Lässig, unabhängig, stilvoll
Sonderausstellung im Textil- und Industriemuseum Augsburg inszeniert „Coolness“ als modisches Leitmotiv

03.04.2023 | Stand 17.09.2023, 0:02 Uhr

Stilikonen für Coolness als Eingangsinszenierung: (v. l.) Metallerin Debbie Baone aus Botswana im Lederoutfit, Rapper Eric B im Trainingsanzug, Mannequin Patricia 1954 in einer Robe von Jacques Fath, James Dean in Jeans, Marlene Dietrich im Anzug und Humphrey Bogart im Trenchcoat. Foto: Wichmann, tim

„Jemand der cool ist, ist entspannt, lässig, eventuell etwas kühl“, schreibt die 20-jährige Augsburgerin Pauline zu ihrem Outfit, das in der Sonderausstellung des Staatlichen Textil- und Industriemuseums Augsburg (tim) „Coolness – Inszenierung von Mode im 20. Jahrhundert“ zu sehen ist. Die Schau geht in neun multimedial aufbereiteten Stationen der Frage nach, wie und wo sich das kulturelle Phänomen des „Habitus der Kälte“ im 20. Jahrhundert entwickelt hat. Und dies in Kooperation des tim mit dem LWL-Industriemuseum, TextilWerk Bocholt. Beide Häuser arbeiten schon länger zusammen, erstmals wurde gemeinsam kuratiert.

Von Lederjacke bis Trainingsanzug

Das Team um die Projektleitung Michaela Breil (Augsburg) und Martin Schmidt (Bocholt) erzählt „Coolness“ als Habitus eines Individuums und sozialer Gruppen und macht diesen an Kleidungsstücken, an Gesten, Blicken, Körperhaltungen, an Sprache, Musik, Bildende Kunst, Musik und Film fest. Die Lederjacke, das Abendkleid der Diva, der Hosenanzug (als Zeichen weiblicher Coolness), der Trenchcoat, die Blue Jeans, das T-Shirt, der Trainingsanzug und der Zoot Suit (ausladender Anzug mit breiten Schultern, mit denen sich nichtweiße Jugendliche ihren Platz in der Gesellschaft eroberten) prägen das Leitmotiv der Mode im 20. Jahrhundert.

Coolness als Haltung weltweit

Coolness wird definiert als eine Haltung, die sich schon im Stoizismus der Antike zeigte und die in der westafrikanischen Vorstellung von augenscheinlicher Selbstbeherrschung („itutu“) zu finden ist. Als Contenance sicherte sie das Überleben der schwarzen Bevölkerung in den USA zu Zeiten der Sklaverei, als jede Äußerung von Widerstand gegen die Unterdrückung zu brutaler Bestrafung führen konnte. Coolness bedeutet auch äußere Gelassenheit, während es innen brodelt.

Die Coolness wanderte in die Blues- und Jazzbars der 1920er-Jahre, wie tim-Museumsdirektor Karl Borromäus Murr beim Presserundgang erklärte, und den „Cool Jazz“ hervorbrachte. Der in den 50er-Jahren mit Alben wie „Birth of the Cool“ (1954/1957) von Miles Davis eine neue Dynamik erhielt. Dazu kam die Desillusionierung angesichts atomarer Bedrohung und des Heraufziehen des Kalten Krieges, die emotional zu bewältigen war. Zur Coolness gehören demnach Verletzlichkeit, Auflehnung gegen Normen und innere Unsicherheit. Der Habitus bildet den Schutzmantel, wehrt die Zumutungen der Zeitläufte ab.

Jugendliche Rebellion gegen Normen

So gehören der Rock ’n’ Roll eines Little Richard oder Elvis Presley ebenso zur Coolness wie die Rebellenrollen in Hollywood eines Marlon Brando, James Dean oder Montgomery Clift. Diese machten das T-Shirt und die Blue Jeans unter den Jugendlichen auch in Europa populär. Lederjacke, T-Shirt, Blue Jeans oder Trenchcoat wurden aus ihrem Kontext der Arbeits- und Alltagsbekleidung – der Cowboys, des Militärs, der Flugzeugpiloten – herausgelöst und zu begehrten Konsumartikeln, die Designer aufgriffen, die Werbung entsprechend in Szene setzte.

300 Original-Exponate multimedial inszeniert

Im tim wandert der Blick von großformatigen Fotos einstiger Coolness-Ikonen wie Humphrey Bogart und Alain Delon im Trenchcoat, Marlene Dietrich und Madonna im Hosenanzug, Diven wie Greta Garbo, Maria Callas oder die Hollywoodschauspielerin Joan Collins (2013) im Abendkleid zu Originalstücken wie der Lederjacke des früheren Außenministers und Grünenpolitikers Joschka Fischer. 300 Exponate insgesamt – darunter auch Motorräder und eine Juke-Box – sind zu Erlebniswelten arrangiert. Auf Bildschirmen laufen Filmszenen und bewegen sich Hip-Hopper, die den Trainingsanzug aus dem Sportbereich in die Clubs brachten. Musik erklingt, die Rockabillys im Yoyogi-Park in Tokio werden von Touristen fotografiert. Der gut aufbereitete Ausstellungskatalog (90 Seiten, 9 Euro) führt in die Hintergründe ein.

Junge Menschen interpretieren Coolness heute neu

Und heute? Bocholter und Augsburger Jugendliche zeigen Outfits – von elegant bis Jeans-Streetwear und Heavy Metal-Detail –, die so verschieden sind wie die Jugendszene. Pia ist wichtig, dass „alles Baggy“ ist, dass neben einem „coolen Look“, ihrem „Style“, die „Klamotten“ nachhaltig, hochwertig und fair produziert und günstig sind. Pia kauft fast nur Second Hand, um ihre Einstellung zum Leben zu zeigen. Coolness einer 20-jährigen Augsburgerin.

Führungen, Workshops, Konzert

Bis 22. Oktober geöffnet Dienstag bis Sonntag von 9 bis 18 Uhr. Öffentliche Führungen an allen geöffneten Sonn- und Feiertagen beginnen um 14 Uhr (Anmeldung unter Telefon 0821-81001526 oder kasse@timbayern.de); Buchungen für Gruppenführungen unter Telefon (0821) 8100150. Für Schulen bietet die Museumspädagogik sogenannte „Specials“ an: „Stoff auf dem Kopf – Workshop und interkultureller Dialog für Jugendliche“ (erster Termin am 19. April) sowie „Play it cool – Workshop mit dem Sensemble Theater Augsburg“ (erster Termin am 17. Mai). Die folgenden Termine (Juni, Juli, September und Oktober) mit weiteren Informationen zu den „Specials“ stehen im Internet auf www.timbayern.de. Am Freitag, 7. Juli, lädt das tim unter dem Titel „Aera Tiret x tim“ zum Coolness Concert mit Ausstellungsbesuch ein. Es spielt die Augsburger Live-Electronic-Band Aera Tiret. Tickets gibt es unter www.timbayern.de/veranstaltungen, Restkarten an der Abendkasse.