Einsatz im Hochwassergebiet Ahrweiler - "Wir mussten immer mit einer Leiche rechnen"

10.09.2021 | Stand 23.09.2023, 20:45 Uhr
Die Folgen der Hochwasserkatastrophe in Antweiler, das im Oberahrtal in Rheinland-Pfalz liegt, dokumentierte Klaus Dölla mit seiner Kamera. "Bis zu 300 Meter von der Ahr entfernt hat es das Geröll in Grundstücke geschwemmt", erzählt der 58-Jährige. −Foto: Dölla

Trauer, Fassungslosigkeit, Verzweiflung: Die Hochwasserkatastrophen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bayern schockierten die Menschen in Deutschland. Klaus Dölla aus Wolframs-Eschenbach wollte nicht einfach tatenlos zusehen. Der 58-Jährige hat mit einem Bagger geholfen. Über seinen emotionalen Einsatz in Antweiler hat er mit unserer Zeitung gesprochen.

Es ist ein Augenblick, den Klaus Dölla nie mehr vergessen wird. Eine Geste, die so einfach scheint. Eine Geste voller Emotionen. "Die Frau hat mich einfach in den Arm genommen und sich weinend bedankt. Das lässt einen nicht kalt", erzählt der 58-Jährige. Schon alleine solche Momente seien es wert gewesen, loszufahren.

Der Baggerfahrer stand kurz vor diesem für ihn besonderen Moment mit einem Bagger im Fluss Ahr in Antweiler (Rheinland-Pflalz). Er wollte den Menschen dort nach der Hochwasserkatastrophe im August helfen. Die Frau am Ufer winkte ihn herbei. Um ihre Dankbarkeit zu zeigen.

Dass Dölla, der mit seiner Frau in Wolframs-Eschenbach bei Ansbach lebt, mit einem Bagger in Rheinland-Pfalz im Einsatz sein würde, war bis zu einem Anruf eines Bekannten nicht geplant. "Er hat dort gebaggert und nachdem er eine Leiche gefunden hat, konnte er nicht mehr weitermachen." Nach einem Telefonat mit dem Katastrophenschutz war klar, dass nicht nur ein Baggerfahrer, sondern am besten auch Geräte gebraucht wurden. Die bekam Dölla problemlos von seinem Arbeitgeber, der Freitag-Gruppe aus Parsberg. "Wir haben sofort zugestimmt und wollten, dass die Menschen in den betroffenen Gebieten Unterstützung erfahren", sagt Geschäftsführer Michael Freitag. Mehrere Mitarbeiter des Unternehmens waren in den Flutgebieten. Man wollte sofort bei der Grundversorgung helfen, so Freitag.

Dölla ist für die Hilfe seiner Firma genauso dankbar wie für die eines Kollegen, der ihn und den Bagger mit einem Lkw nach Rheinland-Pfalz brachte und dort ebenfalls mithalf. Die Aufgabe: die provisorisch zusammengebauten Wasserleitungen im Fluss zu schützen. "Antweiler und die nächsten 15 Ortschaften haben das Wasser benötigt. Und der Pegel ist immer wieder gestiegen", erzählt der Polier und Baggerfahrer. Rund 14 Stunden am Tag, sieben Tage lang war Dölla mit anderen im Einsatz. 80 Lkw-Ladungen Geröll lud er am Tag auf. Eine unheimlich kräftezehrende Zeit.

Denn schon bei der Ankunft warnte Antweilers Bürgermeister, dass im betroffenen Abschnitt immer noch 16 Personen vermisst wurden. "Wir mussten also immer damit rechnen, eine Leiche zu finden." Deshalb baggerte der 58-Jährige extrem vorsichtig. Jede Schaufel kontrollierte er, während er sie langsam zum Lkw hob. Jede Schaufel leerte er sanft auf den Lkw. Das sei eine unheimlich anstrengende und emotionale Sache.

Einmal entdeckten Dölla und sein Lkw-Fahrer Haare auf der Schaufel. Der Baggerfahrer stieg aus und räumte den Dreck beiseite. Entwarnung. Es war kein Mensch, sondern ein Hund. Auch bei zwei Schuhpaaren war die Angst zunächst groß. "Wir dachten wirklich, wir hätten jemanden gefunden." Ebenfalls ein Irrtum - "Gott sei Dank."

Der Baggerfahrer hatte den Mut, traute sich, trotz dieses Risikos mitzuhelfen. Er habe schon mehrmals beim Baggern mit Verkehrstoten zu tun gehabt, sagt der 58-Jährige. Danach hat er sich immer mit Seelsorgern unterhalten. Auch in Antweiler gab es Gesprächsangebote. "Natürlich ist es schlimm, eine Leiche zu finden, aber es gibt die Kehrseite der Medaille." Denn Dölla weiß: Mit dem Fund haben die Angehörigen der Vermissten Gewissheit. Sie können abschließen.

Wie es ist, mit der Ungewissheit leben zu müssen, hat der 58-Jährige in Antweiler bei einem Gespräch mit einer Frau erfahren. Ihr Ehemann wurde vom Wasser mitgerissen. "Was diese Menschen wegen ihrer Sorgen durchmachen, kann sich niemand vorstellen." Bei jedem Geräusch zuckte die Frau in der Nacht zusammen. An Schlafen war nicht zu denken. Die Angst, dass der Mann verletzt ist und leidet, war groß. All das erzählte sie dem Baggerfahrer aus dem mittelfränkischen Wolframs-Eschenbach.

Diese Gespräche und Ereignisse bewegten Dölla sehr. Als er Fotos machen wollte, um Verwandten und Bekannten von seinem Einsatz sowie dem dramatischen Ausmaß zu berichten, wurde er attackiert. Ein Mann wollte einen Stein nach ihm werfen. "Leider gab es wirklich Leute, die die Katastrophe schaulustig fotografierten." Dölla klärte den Mann auf. Der Anwohner umarmte ihn, weinte und erzählte, er habe drei Häuser verloren: Das eigene musste aufgrund der Beschädigungen abgerissen werden, das der Tochter und das des Sohnes wurden vollständig zerstört. "Solche Schicksale sind sehr emotional und eine Herausforderung gewesen", sagt Dölla.

Umso beeindruckter ist er immer noch vom großen Zusammenhalt im betroffenen Gebiet. Während der sieben Tage stellte die Gemeinde einen Schlafplatz in einer ehemaligen Jugendherberge. Dort wurden auch Spenden sortiert. Mahlzeiten bekamen die Helferinnen und Helfer vom BRK, Diesel von der Bundeswehr. "Das alles war wirklich sehr gut organisiert." Als das BRK an einem Sonntag keine Stärkung bereitstelle, sprangen die Anwohnerinnen und Anwohner ein. Dölla und die anderen wurden zu einer Suppe eingeladen. "Die Leute haben nichts und helfen trotzdem zusammen." Das sei einfach unglaublich.

Genau an diesen positiven Erinnerungen möchte Dölla festhalten. Noch heute hat er Kontakt zum Bürgermeister von Antweiler. Dieser berichtet über die aktuelle Situation. Auch über ein Plakat, dass die Menschen aus Dankbarkeit aufhingen. Offen wird Dölla aber genauso erzählt, wie prekär die Lage immer noch ist. Nach wie vor laufen die Aufräumarbeiten. Viele Menschen, die ihr Haus oder die Wohnung verloren haben, müssen auf Pritschen der Bundeswehr schlafen. Das nimmt Dölla mit. Schlaflose Nächte und Träume von scheinbaren Leichen auf der Baggerschaufel gehören seit dem Einsatz dazu. Dölla versucht deswegen, viel mit seiner Frau, Freunden und Bekannten zu sprechen. "Dann geht es einem besser und das empfehlen die Psychologen."

Nochmal würde er bei solch einer Katastrophe trotzdem anpacken - "auf jeden Fall". Im Oktober hilft Dölla deshalb eventuell wieder - sein Lkw-Fahrer vermutlich nicht. Das könne er ihm nicht antun, es sei ein logistischer und psychischer Aufwand, der immens sei. So oder so: "Schon der eine Einsatz bleibt im Kopf." Aber: Er wisse, warum er geholfen habe. Schon kleine Gesten wie die am Ufer der Ahr entschädigen vieles. Eine scheinbar einfache Umarmung, die zeigt, wie dramatisch die Lage nach dem Hochwasser und wie wichtig freiwillige Hilfe ist.

DK

Lina Schönach