Tränen des Trostes

BR-Chor gibt drei Gastkonzerte mit "Lagrime di San Pietro"

05.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:45 Uhr
Mit Mindestabstand haben sich die Sänger des BR-Chors vor den Altar der Schutzengelkirche in Eichstätt gestellt. Hier gaben sie das erste von mehreren Gastkonzerten in der Region. Es folgt noch ein Auftritt in Hilpoltstein. −Foto: Hecker

Eichstätt - Die Worte künden von Schmerz, doch die Stimmen spenden Trost.

Mit seinem ersten Konzert seit viermonatiger Corona-Pause steht der Chor des Bayerischen Rundfunks in der Schutzengelkirche in Eichstätt. "Lagrime di San Pietro" von Orlando di Lasso ist groß angekündigt, Bußtränen des Petrus, vergossen aus Scham, aus Bekümmernis. Gefühle, die dem Publikum in der Domstadt sicherlich fremd sind, als A-cappella-Chor und Orgel zu einer sanftmütigen Einheit verschmelzen.

Es ist die "Toccatea undecima" von Georg Muffat, die wie eine Verheißung das Konzert eröffnet. Erwartend, ungeduldig die schnellen Läufe, die Martin Bernreuther an der Orgel spielt. Das Stück baut sich rasant auf, erst verspielt, verführerisch weich, dann forsch, fordernd, die Orgelpfeifen halten sich zunächst schüchtern am Eingang der Kirche auf, erobern dann den gesamten Raum bis hoch über den Altar, fluten das riesige Kirchenschiff. Das Publikum ist wie erstarrt, gefangen in dieser imposanten Welle. Jeder für sich. Und doch treibt man gemeinsam in Muffats Musik.

Dann die Erlösung. Der siebenköpfige Chor setzt ein. "The Deer's Cry" von Arvo Pärt kommt als Gegenstück zur Orgel daher. Der A-cappella-Gesang offenbart sich wie eine einzelne Stimme, die sich erst nach einigen Takten in eine ergreifende Vielfältigkeit aufsplittert. Jeder einzelne Ton wirkt wie ein junger Vogel, breitet die Schwinge aus, um mit schier unendlicher Leichtigkeit den Kirchenraum zu erkunden. Er verklingt so bittersüß langsam, dass man selbst, als er nicht mehr zu hören ist, davon überzeugt ist, dass er noch da ist.

Erneut ist es die Orgel, die den musikalischen Nebel meditativer Spiritualität aufreißt. Bernreuther spielt Johann Sebastian Bachs "Wenn wir in höchsten Nöten sein". Das Orgel-Solo weckt die Lebensgeister, die Zuschauer nicken sich anerkennend zu. Das Prelude wirkt feierlich mit getragener Tiefe und besitzt doch eine unüberhörbare Leichtigkeit. Wie passend ist das Stück für die momentane Zeit, schrieb Bach es doch in seinen letzten Lebensjahren, eine Hymne, gleichzeitig dem nahenden Tod gewidmet wie auch der Hoffnung auf Erlösung. Ein Lichtblick in schweren Zeiten, man mag ihn wohl mit etwas interpretatorischem Spielraum auch auf die Corona-Krise übertragen, in der dieses Konzert Trost zu spenden vermag.

Und so ist auch die Darbietung eines Ausschnitts von "Lagrime die San Pietro" kein Moment der Bitternis, sondern des Trostes. Wie schön sich nun der Chor in seine einzelnen Facetten aufteilt. Nicht mehr eine sanft schwingende Stimme wie in "The Deer's Cry", sondern eine klare Gegenüberstellung der polyphonen Stimmlagen. Wie im Zwiegespräch stehen sich Sopran und Tenor gegenüber, der eine wie Wehklagen, letzterer wie Trost. Die Stimmen trennen sich, umtänzeln sich für einen Augenblick, schmeichelnd, lockend, vereinen sich für einen Augenblick, nur um kurz darauf wieder auseinander zu gleiten.

Dass der vokale Teil des Konzerts von den Instrumentalelementen getrennt ist, verleiht dem Programm eine Art musikalische Reinheit. Das gesangliche Frohlocken entfaltet sich zum auditiven Vergnügen. Denn diese puren Stimmen beeindrucken in ihrer Klarheit von filigraner, ja fast fragiler Schönheit, wie sie nur a cappella zustandekommt. Hier würde eine instrumentale Begleitung nur ablenken, jeder Ton zu viel könnte stören, doch durch die gewählte Gliederung entfalten sie beide ihre ganze Kraft, Chor und Orgel.

Viel zu schnell geht das Konzert nach nur 40 Minuten inklusive einer Zugabe zu Ende. Zweimal tritt an diesem Abend der Chor in Eichstätt auf, zwei Abende später hören ihn die Ingolstädter in der Moritzkirche. Zu seinem dritten Auftritt mit dem Programm, kommt der Chor nach Hilpoltstein. Dort können ihn Interessierte am Freitag, 17. Juli, in der Stadtpfarrkirche Johannes der Täufer um 17.30 Uhr und 19.30 Uhr hören.

DK

Anna Hecker