Alles auf Anfang

Großer Applaus für das neue Open Air des Altstadttheaters: „Anbandeln“

22.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:53 Uhr

Wie wird der Abend enden? Katrin Wunderlich und Armin Hans Köstler sind Laura und Danny und „bandeln an“. Foto: Rieß, Lichtspiel

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Überall leere Flaschen, Dosen, Gläser. Pappbecher auf dem Boden. Geschenkkräuselband über der Bank. Die Party ist vorbei. Laura blickt auf das Chaos auf der Terrasse. Schenkt sich noch ein Glas Weißwein ein. Und wartet. Auf Danny, den letzten Gast. Eigentlich ist er schon auf dem Sprung. Doch dann bleibt er. Auf eine Flasche Bier. Und auf ... ja, was? Die Signale, die Laura aussendet, sind deutlich. Aber Danny ist begriffsstutzig. Oder tut so. Oder traut sich nicht. Sie trinken. Sie reden. Über Wohnungen, Jobs, Beziehungen, Politik. Sie trinken. Sie schweigen. Laura ist ratlos. Danny ist mutlos. Erst mal aufräumen. Und dann?

„Anbandeln“ heißt das Stück von David Eldridge, mit dem Leni Brem-Keil am Donnerstagabend die Open-Air-Saison des Altstadttheaters eröffnete. Mit dem Innenhof der Gnadenthal-Schulen hat die Regisseurin wieder einen neuen Ort mit einem schönen Garten entdeckt, der sich wunderbar zum Theaterspielen unter freiem Himmel eignet. Zentral gelegen – und doch abgeschirmt. Ihre Bühne hat sie gleich an das Gebäude angesetzt, so dass eine Terrassensituation entsteht und man durch die Glastür noch einen Blick in Lauras „Wohnung“ erhaschen kann. Outdoormöblierung: ein Stehtisch und Sideboards voller Partyreste, eine Bank, drei Stühle, ein Kühlschrank.

Eine Frau, ein Mann, beide Singles, eine laue Sommernacht. Laura hat es sich einfach vorgestellt. Zumal es schon den ganzen Abend über immer wieder Blickkontakt gegeben hat. Doch es ist kompliziert. Danny ist kompliziert. Nach seiner gescheiterten Ehe ist er wieder bei seiner Mutter eingezogen, hat seine Tochter seit Jahren nicht gesehen und scheut sich vor neuen Beziehungen. Aber Laura ist 38 Jahre und hört ihre biologische Uhr ticken. Klar: Sie ist beruflich erfolgreich, kann sich im schicken Londoner Crouch End eine Wohnung leisten. Aber sie ist allein. Und eigentlich sehnt sie sich nach einer richtigen Familie – oder zumindest nach einem Kind. Hier und jetzt – mit Danny und kurz vor dem Eisprung – wäre eine günstige Gelegenheit.

Was wie eine harmlose Beziehungskomödie beginnt, entwickelt sich mehr und mehr zur Tragikomödie. „In unserem Alter triffst du doch keinen mehr, der nicht ’ne Geschichte hat“, sagt Laura. Es geht um Verletzungen und was sie mit uns machen. Um Sehnsucht und Träume. Um das richtige Leben im falschen. Und den Mut zur Veränderung. Auch um Liebe. Klug hat David Eldridge das alles in Dialoge gesetzt. Und mit Katrin Wunderlich und Armin Hans Köstler hat Regisseurin Leni Brem-Keil zwei Schauspieler gefunden, die die sich mit Verve durch alle emotionalen Befindlichkeiten kämpfen. Was für ein Spiel! Wie sie sich umkreisen, die toughe Laura, der schüchterne Danny. Wie sie ihre Worte abwägen. Wie präzise die Dialoge gesprochen und abgebrochen werden. Wie laut das Schweigen dröhnt.

Schon die Kostüme von Evi Pade-Bauch sprechen Bände: Katrin Wunderlich startet im roten, kurzen, figurbetonten Kleid als Powerfrau und offenbart immer mehr die Verletzlichkeit und Einsamkeit ihrer Figur. Armin Hans Köstler präsentiert Danny – Anzug, Chucks – als charmanten Softie. Der große (Ketchup)Fleck auf dem weißen Hemd signalisiert allen: Achtung, ungeschickt! Und wie das „Anbandeln“ vonstatten geht, ist wirklich köstlich zu beobachten. Das Aufräumen! Das Tanzen! Beide agieren mit viel Gespür für die emotionalen Nöte ihrer Figuren. Und wenn ihre Blessuren sichtbar werden, spürt man in jedem Moment die Angst, sich vor dem anderen zu entblößen. „Du kennst mich nicht!“ Dieser Satz fällt häufig. Auf beiden Seiten. In immer neuen Variationen.

Mit großer Präzision führt Regisseurin Leni Brem-Keil ihre Schauspieler durch diese emotionale Achterbahnfahrt, durch Witz und Aberwitz, Schmerz und Furor. Immer wieder ändern sich die Machtverhältnisse und bis zum Schluss bleibt es offen, wie dieser Abend zu Ende geht. Nach 90 Minuten gibt es dafür langen Applaus.

DK




ZUR PRODUKTION

Spielort:

Innenhof der Gnadenthal-Schulen, Kupferstraße 23

Regie und Bühne:

Leni Brem-Keil

Vorstellungen:

bis 10. August

Karten unter

kontakt@altstadttheater.de