Symphonischer Optimismus

Ariel Zuckermann und László Fenyö eröffneten fulminant die neue Saison des GKO

22.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:22 Uhr

Schumann in leuchtenden Farben: László Fenyö ist Solist beim Cellokonzert, Ariel Zuckermann dirigiert das GKO. Foto: Schaffer

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – Begeisterung kann auch anstrengend sein. Nach dem überschäumend optimistischen Ausklang von Beethovens 4. Sinfonie wollte das Publikum im Ingolstädter Festsaal einfach nicht aufhören zu klatschen. Schließlich trat Dirigent Ariel Zuckermann resigniert vor die Besucher und entschuldigte sich. Ingolstadt hätte mit dem Georgischen Kammerorchester (GKO) ein fantastisches Orchester, das gerade so perfekt gespielt hätte. Da könnte man den Effekt nicht noch toppen mit einer Zugabe. Erneut kurze Bravorufe, dann verließen die Ingolstädter leicht enttäuscht den Saal. Aber nur um danach größtenteils noch eine Weile zusammenzustehen und ein Freigetränk – gestiftet vom Freundeskreis des Orchesters – zu genießen.

Wenn es überhaupt einem Dirigenten gelingen könnte, das in der Corona-Krise verlorene Publikum zurückzugewinnen, dann ist es Ariel Zuckermann – mit seinem Drive, seiner Leidenschaft, seinen mitreißenden Programmen. Und vielleicht auch mit seinem Mut, das Kammerorchester an diesem Abend mal mit Aushilfen so groß zu besetzten, dass es wie ein Sinfonieorchester klingt. Die Anzahl der Abonnenten ist derzeit mit rund 400 nicht besonders eindrucksvoll. Aber der Festsaal war beim Eröffnungskonzert der neuen Saison dennoch erstaunlich gut gefüllt.

Zuckermann begann sein Konzert mit einem fast brandneuen Werk des in Israel lebenden, 73-jährigen georgischen Komponisten Josef Bardanashvili. „Zoom in“ für Streichorchester, Altquerflöte und Horn ist eine Komposition der Gegensätze: Die Streicher starten mit Furor und Fortissimo, steigern sich gleich in einer in die Höhe rasenden Streicherbewegung, während Horn und Flöte sich kaum hörbare, zeitlupenhafte Motive wie in einem Echo zuwerfen. In den wildesten Momenten brüllen die Musiker laut in den Saal und ein Kontrabassist hämmert tumbe Geräusche aus seinem riesigen Instrument. Aber bald gibt es Annäherungen, die Streicherakkorde klingen fahl und melancholisch, als entstammten sie einer Filmmusik, die Bläser düster – als wäre das alles ein Requiem. Der Komponist Bardanashvili war zu dieser deutschen Erstaufführung eigens nach Deutschland gekommen und ließ sich vom Publikum feiern.

Mit scharfen Kontrasten ging es weiter. László Fenyö spielte das Cellokonzert von Robert Schumann mit solcher Intensität und so charaktervoll, dass man aus dem Staunen kaum herauskam. Fenyö ist derzeit ein häufiger Gast in Ingolstadt. Diesmal sprang er für Alban Gerhardt ein, in der vergangenen Saison spielte er bereits ein Cellokonzert von Vivaldi und am 24. November gastiert er zusammen mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim beim Ingolstädter Konzertverein.

Schon bei seinen vergangenen Konzerten wurde deutlich, dass Fenyö nicht unbedingt ein Verfechter der historischen Aufführungspraxis ist oder überhaupt allzu viel Wert auf übertriebene Stilsicherheit legt. Ausdruck ist ihm alles – und mit diesem Ansatz gelang ihm eine wirklich atemberaubende Darstellung des Schumann-Konzerts. Fenyös Ausdrucksspektrum war schier endlos – er ließ den Ton fast kitschig vibrieren am Anfang, dann klangen seinen Attacken stahlhart, oder er ließ am Ende des zweiten Satzes sein Instrument heroisch aufschreien, seufzen und verzweifelt stöhnen. Aber immer war sein Celloton von fleischlicher Dichte. Im Finale durchdrangen Ironie und Witz sein Spiel, und er schreckte nicht einmal davor zurück, sein Matteo-Goffriller-Cello wie bei einem ungarischen Csárdás zu behandeln. Das mag stilistisch abwegig erscheinen, war aber höchst eindrucksvoll.

Kaum weniger rasant wirkte danach Beethovens 4. Sinfonie, die der Komponist in einem Moment biografischer Hochstimmung verfasste. Und so klang sie auch an diesem Abend. Während die langsame Einleitung noch seltsam unentschlossen wirkte, lebten Zuckermann und das Georgische Kammerorchester spürbar auf, als es zum schnellen Teil ging. Zuckermann ließ die Klänge förmlich vor Lebensfreude explodieren, kein Tempo war ihm zu schnell, kein wilder Aufschwung zu rasant. Interessanter, vielschichtiger gestaltete er die Partitur in den witzigen und rhythmisch verzwickten beiden Schlusssätzen – tänzelnd, dann mit schroffen, bösen Attacken und aufbrausendem Streichergewusel. Und das alles in einem schier irrsinnigen Tempo. Die Musiker stürzten sich spürbar freudig ins Geschehen – und gaben wirklich alles. Kein Wunder, dass es dann zu einer Zugabe nicht mehr reichte.

DK