmen vor Ort angesiedelt sind, die noch Weißware reparieren. Dafür haben wir auch ein Adressverzeichnis für unsere Besucher, um sie an Firmen zu verweisen, die noch Reparaturen vornehmen.

Außerdem gibt es auch Geräte, die zwar uralt sind, für die Besitzer aber einen besonderen ideellen Wert haben. Da kommt zum Beispiel ein Gast und möchte sein Radio reparieren, obwohl er sich auch ein neues leisten könnte, aber das alte Röhrenradio ist eben noch von seinem Opa. Und wenn so etwas repariert werden kann, freuen sich die Leute einfach und sind froh.

Wird das Angebot des

Reparatur-Cafés in Ingolstadt

gut angenommen?

MÖDL: Das wird sehr gut angenommen - sowohl zum Reparieren als auch zum Austausch. Es kommen auch viele Leute einfach zum Kaffee trinken, Kuchen essen und ratschen. Es wird auch nicht nur von den Gästen und Kunden angenommen, sondern auch von Reparateuren, die bei uns mitwirken wollen. Manche sind schon von Anfang an dabei, manche sporadisch.

Welche Altersgruppen

besuchen das Reparatur-Café?

MÖDL: Die Besucher sind eher etwas älter. Es kommen immer wieder Gäste, die sich weder eine Reparatur noch eine Neuanschaffung leisten können - die sind einfach nur froh, wenn es bei uns kostenlos repariert wird.

Ein gesteigertes Interesse bei jüngeren Leuten ist bei uns nicht zu erkennen. Wobei die Altersstruktur bei den Reparateuren bunt gemischt ist - vom Azubi bis zum pensionierten Ingenieur ist alles vertreten und jeder macht das, was er kann. Eine große Nachfrage gibt es einfach im Elektrobereich und da brauchen wir Fachleute. Aber auch wenn es um Holz-, Textil- und Fahrradarbeiten geht, wird Unterstützung gerne angenommen. Da bieten verschiedenste Menschen ihre Hilfe an und geben ihre Kenntnisse weiter.

Funktioniert das Konzept

des Reparatur-Cafés?

MÖDL: Jede unserer Veranstaltungen ist für mich wie eine Gleichung, in der es nur Unbekannte gibt: Ich weiß nicht, wie viele Reparateure kommen, wie viele Kunden vorbeischauen und welche Geräte sie dabei haben. Es muss ja auch das Gerät zu der Qualifikation des Reparateurs passen - aber irgendwie geht's immer.

Neue ehrenamtliche Helfer können wir jederzeit brauchen. Bei uns ist der Zulauf auch vom Wetter abhängig. Im Frühjahr, vor allem wenn es um das Reparieren von Fahrrädern geht, stehen die Besucher schon Schlange. Wir haben zum Teil 40 bis 64 Reparaturen pro Termin. Insgesamt waren es im vergangenen Jahr rund 400. Und sollte ein Gerät mangels Ersatzteilen oder weil wirklich "End of Life" erreicht ist, nicht repariert werden können, dann entsorgen wir es auch getrost - fachgerecht natürlich.

Wie wird das Konzept

noch weiter ausgebaut?

MÖDL: Wir arbeiten daran, die Abläufe und Prozesse bei unseren Treffen zu optimieren - wie in einer Firma. Eigentlich ist unser Reparatur-Café ja auch nichts anders, nur dass es bei uns keine Karrierechancen und keine Gehaltserhöhung gibt, weil's nämlich kein Geld und dadurch auch keine Konkurrenz gibt. Da helfen sich die Reparateure gegenseitig und tüfteln auch mal zu zweit oder zu dritt.

Wir haben rund 40 Mitglieder, davon 23 Reparateure. Außerdem brauchen wir Helfer, die sich um das Kuchenbuffet und den Kaffee kümmern - das ist auch alles ehrenamtlich und durch Spenden finanziert. Leider kommt es immer wieder vor, dass unser Konzept ausgenutzt wird und Leute zum Beispiel "zufällig" fünf defekte Personenwaagen mitbringen. Deshalb gibt es jetzt eine Begrenzung: Man kann mit einem Gerät kommen und macht gemeinsam den Reparatur-Ablauf einmal durch. So haben andere Besucher auch noch die Möglichkeit, dranzukommen. Und unser Ziel ist und bleibt ja die Hilfe zur Selbsthilfe!

Das Interview führte Luisa Riß.

Reparatur-Cafés - eine nachhaltig gute Idee:

Defekte Alltagsgegenstände und Geräte nicht einfach in die Tonne treten, sondern gemeinsam und unter Anleitung reparieren, sich dabei in gemütlicher Atmosphäre bei Kaffee und Kuchen austauschen. Das Ganze ehrenamtlich, freiwillig und durch Spenden finanziert.

Diese Vision hatte vor über zehn Jahren die niederländische Umweltjournalistin Martine Postma und gründete das Konzept der Reparatur-Cafés. Rasch gab es zahlreiche Nachahmer, weltweit sind mittlerweile über 2000 dieser Selbsthilfewerkstätten zu finden. In Ingolstadt gibt es ebenfalls seit einigen Jahren ein Reparatur-Café, in dem Ehrenamtliche ihre Hilfe anbieten. Dort engagiert sich auch Hermann Mödl schon lange Zeit und ist für die Organisation der monatlichen Treffen verantwortlich.

lur

Reparatur-Café Ingolstadt

Das Reparatur-Café in Ingolstadt (Bürgerhaus Neuburger Kasten, Fechtgasse 6) hat an jedem ersten Samstag im Monat von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen für Besucher, Interessierte und Reparateure gibt es unter www.transition-town-ingolstadt.org sowie bei den Organisatoren Hermann Mödl (E-Mail: rc-in.hm@gmx.de) oder Renate Morasch (E-Mail: morasch@ingolstadt-mail.de).