Wien
Zum Staunen schön

"Spitzmaus Mummy in a Coffin": Kult-Regisseur Wes Anderson verblüfft im Kunsthistorischen Museum <?ZE>

17.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:40 Uhr
Das Museum als exotische Wunderkammer: Wes Anderson und Juman Malouf trennen bei der Auswahl der Exponate nicht zwischen Natur, Kunst und Kuriosem. −Foto: Proell/KHM-Museumsverband

Wien (DK) Mit "Moonrise Kingdom", "Grand Budapest Hotel" und zuletzt "Isle of Dogs" hat Wes Anderson Filme für die Ewigkeit gemacht: Geschichten, die in einem überbordenden, eigenwilligen, magischen Kosmos spielen. Auf Einladung des Kunsthistorischen Museums Wien hat der amerikanische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent nun eine Ausstellung kuratiert, die den vielversprechendenen Titel trägt: "Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures".

Der Minisarg der titelgebenden mumifizierten Maus bildet in einer Glaskastenbühne das Zentrum dieser ungewöhnlichen Schau. Die Maus selbst ist leider irgendwann verloren gegangen.

Nach dem amerikanischen Maler Ed Ruscha und dem britischen Keramikkünstler Edmund de Waal sind Wes Anderson und seine Partnerin, die Autorin und Illustratorin Juman Malouf, seit 2012 die dritten zeitgenössischen Künstler, denen man Zugang zu den 4,5 Millionen Objekten des Hauses gewährte, die auf 14 Sammlungen und zahlreiche Depots verteilt sind. 423 Exponate aus einem Zeitraum von etwa fünftausend Jahren haben sie für die Schau ausgewählt, manche werden überhaupt zum ersten Mal gezeigt.

Wer die insgesamt acht Kabinette betritt, fühlt sich sofort in eine Wunderkammer versetzt. Dafür sorgen schon die raffinierten Bühnenbauten, die subtile Farbgestaltung und die perfekte Lichtregie. Aber es sind nicht so sehr die Kunstwerke selbst, die in ihrer Anordnung verblüffen. Anderson und Malouf geht es vor allem auch um die Geschichten, die sie erzählen. So trifft man gleich im ersten Raum etwa auf das Porträt des "Haarmenschen" Pedro Gonsalvus aus dem 16. Jahrhundert. Heute gibt es dafür eine Diagnose: Hypertrichose, aber früher arbeiteten Menschen mit fellähnlichem Bewuchs auf Gesicht und Körper oft als Freaks auf Jahrmärkten. Gonsalvus kam wegen seines abnormen Haarwuchses als Kind an den Hof des französischen Königs Heinrich II., wo man ihn zunächst als Affen im Hause hielt. Erst mit dem Heranwachsenden befasste man sich näher. Er soll sehr gelehrt gewesen sein. Heinrich stellte ihm und seiner Familie einen Teil des Parks von Fontainebleau zur Verfügung. Bei öffentlichen Veranstaltungen trugen sie stets höfische Gewänder. Einige seiner Kinder erbten die Krankheit des Vaters - auch sie sieht man in höfischer Pracht in der Ausstellung. Der Mythos des Werwolfs hängt möglicherweise auch mit dieser Erkrankung zusammen, angeblich auch die Geschichte von der Schönen und dem Biest.

Der Raum gleich daneben ist den Infanten verschiedener Königshäuser gewidmet. Mit ernsten kleinen Puppengesichtern starren sie aus den Gemälden heraus - und ziehen die Aufmerksamkeit etwa gleichaltriger Besucher auf sich: "Das bin ich", kräht ein kleines Mädchen und deutet auf die österreichische Erzherzogin. "Und das ist mein Bruder." Kindheit im 16., 18., 21. Jahrhundert. Gibt es da Berührungspunkte?

Und dann natürlich die Tiere: Qualle, Stachelfisch, Schwein, Wolf, Phönix. Unterschiedlicher können die Exponate aus verschiedensten Zeiten kaum sein. Hier das Glasmodell einer Qualle von 1885 aus dem Naturhistorischen Museum, dort der hölzerne Stachelfisch aus Indonesien aus dem Weltmuseum Wien, hier ein silbernes Trinkgefäß aus Süddeutschland, dort eine mexikanische Wärmepfanne aus gebrannten Ton oder der elfenbeinernde Sagenvogel aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. Anatomisches Modell, Kultobjekt, Schmuck: Alles gleichwertig und höchst dekorativ arrangiert in kleinen und großen Schaukästen.

Raum 2 wurde als Sinfonie in Grün komponiert: Fläschchen und Vasen aus der römischen Kaiserzeit und der chinesischen Qing-Dynastie, ein winziges Strauß-Bild aus Insektenflügeln, ausgestopfte Blaukappentangaren in einem betörenden Federgrün, eine Ansammlung von Malachiten, Figürchen aus Ägypten, ein Laubfroschpräparat, das gemalte "Rheingold" von Andreas Weith, ein Smaragdgefäß und das Kostüm aus Shantungseide, das Erika Pluhar 1978 als Hedda Gabler trug. Die Farbe Grün vereint alles.

In einem Raum werden Holzgegenstände gezeigt, von der Geige bis zum versteinerten Aststück, ein anderer ist Miniaturen aller Art vorbehalten, ein nächster den Kisten, Kästchen, Etuis, Futteralen, die normalerweise die Kunstwerke schützen.

Anderson und Malouf haben den Wunderkammer-Gedanken aus dem 14. Jahrhundert aufgegriffen. Damals entstanden in Europa repräsentative Sammlungen von Herrschern und vermögenden Bürgern, die nicht Naturalien von Artefakten oder Kunst von Handwerk trennten. Geleitet wurden sie von der Begeisterung für technische Neuerungen und Faszination für Raritäten. Die Sammlungen reichten vom beschnitzen Kirschkern über Goldschmiedearbeiten bis zum chirurgischen Instrument. Das "Zeitalter des Staunens" nannte man es später. Solch ein Kuriositätenkabinett haben auch Anderson und Malouf hier zusammengetragen: Skurriles, Bizarres, Einzigartiges, Wundersames. Durch das schlichte Ordnungsprinzip - grün zu grün, Tier zu Tier, Holz zu Holz - unterwandern sie zwar den gängigen Kunstkanon, arrangieren die Exponate aus 5000 Jahren Menschheitsgeschichte aber zu ungewohnten Ensembles und lassen den Besucher immer wieder aufs Neue staunen. Es macht Lust, sich auf diesen Streifzug zu begeben - und vor allem, den Geschichten dahinter nachzuspüren.

Kunsthistorisches Museum Wien, bis 28. April, Di-So, 10-18 Uhr, Do, 10-21 Uhr.

Anja Witzke