Der Tod und das Lachen

Knut Weber inszeniert Hanoch Levins „Requiem“ im Kleinen Haus in Ingolstadt – Musik von Olivier Truan

10.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:44 Uhr

Bizarre Kutschfahrt: Richard Putzinger, Peter Reisser, Chris Nonnast und Renate Knollmann. Foto: Klenk

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Diese Kutsche! Ein tragbares rechteckiges Gestänge mit Rückscheinwerfer und Reflektoren. Dazu ein Pferd im Samtrock, mit leuchtend rotem Pappmachékopf. Dazwischen der Kutscher, der sich das Hufgetrappel auf die Oberschenkel klopft. Und Musik, die diese wilde Fahrt begleitet. Was für ein bizarres Vehikel hat sich Knut Weber da ausgedacht für die Reisen von Pupka nach Chlupka oder Drupka oder Pzhozhy oder Schczoczi. Dorthin eben, wo die Menschen aus Hanoch Levins Stück unterwegs sind – zum Krankenpfleger, ins Bordell, zum nächsten Trinkgelage, zum Sterben.

„Requiem“ heißt sein Stück, das auf drei Erzählungen von Anton Tschechow basiert und vom Abschiednehmen erzählt. Von verpassten Chancen. Schmerz. Angst. Gewinn-und-Verlust-Rechnungen. Aber auch vom Loslassen. Von Erlösung. Und von Hoffnung. Am Freitagabend feierte die deutschsprachige Erstaufführung im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt vielbeklatschte Premiere.

Die Handlung ist überschaubar, das Personal typisiert: Als sich die Alte anschickt zu sterben, wird ihrem Mann die ganze Lieblosigkeit aus 52 Ehejahren bewusst. Tod und Unbehaustheit allerorten: Eine junge Mutter muss ihr Baby begraben, weil die Herrschaft es mit heißem Wasser verbrühte. Eine Krankheit rafft den Sohn des Kutschers hinweg, aber nur sein Pferd hat Ohren für seinen Kummer. Und dazwischen krallen sich Huren und Freier an (falsche) Versprechungen von Nähe. Wären die drei Engel nicht, die singend und tröstend Geleit geben, man würde versinken in Hoffnungslosigkeit.

Langsam wird das alles erzählt, weil das Verstreichen der Zeit Zeit braucht. Die Bühne von Susanne Hiller ist eine Art Ewigkeitsraum aus schiefergrauen Felswänden und 150 Glühbirnen, die mal Sternengefunkel herbeizaubern, mal schwaches Erinnerungsleuchten. Überhaupt: das Licht! In sattem Rot-Orange glüht das Morgenrot, in samtenem Blau zieht die Nacht herauf, dann wieder bricht sich die Natur in saftigem Grün Bahn. Dazu die Musik von Olivier Truan: ein quecksilbriger Mix aus Balkan-Beats und Klezmer, gehauchten Melodielinien und verwehten Volkslied-Echos. Klarinette, Flöte, Kontrabass und Akkordeon: Herrlich ist das, was Slava Cernavca, Vladislav Cojocaru, Giorgi Mahkoshvili und Ariel Zuckermann da zu Gehör bringen. Musik als emotionaler oder atmosphärischer Verstärker, als situativer Kontrast, als Heilmittel.

Denn wenn die Engel ihr Lied anstimmen – „Wenn meine Augen sich trüben“ –, dann singen Renate Knollmann, Chris Nonnast und Peter Reisser so berührend und zärtlich, dass einem ganz leicht wird ums Herz. Dann schwingen ihre Flügel, wackeln die Wolkenfrisuren, legt sich Friede über die überschminkten Gesichter. Und wenn die Kutsche musikalisch und theatral Fahrt aufnimmt, dann kommen die sowieso schon derangierten Passagiere zur Erheiterung des Publikums ganz schön ins Schwitzen.

Wunderbare Paarungen finden sich hier: Chris Nonnast und Renate Knollmann als schrille, exzentrisch ausstaffierte Huren, Jan Gebauer und Ulrich Kielhorn als erbarmungslose, versoffene Freier Kürbiskopf und Gurkennase, Richard Putzinger und Peter Reisser als Kutscher und Pferd, Sascha Römisch als zynischer Krankenpfleger, Angelika Ebert als junge Mutter. Und im Zentrum Ralf Lichtenberg als der Alte, der sein verpasstes Leben beklagt, und Manuela Brugger als seine sterbende Frau. Präzise. Kraftvoll. Auf hohem Energielevel spielen sie alle, überzeugen durch überraschende, auch überraschend komische Rollenfindungen. Wie Kutscher und Pferd sich gegenseitig attackieren! Wie der Alte und die Alte sich zum Tanz auf Leben und Tod finden! Wie großspurig sich die leichten Mädchen gerieren und wie abgeschmackt ihre Kunden! Mit Finesse und Fantasie wird das von den Schauspielern zelebriert.

„Requiem“ erzählt vom Menschsein, vereint das Derbe mit dem Zarten, das Sehnen mit der Verbitterung, das Schamlose mit dem Empfindsamen. Bisweilen ist der Tod nur ein Gelächter vom Leben entfernt. Trost spenden dann die Erinnerung, die Musik – und Theaterabende wie diese!

DK




ZUR PRODUKTION

Theater:

Kleines Haus,

Stadttheater Ingolstadt

Musikalische Leitung:
Ariel Zuckermann

Olivier Truan
Regie:
Knut Weber

Vorstellungen:

bis 30. Oktober

Kartentelefon:

(0841) 30547200