Ingolstadt
Sprengsatz im Kopf

Viel Applaus für "Bomb Song" und den Jugendclub II des Stadttheaters

10.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:41 Uhr
Wildes Toben im Kopf der Selbstmordattentäterin: Unter der Regie von Sascha Römisch zeigte der Jugendclub II "Bomb Song". −Foto: Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) Am Ende ist da nur der kleine rote Koffer. Kein Explosionsgeräusch. Kein Bremsenquietschen, das den Zug zum Stillstand bringt. Kein Schrei. Kein Chaos. Nur der kleine rote Koffer. Noch ein letzter Satz: "Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude. " Und dann - Stille. Sie hat es getan. Sie hat sich in den Zug gesetzt. Fensterplatz links. Und ihn in die Luft gejagt. Mitsamt ihrem Weltekel.

"Bomb Song" heißt Thea Dorns zynischer Monolog einer Selbstmordattentäterin, die von wohlbehüteter Kindheit erzählt, aber auch von mangelnder Herausforderung und einer großen Leere. Einer Leere, die sich fortsetzt ins Erwachsenenleben. So gern wäre sie eine Jeanne d'Arc geworden, aber im Schlaraffenland sind alle an Trägheit erstickt. "Das Problem ist, dass alle schönen Ziele schon erkämpft sind", sagt sie. Und: "Wenn du keine Mauern hast, gegen die du rennen kannst, gehst du kaputt. " Wohlstandsekel macht sich breit. Allein der Überfluss und Überdruss an Freiheit kulminiert in Agression. "Alles, was uns jetzt noch retten kann, ist die Apokalypse. " Erstaunlich, dass Thea Dorn das Stück 2001 kurz vor den Anschlägen des 11. Septembers schrieb.

Sascha Römisch hat das Stück für seinen Jugendclub II ausgewählt. Nach der Premiere in Regensburg im Rahmen des 12. Treffens bayerischer Theaterjugendclubs gab es am Montagabend die erste Vorstellung im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt. Eine Vorstellung, die nach 45 Minuten mit langem Beifall belohnt wurde.

Denn durch die elf jungen Spieler erhält das Stück nochmal eine ganz andere Brisanz. Hier spricht nicht mehr eine erwachsene zivilisationsmüde Frau, die sich freisprengen will aus einer über die Maßen abgesicherten Welt, hier spricht plötzlich eine ganze Generation, begehrt auf gegen Helikopter-Eltern, Hüpfburgen-Kindheit, eine optimiert-sedierte Gesellschaft aus Luxus und Gleichgültigkeit. Alle Kämpfe schon ausgefochten. Trotz freier Wahl (des Jobs, des Partners, des politischen Systems, des Landes) ist man verdammt zur Untätigkeit.

Dabei lässt Regisseur Römisch die große Klage als Stimmengewirr im Kopf der Protagonistin spielen: Rote Vorhänge (Ausstattung: Christina Huener) begrenzen den Raum, machen ihn aber gleichzeitig auch durchlässig. Römisch splittert die Figur auf: Insgesamt sieben Jugendliche geben der Frau im Stück Stimme und Gestalt - jede trägt einen roten Handschuh. In präzisen Choreografien lässt er sie zetern, zürnen und verzweifeln. Chorszenen wechseln mit poetisch arrangierten Einzelbildern, Erinnerungssequenzen mit Fantasievorstellungen, und dazwischen geistern Kommentatoren, Moderatoren und ein Clown durch die labile Seelenlandschaft.

Eine große Energie geht von diesem Ensemble aus: Nicola Backhausen, Ann Kathrin Falkenthal, Nicola Fischer, Amelia Huber-MacLean, David Kraus, Sabrina Lahn, Nina Lung, Alica Kippel, Isabella Reisser, Joshua Schulze-Reimpell und Merlin Stefan machen ihre Sache gut, haben sich den komplexen Text aus realer Alltagsraserei und träumender Märchenmotivik hervorragend angeeignet und sprechen ihn klar und mit kalkulierter Wut. Dabei entsteht in eindringlichen Bilder und immer wieder überraschenden Wendungen eine spannende Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Großer Applaus.

Weitere Vorstellung am 12. Juli um 20 Uhr im Kleinen Haus. Kartentelefon (0841) 30547200.

Anja Witzke