Steinbrücks Humor

Die Union greift die Stinkefinger-Geste dankbar auf – und der SPD-Kandidat versteht die Aufregung nicht

13.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:40 Uhr

Berlin (DK) Peer Steinbrück kann die Aufregung um seine Stinkefinger-Geste nicht verstehen: Ein ironisches Foto sei das, Teil eines Interviews ohne Worte. „Wir sollten alle den Humor haben“, sagte er am Freitag – und wer ihn nicht habe, „soll zum Lachen in den Keller gehen“. Basta.

Das Foto-Interview des Süddeutsche Magazins, in dem er den Mittelfinger als Antwort auf die Frage nach seinen „netten Spitznamen“ wie „Pannen-Peer“, „Problem-Peer“ und „Peerlusconi“ ausstreckte, war in Berlin Wahlkampf-Thema Nummer Eins. Der politische Gegner warf sich lustvoll auf die nonverbale Entgleisung, im Internet wurde heiß debattiert. Und Steinbrücks Genossen fragten sich bang, ob der Wahlkampf nun unter einer provokanten Geste ihres Frontmannes leidet.

Der SPD-Kanzlerkandidat auf dem Ego-Trip? Beim 25-minütigen Foto-Shooting Ende Juli ließ er mit der Geste Dampf ab – und setzte sich danach über den Rat seines Sprechers Rolf Kleine hinweg, das Foto nicht zur Veröffentlichung freizugeben. Dabei hatte Steinbrück den Ex-Bild-Journalisten an seine Seite geholt, weil er professionelle Hilfe nach den Pleiten-Pech-und-Pannen-Schlagzeilen der ersten Monate suchte.

Erstaunlich: Steinbrück beklagte sich stets darüber, dass über Nebensächlichkeiten wie seine verbalen Kraftmeiereien diskutiert werde statt über Sachthemen. Und dann ist er selbst es, der ausgerechnet in der Schlussphase des Wahlkampfs erneut eine Steilvorlage bietet, nicht über Inhalte, sondern über Stil und Fähigkeiten des Merkel-Herausforderers zu streiten. „Wer sich kurz vor der Wahl so präsentiert, will doch gar nicht Kanzler werden“, urteilte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Regierungssprecher Steffen Seibert bemerkte süffisant: „Ich habe dazu keine Worte.“ Auf SPD-Seite wurde mehr oder minder überzeugt dagegen gehalten: „Ich finde, die Ironie ist in dem Bild erkennbar“, sagt Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Bayerns Spitzenkandidat Christian Ude sprach von einer „risikofreudigen Geste“.

Der Kanzlerkandidat beschäftigt sich unterdessen bereits mit dem Tag nach der Bundestagwahl: Bei einer krachenden Niederlage müsste er wohl noch am Wahlabend politische Verantwortung übernehmen und sich aus der ersten Reihe verabschieden. Die Sozialdemokraten inklusive Steinbrück kalkulieren ein Szenario ein, das nicht unwahrscheinlich ist: Es reicht weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün. Die Erwartung ist, dass dann Verhandlungen über eine große Koalition stattfinden.

Der Kanzlerkandidat hat allerdings stets klipp und klar ausgeschlossen, dass er als Minister in ein Merkel-Kabinett geht. Steinbrück treibt offenbar die Sorge um, dass er deshalb auch bei einem achtbaren Ergebnis sofort beiseitegeschoben werden könnte. Er will aber auch bei Verhandlungen über eine schwarz-rote Koalition noch mitmischen. „Ich bleibe nach der Wahl im Fahrersitz“, meldete Steinbrück im kleinen Kreis Führungsansprüche an. Dass das bekannt wurde, sieht man in der SPD-Zentrale nicht gern – deutet es doch darauf hin, dass der Kandidat nicht mehr an einen Sieg glaubt.