München
Wie Fotokünstler unsere Welt sehen

Münchner Stadtmuseum zeigt Landschaftsdarstellung der vergangenen 50 Jahre

18.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:26 Uhr
Joachim Goetz
Radikale Abstraktion der Landschaft: Dan Holdsworth, No. 10-11, aus der Serie: Continious Topography, 2016. −Foto: Holdsworth/VG Bild Kunst, Bonn 2018

München (DK) Ist die Apokalypse schon vorüber? Angesichts mancher Fotografien der Ausstellung "Land_Scope", die derzeit vom Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum gezeigt wird, könnte man´s fast glauben. Besonders im Kapitel "Wüstungen" sind ausdrucksstarke Aufnahmen von unfassbarer Destruktion, Ödnis, Tristesse zu sehen. Alles menschengemacht.

Das 1992 entstandene Bild von einem umgefallenen Förderkran im Braunkohletagebau im Land Brandenburg von Inge Rambow lässt einen ebenso erschauern wie auch ihre anderen Bilder verlassener Gruben: Nahezu vegetationslose Halden, Ebenen, Hügel und Schuttberge soweit das Auge reicht, im Vordergrund Holzbalken, Autoreifen, zerfallene Bauten und andere Reste einer verschwundenen, zumindest unsichtbaren Zivilisation.

Auch Walter Niedermayrs Aufnahme eines Skigebiets im Betrieb in der italienischen Marmolada verstört, oder Victoria Sambunaris Bild einer Goldmine in Fairbanks in Alaska von 2003.

Die Bandbreite der Naturzerstörung ergänzt Andreas Müller-Pohle mit verschmutzten Flüssen, das Ergebnis der mikrobiologischen Wasseranalyse wird zum Bestandteil der Komposition.

Natürlich gewachsene Landschaften gibt es nicht mehr. Das gilt im Prinzip für fast alle Aufnahmen dieser sehenswerten Schau, die eine breite Übersicht der Landschaftsdarstellung in der zeitgenössischen Fotokunst aus den letzten fünf Jahrzehnten darstellt. Sämtliche Werke stammen aus der Kunstsammlung der DZ Bank. Gruppiert sind sie in sieben große Kapitel; und deutlich wird, dass fotografischen Landschaften - egal ob analog oder computerbasiert geschaffen - gesellschaftliche Debatten und politische Diskurse zugrunde liegen.

Sie sind immer auch ästhetische Phänomene und Bedeutungsträger für eine Vielzahl von Weltentwürfen oder Geschichtsschreibungen. Sie dienen für Identifikationsprozesse oder sind auch verfremdet.

Einer der wichtigste Aspekte: die anhaltende Debatte um ein neues Erdzeitalter, das Anthropozän, in dem der Mensch zum bestimmenden Gestalter von Natur, Erdoberfläche, Atmosphäre wird - oder schon geworden ist. Das regt freilich dazu an, die künstlerischen Kreationen zum Thema Landschaft unter solch aktuellen Fragestellungen zu betrachten - viele Werke entstanden ja längst bevor die Debatte begann. Der Fotokünstler als Seismograph also.

Auch in der Sektion Agrarlandschaften wird sich dieser Wandel sichtbar - etwa im Gegensatz zum einstigen urtümlichen Landleben. Caus Bury zeigt riesige zu beeindruckend ästhetischen Volumen aufgetürmte Heu- und Strohballen. "Bauernarchitektur" nennt er diese Quader-, Dach- und Pyramidenformen, die er 2005 an verschiedenen Orten in Deutschland aufnahm. Kohlköpfe, Kartoffelsäcke, Getreide - alles auf schier endlosen (deutschen) Feldern - inspirierten Heinrich Riebesehl schon in den 1970er-Jahren zu Aufnahmen, die in ihrer faszinierenden Eintönigkeit ästhetisch und grafisch beeindrucken und natürlich zum Nachdenken anregen.

Nicht ohne ironische Brüche - besonders deutlich werden sie im Vergleich mit den anderen Exponaten - präsentieren Simone Nieweg oder Manfred Willmann die andererseits immer stärker werdende alternative "Romantisierung" des Landlebens - in Form eines mit Wellplastik ummantelten Komposthaufens, von Brombeerranken an Gartenzäunen oder Ausschnitten von Wildblumenwiesen.

Im Kapitel "Politische Territorien" widmet man sich historischen und aktuellen Konflikten, Stephan Schenk etwa den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Richard Mosse bildete mit einer militärischen Wärmebildkamera ein riesiges Flüchtingslager in der Türkei großformatig ab. Für Andrej Krementschouk wurde die illegale Besiedlung der Sperrzone um den havarierten Atomreaktor in Tschernobyl zum Motiv.

Weitere Kapitel sind "Landschaften als Konzept", "Formkräfte der Natur", "Ideal-" oder "Digitale Landschaften". Insgesamt gelingt es den 130 Werken das Thema Landschaft in der Fotografie überwältigend anschaulich vorzustellen.

Stadtmuseum München, bis 31. März 2019, Di bis So, 10 bis 18 Uhr. Katalog, Snoeck-Verlag, 19.90 Euro.

Joachim Goetz