Vergessenes Leid und drängende Fragen

Münchner Kammerspiele: Vielstimmig erzählt "9/26 - Das Oktoberfestattentat" die Geschichten der Opfer

17.01.2021 | Stand 26.01.2021, 3:33 Uhr
Mittels weniger Accessoires schlüpfen die Darsteller, hier Rasmus Friedrich, in die verschiedenen Rollen - eine Bomberjacke, eine Brille oder wie hier ein silbriger Blouson kennzeichnen die unterschiedlichen Figuren des Abends, Bildmaterial wird auf Stoffbahnen projiziert. −Foto: Julian Baumann

München - Es berührt eigenartig, wie immer wieder braune Geschichte aus jener selbst ernannten "Weltstadt mit Herz", quillt: Hitlers Emporkommen, der Anschlag auf israelische Sportler bei der Olympiade 1972, der NSU-Prozess, ein rassistisch motiviertes Attentat im Olympiaeinkaufzentrum - die Liste ist beängstigend und lang.

Dabei fehlt der größte rechtsradikale Anschlag, den die Bundesrepublik in ihrer bisherigen Geschichte erleben musste.

Die Dokumentartheater-Regisseurin Christine Umpfenbach hat am Samstagabend aus den Kammerspielen eine Recherche zu dem Thema in die virtuelle Theaterwelt gesendet, welche unter dem Titel "9/26 - Oktoberfestattentat" firmiert. Sie will das Erinnern dem glättenden Humus aus Bier, Zufriedenheit und Vergessen entreißen, der über 30 Jahre von konservativen Kräften immer wieder über die Wunden verstrichen wurde, damit endlich das sprichwörtliche Gras darüber wachse. Das Oktoberfest ist die heilige Kuh der Bayern.

Der Theaterabend ist stark quellenbasiert. Geballtes Wissen wird verarbeitet, Zeitzeugenstimmen und Aktenmaterial zum Text verwoben. All dies gerät grundsolide, wenn auch ein wenig trocken und mit Betroffenheitspathos parfümiert. Das theatrale Spiel mit der Ambivalenz, dem Bösen, das in uns steckt, scheint dabei nicht einmal als Funke auf. Dabei wäre der Ansatz durchaus interessant, was eine Versorgungsamt-Gutachterin dazu bewogen hat, ein kindliches Opfer des Attentats als "Simulant" und "milieugeschädigt" zu charakterisieren und so Entschädigungszahlungen zu drücken. Auch wie ein Polizist, auf schnellen Ermittlungserfolg getrimmt, sich jener Asservate mit Erleichterung entledigt, die unschöne Fragen aufwerfen. Spannend wäre auch, wie sich Politiker im Wahlkampf eines Ereignisses bedienen, das ihnen dramatischen Konnex mit Tod und Leid und dazu ikonische Bilder als "starker Mann" anbietet. Umpfenbach verweigert aber den Perspektivwechsel. Sie bleibt aufseiten der Opfer, und wenn man bedenkt, wie alleingelassen diese sich über Jahrzehnte gefühlt haben mögen, bevor sich ihnen die Münchner Stadtspitze 2015 erstmals zuwandte, ist diese Positionierung nachvollziehbar. Sie verzichtet damit allerdings auf theatral wirksame, Spannungen aufbauende Mittel.

Ihre Schauspielerriege - aus Studierenden der Falckenbergschule und Ensemblemitgliedern - leiht ihre Gesichter den Opfern und Überlebenden des Attentats, ihren Fürsprechern, Ersthelfern und Anwälten. Wenn Politprominenz zu Wort kommt, behelfen sich Marie Dziomber, Rasmus Friedrich, Stefan Merki, Edith Saldanha und Lilly-Marie Vogler mit dem Vorhalten übergroßer Fotoporträts. Dies und das charmante Bühnenbild (Evi Bauer), welches mit Oktoberfest-Requisiten wie Gasballons arbeitet, würde sicher auch real anwesendes Publikum überzeugen. Auch die derzeit retromoderne Musik und Kleidung der 70er und 80er Jahre machen sich gut. Problematisch ist dagegen der Umgang mit dem Dialekt: Wie Marie Dziomber sich mit Verve auf das münchnerische Idiom ihrer darzustellenden Figur stürzt, ist nur gut gemeint, eine zarte Andeutung wie bei der Fränkin Edith Saldanha geht da viel besser auf. Das überzeugende Agieren des Schweizers Stefan Merki zeigt aber, wie sprachliche Verkleidung auch gelingen kann.

Dass mit Ausnahme von Merki die Darsteller dieses Abends noch nicht geboren waren, als die Bombe hoch ging, wird zu Beginn thematisiert, ihr persönlicher Kontext und der ihrer Familien eingebracht. Doch dass an dieses Ereignis jenseits der persönlichen Betroffenheit erinnert wird und erinnert werden soll, ist so richtig wie wichtig: Denn weiter sind Menschen unter uns, die mit Gewalt Tatsachen schaffen wollen.

DK


Weitere Vorstellung am Donnerstag, 21. Januar, um 20 Uhr unter muenchner-kammerspiele. de .