Ingolstadt
"Wir fühlen uns bestätigt"

05.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:31 Uhr
Christian Lindner sieht sich darin bestätigt, nicht in eine Jamaika-Koalition eingetreten zu sein. −Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Bei seinem Besuch in der Redaktion des DONAUKURIER sprach FDP-Chef Christian Lindner über die große Koalition, Jamaika und die Landtagswahl.

Herr Lindner, Markus Söder hat ein bayerisches Raumfahrtprogramm vorgestellt, auf das Logo hat die JU dessen Gesicht in XXL montiert.Die Idee hätte ja glatt von Ihnen kommen, oder?

Christian Lindner: Nein, aus Zukunftstechnologien sollte man keinen Wahlkampf-Gag machen. Das entwertet die an sich sinnvollen Investitionen. Bayern braucht Spitzentechnologie. Der jetzige Wohlstand wird von der CSU aber nur planlos übers Land verteilt. Die einmalige wirtschaftliche Substanz Bayerns muss zuerst für die Sanierung und Digitalisierung von Schulen und Hochschulen genutzt werden. Die sind nicht in dem Zustand, in dem sie sein müssten, wenn man in der Weltspitze mitspielen möchte. Danach können dann Projekte wie Raumfahrt folgen.

Warum sollte Ihre Partei dem nächsten Landtag angehören?

Lindner: Das Profil der FDP fehlt derzeit in Bayern - einerseits die Verbindung von wirtschaftlicher Vernunft und dem Eintreten für die Freiheit der Menschen und andererseits die gesellschaftspolitische Modernisierung durch Investitionen in die Kita-Infrastruktur, den Schutz der Bürgerrechte und die Ablehnung der Abschottung des Landes. Denn Bayern ist auf qualifizierte Einwanderer angewiesen. Dafür braucht es ein entsprechendes unbürokratisches Recht, aber vor allem braucht es dafür keine Kuschelei mit Viktor Orban.

Die Koalitionsbildung in Bayern könnte sich schwierig gestalten. Unter welchen Umständen würden die Liberalen in eine Regierung eintreten?

Lindner: Es gibt drei realistische Koalitionsoptionen. In zwei davon spielt die FDP eine Rolle. Die Menschen entscheiden also zwischen der FDP und den Grünen, die vielleicht sympathischer als früher auftreten, aber die alte linke Verbotspolitik im Programm haben. Eine Regenbogenkoalition aller Parteien außer CSU und AfD halte ich für eine absurde Spekulation. Die CSU zieht das nun panisch als Angstkulisse hoch. Man muss eine solche Konstellation gar nicht formal ausschließen, weil sie inhaltlich total unwahrscheinlich ist. Die CSU wollte letztes Jahr bei Agrar, Steuern, Europa und vor allem Zuwanderung in Richtung der Grünen umfallen. Wir nicht.

Ist denn die Abschaffung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) eine mögliche Voraussetzung?

Lindner: Die bayerische FDP will das PAG an dem verfassungsfesten Entwurf orientieren, den es in Nordrhein-Westfalen gibt. Dort gibt es eine CDU/FDP-Regierung, die bürgerliche Freiheitsrechte mit neuen Anforderungen der Polizei besser verbindet als die CSU es hier in Bayern getan hat. Die FDP ist kein unsicherer Kantonist. Aber wir sind dagegen, jede Freiheit, jede Rücksichtnahme, jede Verhältnismäßigkeit und jede Privatheit für die Sicherheit einzuschränken. Das geht über die Grenze des Grundgesetzes hinaus.

Von München nach Berlin: Freut Sie die Instabilität der Groko?

Lindner: Ich freue mich nicht über eine instabile Regierung. Dennoch fühlen wir uns in unserer Entscheidung von vor einem Jahr bestätigt. Die Instabilität rührt ja vom Abnutzungskrieg zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel her. Daran wäre nichts besser, wenn Anton Hofreiter und ich noch mit am Tisch sitzen würden. Gerade die CSU hat uns im Geheimen Lorbeerkränze aus Dankbarkeit geflochten. Es ist eine Charakterfrage, dass die CSU gegenwärtig öffentlich ganz anders darüber spricht.

Das lässt ja nichts Gutes für Bayern erahnen, wenn es zu Koalitionsgesprächen kommen sollte.

Lindner: Die CSU hat die Orientierung verloren, denken Sie an die Nähe zu Orban, der die EU in die Luft sprengen will, oder die Relativierung der Trennung von Staat und Religion durch das Wahlkampfmanöver, Kreuze an die Wand zu hängen. Mit einen Koalitionspartner findet die CSU vielleicht in die Tradition von Theo Waigel und Edmund Stoiber zurück.

Wie beurteilen Sie Horst Seehofers Politik in Berlin?

Lindner: Er hat das richtige Gefühl, dass die Einwanderung die Menschen beschäftigt. Aber er zieht die falschen Konsequenzen. Es ist das Gefühl des staatlichen Organisierungsversagens, das die Menschen empört, nicht die generelle Ablehnung von Einwanderung. Ich würde mir wünschen, dass er die Liberalität des Landes verteidigt, aber auf der anderen Seite endlich die richtigen Rechtsgrundlagen schafft. Man könnte zum Beispiel endlich Tunesien zum sicheren Herkunftsland erklären. Das stellt die Union aber nicht zur Abstimmung, um die Grünen zu schonen. Wie viele Bälle wollen die der AfD noch zuwerfen?

Wie begegnet man der AfD aus Ihrer Sicht am besten?

Lindner: Man sollte sich nicht auf das Niveau der AfD hinab begeben. Die verwenden menschenverachtende und beleidigende Worte, setzen auf den Tabubruch und haben keine Abgrenzung mehr zum Rechtsextremismus. Ich habe kein Verständnis dafür, dass Teile der CDU darüber spekulieren, mit dieser Partei zu koalieren.

Die CSU will nur Geduldeten einen "Spurwechsel" ermöglichen. Reicht das, um dem Fachkräftemangel Herr zu werden?

Lindner: Den Fachkräftemangel sollten wir durch unbürokratische Regeln für qualifizierte Einwanderer angehen, die sich darum bewerben. Das muss der reguläre Weg in den Arbeitsmarkt sein - mit klaren Anforderungen, wer kommen darf und wer nicht, nach kanadischem Vorbild. Bei denjenigen, die hier sind, und ausreisen sollen, halte ich die Möglichkeit eines Spurwechsels für sinnvoll - aber zu den gleichen Bedingungen und ohne Rabatt. Die CSU verwechselt eine gesteuerte Einwanderungspolitik mit Abschottung.

Stichwort Diesel: Ist der Kompromiss der großen Koalition nicht eine Abwrackprämie 2.0?

Lindner: Ich warne davor, die Automobilindustrie fahrlässig kaputtzureden. Es hat Betrug gegeben, der auf Kosten der Hersteller beseitigt werden muss. Aber die ganz große Mehrzahl der Diesel-Fahrzeuge ist legal in Betrieb genommen worden. Die Fahrverbote gehen deshalb zu einem großen Teil auf das Konto der Politik, die Messverfahren einsetzt, die wissenschaftlich fragwürdig sind. Generell stelle ich die Frage, ob wir die schärfsten Grenzwerte der Welt - angesichts der enormen Fortschritte für die Luftqualität in den Innenstädten - nicht auch ein paar Jahre später erreichen dürfen. Denn durch die natürliche Erneuerung der Fahrzeugflotte wird das Problem mittelfristig entschärft. Wir sollten Alltagsvernunft und Verhältnismäßigkeit zurückgewinnen. Als verarmte Moralweltmeister sollten wir nicht in die Geschichtsbücher eingehen wollen.

Das Gespräch führten Verena Belzer, Stefan König und Christian Tamm.