Spezialeinheiten gegen Pflegebetrug

Landespolizeipräsident zum Kampf gegen spezielle Form der Wirtschaftskriminalität

20.02.2019 | Stand 02.12.2020, 14:35 Uhr
Wilhelm Schmidbauer. −Foto: Staatsministerium des Innern

Herr Schmidbauer, seit April 2018 gibt es in den bayerischen Polizeiinspektionen zehn Schwerpunkt-Ermittlungseinheiten für Fehlverhalten im Gesundheitswesen.

Wie sind diese personell ausgestattet?
Wilhelm Schmidbauer: Wir haben in jedem Polizeipräsidium ein Wirtschaftskommissariat bei einer Kriminalpolizeiinspektion bestimmt, das zentral für das jeweilige Präsidium sämtliche Fälle des Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen bearbeitet. In diesen Schwerpunkt-Kommissariaten sind derzeit bayernweit rund 30 spezialisierte Ermittler nahezu ausschließlich mit der Bearbeitung solcher Delikte befasst. Weitere rund 30 Beamte verfügen ebenfalls über Erfahrungen in diesem Bereich und werden im Bedarfsfall für die Ermittlungen hinzugezogen.

Wurde die Zahl der Sachbearbeiter erhöht? Oder müssen die Beamten dieses Feld nebenbei bearbeiten?
Schmidbauer: Die Anzahl der eingesetzten Sachbearbeiter orientiert sich grundsätzlich am Fallaufkommen. Im Einzelnen liegt die Verantwortung für die personelle Ausgestaltung der Kommissariate bei den Polizeipräsidien. Selbst die Polizisten, die nur gelegentlich zur Ermittlung bei Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen eingesetzt werden, sind in der Regel erfahrene Kriminalpolizeibeamte aus den Wirtschaftskommissariaten.

Also wurden keine neuen Mitarbeiter eingestellt?
Schmidbauer: Wie kein anderes Bundesland stärkt Bayern seit Jahren seine Polizei mit zusätzlichen Stellen. Wir haben mit derzeit mehr als 42000 Polizeistellen den bislang höchsten Stellenstand. Von 2017 bis 2023 werden jährlich nach dem Beschluss der Staatsregierung weitere 500 zusätzliche Polizeibeamte bei der Bayerischen Polizei eingestellt, also insgesamt 3500. Dank der hohen Einstellungszahlen werden wir auch in den kommenden Jahren ein starkes Personalplus für die bayerische Polizei haben. Insoweit haben unsere Polizeipräsidien auch entsprechende Spielräume, die Schwerpunktkommissariate - sofern notwendig - personell aufzustocken.

Wurden auch medizinische Fachangestellte und IT-Experten in die Wirtschaftskommissariate aufgenommen?
Schmidbauer: Bei der Bayerischen Polizei werden schon seit 2005 Wirtschaftskriminalisten und seit 2011 IT-Kriminalisten eingestellt. Dabei handelt es sich um ein Modell, bei dem Spezialisten mit einem vorherigen Studienabschluss in der jeweiligen wirtschaftlichen oder technischen Fachrichtung und mit Berufserfahrung in den jeweiligen Sparten zu Polizeivollzugsbeamten weitergebildet werden. So wird das spezielle Wissen aus dem Studium und auch aus verschiedenen Berufsbereichen mit vollzugspolizeilichen Rechten und Kenntnissen kombiniert. Darüber hinaus ist diese Thematik auch Bestandteil der Fortbildung. In eigenständigen Seminaren wird die Ermittlungskompetenz unserer hochspezialisierten Ermittler in diesem Bereich weiter gesteigert.

Lassen sich bereits erste Erfolge nennen?
Schmidbauer: Unsere Experten haben bereits in den Jahren zuvor sehr gut ermittelt. Bei der 2018 umgesetzten Konzentration der Zuständigkeit auf ein Wirtschaftskommissariat in den Polizeipräsidien geht es uns vor allem darum, die Effizienz in der Sachbearbeitung, in der Fortbildung und bei der Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften noch weiter zu steigern. Ich gehe fest davon aus, dass wir damit noch besser aufgestellt sind als früher.

Gibt es Konzepte für eine gezielte Ausbildung in diesem Bereich?
Schmidbauer: Seit 2018 werden für den Kriminalitätsbereich des Fehlverhaltens im Gesundheitswesen an unserem Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei neue aufeinander aufbauende Seminare angeboten. In diesen Seminaren werden beispielsweise die rechtlichen und organisatorischen Bedingungen im Gesundheitswesen, die Schadensberechnung und auch andere kriminaltaktische Besonderheiten vertieft behandelt.

Arbeitet die bayerische Polizei in Kooperation mit dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege an einem neuen Konzept für konzertierte Betrugsbekämpfung im Gesundheitswesen?
Schmidbauer: Wir stehen in engem Kontakt mit dem bayerischen Gesundheitsministerium, um Betrug im Gesundheitswesen effektiv zu bekämpfen. So gibt es beispielsweise regelmäßig Fachgespräche mit Experten beider Ressorts. Unsere Zusammenarbeit hat das Ziel, auch unter Einbeziehung der Leistungsträger ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen gegen den Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen zu ermöglichen. Selbstverständlich gibt es dazu auch konzeptionelle Absprachen und Festlegungen.

Die Krankenkassen fordern zur effektiven Betrugsbekämpfung eine bundesweite Betrugspräventions-Datenbank. Wird da-ran bereits gearbeitet?
Schmidbauer: Für die bayerische Polizei gibt es - auch bundesländerübergreifend - bereits umfassende Möglichkeiten zum Informationsaustausch. Die Einrichtung einer bundesweiten "Betrugspräventions-Datenbank" für die Krankenversicherungen ist der Polizei aufgrund der geltenden Gesetze - insbesondere aufgrund der Datenschutzbestimmungen - verwehrt. Für die Aufnahme einer Person in polizeiliche Datenbanken muss entweder der Anfangsverdacht, dass diese Person eine Straftat begangen hat, oder die konkrete Gefahr vorliegen, dass die Person in absehbarer Zeit eine bestimmte Straftat begehen wird. Beides muss sich auf hinreichende, tatsächliche Anhaltspunkte stützen können, die nur von den Krankenkassen selbst auf der Grundlage der bei ihnen abgerechneten Leistungen erbracht werden können.

Das Bundeskriminalamt hat für das Jahr 2017 einen Schaden von 120 Millionen Euro ermittelt. Muss man davon ausgehen, dass der tatsächliche wirtschaftliche Schaden noch weitaus höher liegen könnte?

Schmidbauer: Laut der Studie "The financial cost of healthcare fraud" der University of Portsmouth (Großbritannien) gehen weltweit durchschnittlich 6,2 Prozent der Gesamtausgaben des Gesundheitswesens durch Fehlverhalten verloren. Bei Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von insgesamt rund 226 Milliarden Euro im Jahr 2017 - laut GKV-Spitzenverband - ergibt sich für die Bundesrepublik eine geschätzte Gesamtschadenssumme von 14 Milliarden Euro. Davon zu unterscheiden sind die Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Hier werden nur Fälle und damit Schadenssummen erfasst, die der Polizei bekannt geworden sind.

DK



Das Gespräch führte Kathrin Gerlach.

ZUR PERSON
Wilhelm Schmidbauer ist seit dem Jahr 2013 Landespolizeipräsident des Freistaates Bayern und damit der Chef von mehr als 42000 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Er stammt aus Regensburg. Zuvor war der 61 Jahre alte Rechtswissenschaftler unter anderem im Bayerischen Staatsministerium des Inneren und als Präsident des Polizeipräsidiums München tätig.