Ingolstadt
Suchtpotenzial rockt die Halle neun

Die preisgekrönten Liedermacherinnen halten der Gesellschaft auf gewitzte Weise den Spiegel vor

21.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:44 Uhr
Das Duo Suchtpotenzial besteht aus der schwäbischen Pianistin Ariane Müller und der Berliner Sängerin Julia Gámez Martin. −Foto: Knobloch

Ingolstadt (DK) Passender als Suchtpotenzial könnte ein Musikkabarett für die Künstlerinnentage nicht sein, vor allem wenn diese ehemals von der Gleichstellungsstelle veranstaltet wurden, deren Beauftragte sich im Namen der Stadt Ingolstadt für Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzen.

Warum sollten Frauen nicht auch im Gammel-Look mit Jogginghosen und einer Dose Bier in der Hand rumhängen dürfen? Diese und weitere Fragen im Geschlechter-Vergleich stellen sich Suchtpotenzial im Laufe ihres Programms "Eskalatiooon" des öfteren. Die zwei versierten Musikerinnen haben sich hörbar im Musical-Genre kennengelernt und verbinden hochwertige Musik mit aufhellendem Humor und hohe Gesangskunst mit reflektiertem Zeitgeist.

Ariane Müller (Piano, Gitarre, Gesang) und Julia Gámez Martin (Gesang, Mundharmonika, Beatbox) sind ein kongeniales Duo, das eindeutig zweideutig kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um Mann und Frau in jeglichen Positionen geht. Sei es als Opfer eines sexuell ansprechenden Fahrkartenkontrolleurs oder als Spät-Hippies - Suchtpotenzial gelingt es, Schlüpfriges musikalisch so zu verpacken, dass es gar nicht mehr schlüpfrig wirkt. Da kommt den beiden natürlich das Schauspieltalent von Julia Gámez Martin zugute, die als enttäuschte Disney-Prinzessin oder als barttragender Hipster-Verschnitt in pfiffige Rollen schlüpft, um den Zeitgeist einzufangen. Suchtpotenzial verbrämt die vermeintlichen Errungenschaften der Neuzeit mit Elementen aus den guten alten Zeiten - wer hört nicht lieber hand- und mundgemachte Musik statt flachen Einheitsbrei aus der Internet-Konserve? Schließlich ist zwar nicht unbedingt alles besser, was gestern war, doch zurückschauen kann auch entspannend sein in der heutigen medialen Überflutung.

Suchtpotenzial schreibt Songs über Trends wie Detox-Partys, die für katerfreie Drogen wie Chiasamen oder Gojibeeren werben, sowie Lieder gegen den hohen Fleischverbrauch, der für Tier und Mensch fatale Folgen hat. Ariane Müller sagt: "Wir machen Infotainment, das ist unser Ding! " und hat damit gar nicht so unrecht.

Zwar wird an diesem Abend in der gut gefüllten Halle neun sehr viel gelacht, doch wenn man hinter die frischen Arrangements und die perfekt aufeinander abgestimmte Rollenverteilung blickt, bekommt das Publikum einen Querschnitt aktueller politischer und gesellschaftlicher Themen zu hören. Ihren Musikstil bezeichnen die beiden übrigens als "Alko-Pop - Musik von Betrunkenen für Betrunkene". Doch selbst im nüchternen Zustand kann der Zuhörer die geniale Kombination aus witzigen Passagen und kritischen Themen erkennen. Suchtpotenzial hält der Gesellschaft den Spiegel vor und hat dafür schon einige Preise eingeheimst.

Sandra-Isabel Knobloch