Berlin
Krisenstimmung bei den Spitzengenossen

Nach dem Rückzug von Martin Schulz rumort es lautstark in der SPD Andrea Nahles könnte bereits morgen Parteichefin werden

11.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:50 Uhr

Berlin (DK) Der Sturz von SPD-Chef Martin Schulz schlägt weiter hohe Wellen, jetzt geraten auch seine designierte Nachfolgerin Andrea Nahles und Parteivize Olaf Scholz mächtig unter Druck. Haben sie Schulz bewusst ins offene Messer laufen lassen? Oder haben sie seinen peinlichen Versuch, sich ins Außenamt zu retten, unterstützt und die verheerende Außenwirkung unterschätzt? Die Sozialdemokraten stecken trotz der erfolgreichen Koalitionsverhandlungen und der Ressort-Geschenke von Kanzlerin Angela Merkel tief in der Krise - und das wenige Tage vor dem Start des wichtigen Mitgliederentscheids über die Neuauflage der großen Koalition.

Der Plan der Parteiführung, rasch Fakten zu schaffen und den Machtwechsel an der Spitze so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen, droht jedenfalls zu scheitern. Nahles soll schon morgen den Parteivorsitz von Martin Schulz übernehmen, er hätte dann im Willy-Brandt-Haus seinen letzten Tag als Vorsitzender - nach keinem Jahr im Amt. Doch in der Partei formiert sich Widerstand. Der hastige Wechsel und die mangelnde Absprache erzeugen bei vielen Genossen das Gefühl, übergangen worden zu sein. "Positionen dürfen nicht mal so eben im Hinterzimmer vergeben werden, das müssen alle entscheiden, die dafür zuständig sind, im Zweifelsfall ein Parteitag", poltert gestern etwa SPD-Vize Ralf Stegner.

"Es ist wichtig, dass die Mitglieder maßgeblich am Erneuerungsprozess beteiligt sind", sagt auch Hilde Mattheis, SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Parteichefin in Baden-Württemberg, im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. "Wir brauchen einen offenen und transparenten Prozess, damit die Partei die Möglichkeit hat, zwischen mehreren Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen", fordert sie. Der Vorschlag hat prominente Unterstützer. So sagt Katarina Barley, geschäftsführende Arbeits- und Familienministerin, sie könne der Urwahl-Idee durchaus etwas abgewinnen.

Seit Tagen versuchen die Parteigrößen, die Personaldebatte einzufangen und die Partei wieder unter Kontrolle zu bekommen. Doch ein ums andere Mal verstolpert sich die erste Reihe der SPD-Politiker. Und dann die Grätsche von Ex-Parteichef Sigmar Gabriel. Der schien die Sympathien im Streit mit Schulz auf seiner Seite zu haben, brachte sich dann aber durch verbale Tiefschläge weit unter der Gürtellinie wohl um die Chance, doch Außenminister zu bleiben. Die niveaulose Personaldebatte bleibt das dominierende Thema in der Partei.

Am Wochenende meldete sich die Schwester von Martin Schulz in einem Interview zu Wort, nannte die SPD-Führung eine "Schlangengrube" und erhob schwere Vorwürfe. Ihr Bruder sei belogen und betrogen worden. "Andrea Nahles, Olaf Scholz und andere machen ihn zum Sündenbock", sagte Doris Harst, die selbst seit Jahren in der Partei aktiv ist. Die Schlammschlacht wird zum Bumerang für Nahles und Scholz, die bis zum Freitag wie die strahlenden Sieger des Schulz-Dramas aussahen. Jetzt stehen sie gar als Intriganten am öffentlichen Pranger. Da platzt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gestern der Kragen, er droht, er könne jedem, der Personaldebatten jetzt weiter anheize oder Foulspiel begehe, nur sagen: "Irgendwann gibt's die Rote Karte." Eine Kampfansage an Sigmar Gabriel? Oder der hilflose Versuch, die Nahles-Inthronisierung zu retten