Pfaffenhofen
"Ethische Verwahrlosung"

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter über sichere Herkunftsländer und Asylpolitik

19.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:02 Uhr
War kürzlich zu Gast in Pfaffenhofen: Anton Hofreiter. −Foto: Schaipp

Am Rande seines Besuchs in Pfaffenhofen hat Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter unserer Zeitung ein Interview zum Thema Asylpolitik gegeben.

Herr Hofreiter, die Regierung will die Maghreb-Länder zu sicheren Herkunftsländern erklären lassen. Ein richtiger Schritt?
Anton Hofreiter: Das löst gar nichts. Und Seehofer weiß das. In den Maghreb-Ländern werden Journalisten, Minderheiten und Homosexuelle verfolgt oder verhaftet. Länder, in denen es Berichte über Folter gibt, können nicht sicher sein.

Verfahren bei Asylanträgen dauern lange, das Bundesamt für Migration ist überfordert. Angelehnt an Angela Merkel: Schaffen wir es doch nicht?
Hofreiter: Wenn sich Seehofer auf seine Aufgaben konzentrieren und nicht noch mehr Chaos anrichten würde, dann würden wir es schaffen können. Das Bamf verliert vor Gericht in erster Instanz 44 Prozent seiner negativen Asylbescheide. Da wird schlampig gearbeitet. Das kommt vor allem daher, dass politisch Druck ausgeübt wird, dass Menschen aus Bürgerkriegsländern möglichst kein Asyl bekommen. Es muss klar sein: Es braucht faire und schnelle Verfahren - für die, die bleiben dürfen, genauso wie für die, die kein Recht auf Asyl haben. Faire Verfahren würden den Betroffenen zugutekommen und die Gerichte entlasten.

Vor drei Jahren wurden Flüchtlinge willkommen geheißen. Haben die Helfer damals die Ängste der Menschen unterschätzt?
Hofreiter: Gerade in Bayern haben wir eine sehr aktive Bürgerbewegung, die den Geflüchteten hilft. Diese Menschen verdienen Respekt und Dank. Sie sind mit der praktischen Arbeit so beschäftigt, dass sie nicht auch noch Zeit dafür haben, so laut rumzuschreien wie die Rechten.
Trotzdem hat die AfD bei der Bundestagswahl in Bayern mit 15 Prozent das beste westdeutsche Ergebnis erzielt.
Hofreiter: Das stimmt, aber 85 Prozent haben sie auch nicht gewählt. Dass sie ausgerechnet in Bayern so gut abgeschnitten hatten, zeigt, wie grundfalsch die CSU-Strategie ist: Wer den Parolen der AfD hinterherläuft, macht sie erst stark.

Wie sieht die Strategie der Grünen aus, die AfD kleinzuhalten?
Hofreiter: Unser Job ist es, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat zu verteidigen. Heute zeigt sich: Es war ein Fehler, dass der Staat Volksverhetzung und Beleidigung im digitalen Raum nicht ausreichend verfolgt hat. Da, wo der Staat zurückweicht, sind die Rechtsradikalen stark. Es gibt auch in Bayern Regionen, da fährt kein Bus mehr hin, da musste das Wirtshaus, das letzte Geschäft, die Apotheke und die Bank zu machen. Da fühlen sich die Leute abgehängt, weil sie von der Regierung im Stich gelassen wurden. Man muss dafür sorgen, dass der Keil der Verunsicherung in der Sozialpolitik, der zum Teil bis in die Mittelschicht reicht, bekämpft wird. Niemand darf Angst davor haben, durchs Raster zu fallen, wenn er beispielsweise arbeitslos wird.

Alle reden über Abschottung, kaum jemand über Integration. Welche Konzepte haben die Grünen?
Hofreiter: Dringend notwendig ist, dass die Menschen, die integriert werden sollen, eine zuverlässige Perspektive haben. Es braucht ausreichend Deutschkurse. Wenn einer eine Ausbildung macht, muss ihm garantiert werden, dass er sie auch zu Ende bringen kann. Der bayerische Staat hält sich hier nicht an Recht und Gesetz. Und: Damit Integration gelingt, braucht es ausreichend Wohnraum - und zwar für alle. Denn Wohnungsnot ist eines der größten Probleme, die wir haben, ganz unabhängig von Geflüchteten.

Wie würden die Grünen das Problem der Verteilung der Flüchtlinge in Europa angehen?
Hofreiter: Man sollte die stärken, die hilfsbereit sind. Man könnte sich zum Beispiel an Kommunen statt an Länder wenden. In der Diskussion über die Aufnahme von Rettungsschiffen haben wir gesehen, dass Städte wie Palermo oder Bundesländer wie Berlin und Schleswig-Holstein viel hilfsbereiter sind, Menschen aufzunehmen. Es gibt auch Kommunen, die von Abwanderung betroffen sind, die gerne eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen würden, wenn dafür die Dorfschule erhalten bleibt. Man darf dabei aber nicht mit einem Strafsystem arbeiten, sondern mit finanziellen Anreizen.

Was sagt es über die Gesellschaft aus, wenn diskutiert wird, ob die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer legitim ist?
Hofreiter: Das macht mir Sorgen. Es zeigt, dass sich bei manchen Menschen die Maßstäbe sehr grundlegend verschoben haben. Ich halte das für ein alarmierendes Zeichen, es führt zu einem Klima der ethischen Verwahrlosung in der Gesellschaft. Ich frage mich schon, ob man in einigen Jahren fragen wird, wie sehr die demokratischen Gesellschaften versagt haben, weil sie nicht willens waren, diesen Menschen zu helfen.

In Berlin haben Sie mit der Union sondiert. Die bayerischen Grünen haben eine Koalition mit der CSU ausgeschlossen. Stehen Sie hinter dieser Entscheidung?
Hofreiter: Es ist erschreckend, wie sich die CSU entwickelt hat und wie sie sich von Rechtsradikalen treiben lässt. So wie die CSU im Moment agiert, kann man es sich in der Tat schwer vorstellen, mit denen zusammenzuarbeiten.

Die Fragen stellte Verena Belzer.