München
Wenn Seele Schmuck wird

Die Galerie Handwerk in München präsentiert in der Schau "21 Grams" Stücke chinesischer und westlicher Künstler

15.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:39 Uhr
Joachim Goetz
Zyklus des Seins: "Samsara" von Wang Zhenghong. Das luftige Schmuckstück "Balance of life" stammt von Xihan Zhai (unten). −Foto: Galerie Handwerk

München (DK) Soll man nun glauben, dass die Seele ein Gewicht hat?

Im Durchschnitt 21 Gramm? Die kühne Behauptung stellte der amerikanische Arzt Duncan MacDougall 1907 in der "New York Times" auf, nachdem er 1902 sechs sterbende Menschen gewogen hatte. Im Moment des Ablebens konnte er einen plötzlichen Gewichtsverlust zwischen 8 und 35 Gramm feststellen, im Durchschnitt 21. Das musste sie sein, die dem Körper entwichene Seele. Der Arzt war geradezu besessen davon, nachzuweisen, dass die menschliche Seele materiell, nachweisbar, messbar sei. Während Tiere frei von Seele seien. 15 (von ihm) vergiftete Hunde zeigten beim Sterben keine Gewichtsabnahme.

Unter dem Titel "21 Grams" geben sich nun in der Galerie Handwerk in München 60 Künstler aus dem Westen, 60 aus China ein edel präsentiertes Stelldichein, ließen sich inspirieren und spannen jeder auf seine Weise an der skurril-fantastischen Geschichte weiter.

Klar, wenn die Seele etwas wiegt, besitzt sie auch eine Gestalt. Aber die Aufgabe lautete natürlich nicht: Wie sieht die Seele aus? Oder wie das Behältnis, in dem sie wohnt. Der Ort, an dem sie sich aufhält. Obwohl man einige der gezeigten Arbeiten durchaus so deuten könnte.
Das gemeinsam vom Niederländer Ruudt Peters und Wang Zhenghong von der chinesischen Kunstakademie Hangzhou initiierte internationale Schmuckprojekt, das erstmals in Europa ausgestellt wird, ließ den Künstlern fast alle Freiheiten - sogar eine (geringere) unvermeidliche seelische Gewichtszunahme wurde geduldet. Zumal sich das Projekt nicht physikalisch versteht, sondern eher philosophisch. In China verwendet man das Wort Seele unbestimmt, um sich auf Geist, Denken, Bewusstsein zu beziehen. Auch in unseren Breiten ist der Gebrauch des Wortes nicht mehr so sehr vom Glauben bestimmt. Gemeint ist oft die Gesamtheit von Gefühlsregungen und geistigen Vorgängen beim Menschen, manchmal sogar synonym für die Psyche.

Für die Goldschmiede war außerdem das Thema vom Schmuck im Leben des Menschen und in der Geschichte der ganzen Menschheit wichtig. Die Initiatoren dachten auch an die reizvolle Illustration eines Nebeneinander von West und Ost im avantgardistischen Schmuckgeschehen. Das wird aber nicht zur Konfrontation, die Unterschiede fallen kaum auf. Da haben sich die Welten, nicht nur die der kreativen Gestalter, zwischenzeitlich doch ziemlich angenähert. Für die Künstler war es interessant, sich mit dem Dasein des Menschen, dem Sterben, dem Tod zu beschäftigen. Viele Objekte thematisieren - das wundert ja auch angesichts eines körperlichen Gewichtsverlustes durch das "Aushauchen der Seele" nicht wirklich - eine Art weg fliegen. Flügel, Luftballon, Luftkissen, sich nach außen verflüchtigende und ätherische Objekte, die abheben wollen, sind zu sehen. Aber auch Gefäße, eckig oder rund, mit und ohne Deckel oder mit Löchern sind dabei. Oder geplatzte Volumina, die wohl den Traum vom ewigen Leben thematisieren.

Auffällig auch wie oft weiche, durchlässige Stoffe verwendet wurden. Fühlt sich die Seele in einer Art Schwamm wohl? Oder hält dieser vielleicht ihre ätherische Struktur besser fest?

Natürlich machen auch Wehmut und Sarkasmus nicht vor dem ernsten Thema halt. Man glaubt, zusammengebissene Zähne (Weng Chumeng) zu erkennen, Totenköpfe (Yan Congcong), vertrocknete Blüten (Anneleen Swillen), medizinische Schläuche (Sun Yiping), eine stilisierte Atemmaske, Titel: Letzter Atemzug (Ruudt Peters). Verweise darauf, dass das Ende wohl selten richtig schön ist.

Viele Stücke widmen sich augenscheinlich der Form, der Ästhetik. Bei Nadja Soloviev ist die Seele aus purem Gold: ein Barren mit der Prägung 21/999. Auch Herzformen, dreieckige oder runde Gebilde finden sich. Tore Svenson nahm ein ovales, gewalztes Stahlblech - und bohrte in erstaunlich geometrischer Ordnung solange Löcher hinein, bis das Objekt exakt 21 Gramm hatte. Jaydan Moore besorgte sich 21 Gramm Silberdraht und formte daraus eine Brosche mit 21 Windungen.

Auch verschiedene Röhrenformen sind zu sehen. Oder eine Kugel, in die wie in einen Käse-Igel zahllose Streichhölzer hineingesteckt sind. Und, kaum verwunderlich, (Toten-)Masken. Ebenso wenig erstaunlich: Das eng gefasste Thema setzt der Fantasie und Kreativität der Schmuckkünstler kaum Grenzen.

Galerie Handwerk, bis 20. April, www. hwk-muenchen. de/galerie.

Joachim Goetz