Ingolstadt
Schlagkräftige Antwort auf Betrug im Gesundheitswesen fehlt

Ermittlungsbehörden brauchen gebündelte Kompetenzen - Arbeitsgemeinschaft der Kranken- und Pflegekassen legt 10-Punkte-Plan vor

20.02.2019 | Stand 23.09.2023, 6:01 Uhr

Ingolstadt (DK) Abrechnungsbetrug, Untreue und Korruption im Gesundheitswesen sind keine neuen Phänomene. Schon im Jahr 2003 trat das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen in Kraft, in dessen Folge die Krankenkassen erstmals Stellen zur Bekämpfung des Fehlverhaltens im Gesundheitswesen einrichteten. Mit den Paragrafen 197a SGB V und 47a SGB XI wurden Rechtsgrundlagen geschaffen, damit Fehlverhalten im Gesundheitswesen effektiver verfolgt und geahndet werden kann.

Am 4. Juni 2016 trat das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen in Kraft, das neue Straftatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen ins Strafgesetzbuch einführte und die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen stärkte. In Bayern, Hessen, Thüringen und Schleswig-Holstein wurden spezialisierte und landesweit zuständige Staatsanwaltschaften eingerichtet. In Bayern befinden sich diese Schwerpunktstaatsanwaltschaften in München, Nürnberg und Hof.

"Das Gesundheitswesen ist ein enorm starker Wirtschaftszweig, in dem im Jahr 2017 mit 374 Milliarden Euro mehr Geld bewegt wurde als in unserem Bundeshaushalt mit 325 Milliarden Euro", erklärt der Münchner Oberstaatsanwalt Richard Findl. Seit zwei Jahren spezialisieren sich unter seiner Regie zehn Staatsanwälte auf die Strafverfolgung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen, bauen in enger Zusammenarbeit mit den Krankenkassen, dem Medizinischen Dienst der Kassen und den Schwerpunktermittlungseinheiten an den bayrischen Polizeipräsidien Netzwerke auf. Doch eine effektive Strafverfolgung ist auch ihnen nur auf Grundlage einheitlicher Regularien möglich. "Betrug findet man oft dort, wo etwas anderes geleistet wird als vertraglich vereinbart", erklärt Findl.

Eine Erleichterung für die Arbeit der Ermittlungsbehörde wären kassenübergreifend einheitliche Verträge zwischen den Krankenkassen und Pflegediensten, in denen die Leistungen und Anforderungen an den Leistungserbringer detailliert beschrieben sind. Die allerdings gibt es bislang nur bei großen Krankenkassen wie der AOK. "Wir haben im Zuge unserer Ermittlungen feststellen müssen, dass die geschlossenen Verträge sehr uneinheitlich sind, und dass viele Krankenkassen nicht beziehungsweise nicht genau definieren, was sie unter Intensivpflege verstehen und vertraglich nicht festlegen, welche Fachkräfte in diesem sensiblen Bereich arbeiten dürfen", erläutert Staatsanwältin Saskia Giuliano. Bei einigen Krankenkassen-Mitarbeitern fehle sogar das Bewusstsein dafür, wofür derartige Verträge nötig seien. Und so kann betrogen werden, ohne dass eine strafrechtliche Ahndung überhaupt möglich ist.

Hinzu kommt, dass für jeden einzelnen Fall oft so viele Leistungsnachweise und Abrechnungen kontrolliert werden müssen, dass sich die Auswertungen über Monate oder gar Jahre erstrecken. Giuliano: "In einem Fall mussten mehr als 700 Aktenordner gesichtet werden." Eine Aufgabe, die Personal bindet, das eigentlich nicht da ist. "Auch wenn unsere Staatsanwaltschaft gut aufgestellt ist, hinken wir den Fällen hinterher", räumt Oberstaatsanwalt Findl ein. Die Zahl der offenen Verfahren allein in der Staatsanwaltschaft München I stieg seit 2016 von 80 auf derzeit circa 190. Doch in den Ermittlungsbehörden fehlt es an geeignetem Personal. Um digitale Abrechnungen von Ärzten und Krankenhäusern bewerten zu können, wären medizinische Fachangestellte und IT-Experten nötig. "Wir müssen medizinische, technische, kriminalistische, sozial- und strafrechtliche Kompetenzen bündeln", betont Findl und ergänzt: "Spezielle Fahnder - vergleichbar mit den Steuerfahndern des Finanzamtes - wären die beste Antwort auf Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen."

Die Politik ist gefordert, weitere Weichen zu stellen. Die Arbeitsgemeinschaft der Kranken- und Pflegekassenverbände in Bayern legte der bayerischen Staatsregierung im vergangenen Jahr einen "10-Punkte-Plan zur Prävention und Bekämpfung von Abrechnungsbetrug in der Pflege" vor. Darin wird unter anderem mehr Transparenz in der Versorgung der Versicherten gefordert. Diese soll damit beginnen, dass Pflegedienste den Krankenkassen die Namen, die Qualifizierung, das Handzeichen (Kürzel), den Beschäftigungsumfang und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis aller Mitarbeiter vorlegen müssen. Bislang wird das durch das Bayerische Datenschutzgesetz verhindert.

Auf mehr Transparenz zielt auch die Forderung nach Echtzeit-Leistungsabrechnungen. Gefordert werden mobile Geräte zur Erfassung der Pflegeleistung, die Beginn und Ende der Pflege auf die Sekunde genau festhalten. So ließen sich Leistungsüberschneidungen bei der Abrechnung der Pflege mehrerer Patienten eindeutig identifizieren. Bislang lehnen die Verbände der Leistungserbringer das ab.

Kathrin Gerlach