Was
Das Geschäft mit der Heimat

07.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:43 Uhr

Was haben Dicke Sauerländer und Lederhosen miteinander zu tun? Beide vermitteln ein Gefühl von Heimat. Und davon haben die Menschen niemals genug, wissen Experten. Deshalb liegt der Heimatbezug im Trend - nicht nur in der Politik.

Michael Thalhammer nimmt die Sache mit dem Branding wörtlich: Er "tätowiert" Lederhosen. Im oberbayerischen Sauerlach brennt er Steinbock, Hopfendolden und Gebirgssilhouetten aufs Hosenbein, aber auch Palmen, Zunftzeichen und mal für einen Amerikaner ein Familienwappen. "Ich will Tradition mit Lässigkeit verbinden", sagt Thalhammer. Seine Hosen sitzen lockerer als streng traditionelle Tracht, sollen auch mit T-Shirt statt Hemd getragen werden. "Ich will den Begriff Bayern moderner interpretieren."

Damit ist Thalhammer eines der Vorzeigegesichter der Bayern Tourismus Marketing GmbH. "Neuschwanstein und Oktoberfest sind Selbstläufer, die muss man nicht vermarkten", so Sprecherin Stephanie Scheuermann. Der derzeit viel diskutierte Begriff Heimat lasse sich am besten über Personen vermarkten.

Nun haben die meisten Deutschen zu Bayern vermutlich sofort ein Bild im Kopf. Wofür aber steht Deutschland als Ganzes, wie es künftig das geplante Bundesheimatministerium vertreten will? Wie lassen sich Wattenmeer, Ruhrgebiet, Erzgebirge, Mecklenburgische Seenplatte mit Großstädten wie Hamburg und Berlin unter einen Hut bringen? Deutsche Unternehmer finden darauf ganz eigene Antworten.

"Touristisch gedacht lässt sich Deutschland über seine Highlights definieren", sagt Andreas Fischer-Appelt von der gleichnamigen Kommunikationsagentur. Als diese 2006 die Kampagne "Du bist Deutschland" mitentwickelte, sei es um eine Initiative von Wirtschaft und Politik gegangen. "Sie ging auf den einzelnen Menschen ein. Wir wollten zeigen, dass jeder Mensch für sich viel erreichen kann", sagt Fischer-Appelt. "Der Heimatbezug kam erst später dazu." Vor allem wegen des Sommermärchens bei der Fußball-Weltmeisterschaft vor zwölf Jahren.

In der Politik sei mit Heimat ländlicher Raum gemeint, wo das Mobilfunknetz schwach ist, wo Ärzte und Geschäfte fehlen. "Heimat ist ein Gegentrend zur Globalisierung", sagt Fischer-Appelt. Der Begriff stehe für Nähe, Kontrollierbarkeit, Geborgenheit. "Die CSU als regionale Partei weiß, wie wichtig Verankerung ist." Der designierte Bundesheimatminister Horst Seehofer wisse, dass es wichtig sei, die Verbindung zu den Menschen dort zu halten.

Ähnlich sieht es Medienforscher Guido Zurstiege von der Uni Tübingen: "Heimat ist nicht nur dort gegeben, wo Wälder rauschen und Wiesen blühen, sondern wo Familien leben, wo man zu Hause ist." Heimat tauge gut als Marketingbegriff, weil Werbung die großen Fragen angehe, die die Menschen bewegen. "Sie haben niemals genug Heimat", sagt der Wissenschaftler. "Wie bei Glück und Liebe." Es gebe keine endgültigen Antworten. "Das ist im höchsten Maße enttäuschungsresistent."

Zwar könne es eine ästhetische Abnutzung geben, wenn Bilder wie das Alpenpanorama zu oft verwendet werden. "Aber das Konzept Heimat ist lebendig", so Medienforscher Zurstiege. Auch Werbefachmann Fischer-Appelt sagt, in der Wirtschaft sei Heimat ein "Megatrend". Lebensmittelhändler hätten das längst erkannt - zig Supermarktketten und Discounter werben mit regionalen Produkten. "Das ist nicht geschützt und vermittelt ein gutes Gefühl."

So sind es auch gerade Lebensmittel, mit denen man sich nach einem Umzug am einfachsten ein Stück Heimat bewahren oder besorgen kann. Wer im Ausland is(s)t, vermisst oft deutsches Brot. Bier läuft auch gut: Die badische Rothaus-Brauerei wirbt stark mit dem Thema Heimat und hat damit weltweit Erfolg - zehn Prozent der Geschäfte werden außerhalb Baden-Württembergs gemacht. In Köln etwa ist Rothaus den Angaben nach eine der meistverkauften Pils-Marken. "Wichtig ist, dass Heimat nicht inszeniert wird - oder auf kurzzeitigen Effekt aus ist", sagt Vorstand Christian Rasch. "Ein positives Heimatgefühl entsteht, wenn es authentisch zugeht." Deshalb habe Rothaus sein Outfit kaum verändert. Die Frau in Schwarzwälder Tracht etwa, die für das "Tannenzäpfle" und andere Biere der Brauerei steht, gibt es seit 1972. Auf Tradition setzt auch das Herzoglich Bayerische Brauhaus Tegernsee, dessen Absatzmarkt sich längst nicht auf den Freistaat beschränkt.

Ähnliche Erfahrungen hat die Firma Metten Fleischwaren aus Finnentrop gemacht, die Dicke Sauerländer - Bockwürste in der Konservendose - herstellt. "Es gibt Anfragen von Exil-Sauerländern", sagt Tobias Metten. Über einen Internetshop seien Büchsen schon nach Teneriffa und Mallorca geliefert worden. Doch obwohl allein von der Fünfer-Dose mehr als zehn Millionen im Jahr produziert werden, ließen sich die nicht überall verkaufen. "Es gibt eine imaginären Weißwurst-Äquator", so Metten. Dahinter sei es unüblich, Wurst aus der Konserve zu essen.

Ebenfalls im Sauerland haben Plakate mit lokaler Mundart ihren Ursprung. Mit einer kleinen Auflage von 500 Stück mit einem Potpourri aus Wörtern wie "woll", "betuppen", "Fisematenten" und "Pimpernellen" ging es los. In den ersten zwei Jahren wurden mehr als 25 000 Poster verkauft, berichtet Katharina Rieland von der kajado GmbH. Bis zu 85 Prozent der Käufer seien Menschen, "die noch vor Ort wohnen und einen starken Bezug zur Heimat haben". "Woll"-Produkte haben es aber auch schon nach Afghanistan zu dort stationierten Soldaten geschafft.

Inzwischen gibt es die Wörter-Poster für 20 Städte und Regionen sowie zu Kategorien wie Vierbeiner, Fußball, Yoga und zum Lutherjahr - und das Ganze auch als Tassen-Aufdruck und Brettchen. "Wir produzieren, je nach Motiv und Format, Auflagen zwischen 250 Stück und 12 500 Stück pro Jahr", so Rieland. Der Wunsch, sich ein Stück Heimat an die Wand zu hängen oder in der Hand zu halten, scheint groß zu sein.

Eine Erfahrung, die so ähnlich auch Nina Munz von Trachten Angermaier gemacht hat: In Zeiten der Globalisierung lasse sich eine starke Rückbesinnung auf Tradition und Heimat feststellen. Neben Filialen in Süddeutschland gibt es eine in Berlin sowie einen Onlineshop, wo rund ein Drittel der Kunden Nicht-Bayern seien - Tendenz steigend. So hätten Amerikanerinnen Hochzeitstracht geordert. Lederhosen und Dirndl gingen auch schon nach Australien, Argentinien, Südafrika und Kanada, sagt Munz. "Exotisch war letztes Jahr Hongkong und Singapur."

Auch bei Lederhosen-Tätowierer Thalhammer funktioniert das Marketing: Neben Gästen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, hatte er auch schon einmal eine Delegation aus Japan zu Besuch. Mehrere Hosen gingen in die USA. Der Preis ist mit 1200 Euro plus rund 300 Euro fürs Branding übrigens kein Pappenstiel. Thalhammer weiß: "Das nimmt man nicht schnell im Vorbeigehen mit wie ein Souvenirglas mit Neuschwanstein-Motiv."