Schwabylon und Radio City

Zum Tod des Schweizer Architekten Justus Dahinden

19.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:41 Uhr
Joachim Goetz
Pyramidenbauer vom Zürichsee: Justus Dahinden. −Foto: Archiv

München/Zürich - Als knallbuntes Einkaufs- und Freizeitzentrum wird es gerne beschrieben, das 1973 eröffnete und nur ein paar Jahre existierende "Schwabylon" an der Münchner Leopoldstraße, dessen Architekt Justus Dahinden am Karsamstag in seiner Heimatstadt Zürich gestorben ist.

Das einer Stufen-Pyramide nachempfundene und mit dem Symbol einer aufgehenden Sonne in den zugegeben schrillen Farbtönen orange, gelb und rot gehaltene Gebäude war natürlich viel mehr: ein sozial-utopischer Eyecatcher, der mit seinen Boutiquen und dem legendären Haifischbecken rund um den noch Jahrzehnte lang betriebenen Nachtclub "Yellow Submarine" einfach seiner Zeit meilenweit voraus war. So weit voraus, dass man das nur 14 Monate wie vorgesehen benutzte Pop-Art-Gebäude nach Leerstand und diversen Reaktivierungsversuchen 1979 wegen Perspektivlosigkeit wieder abgebrochen hat. Heute würde man garantiert alles dransetzen, so ein Gebäude zu retten, zu erhalten. Denn es hat sich in Münchens Gedächtnis, nicht nur das architektonische, eingebrannt wie viele andere, teils mehrere Jahrhunderte alte Bauten nicht.

Verantwortlich dafür ist nicht nur das baukünstlerische Experiment als sozusagen aufregendstes, wenn nicht sogar einziges Pop-Art-Gebäude der Stadt, sondern auch der Anspruch, mit dem das Projekt kurz nach den Olympischen Spielen das aufgewachte München beeindrucken wollte. Unter einem nahezu fensterlosen, voll klimatisierten und belichteten Pyramiden-Hut versammelte sich all das, was man, nach Auffassung des Augsburger Investors Otto Schnitzenbaumer und des Schweizer Architekten Dahinden, zum richtigen Leben an der Isar so braucht - und im Moment nicht benutzen darf: Galerien, Restaurants, Biergarten, Kino, Schwimmbad, Eislaufbahn, römische Thermen, Sauna, Solarium und viele, viele Boutiquen für den gehobenen Bedarf. Insgesamt über 100 Einzelgeschäfte in einem über Rampen stufenlos erschlossenen farbenprächtigen Luxusbunker, der nicht ganz unbescheiden lange bevor die ersten Malls in Deutschland entstanden uns einen Vorgeschmack auf die Mixtur aus Event und Shopping, aus Konsumieren und Vergnügen bot. American Way of Life - damals hat man das in München zwar bestaunt, aber nicht genutzt.

Justus Dahinden, der sein Büro bis zuletzt gemeinsam mit seinem Sohn Ivo betrieb, hat aber auch ganz andere Gebäude und Projekte erdacht. Etwa das seit 2012 unter Denkmalschutz stehende, 1971 eröffnete und formal so ganz andere Sterne-Restaurant Tantris in Schwabing. Ein teils mit Kupferblech verkleideter Sichtbetonbau, der (noch) eines der besten Restaurants in Deutschland beherbergt. Seine Zukunft ist ungewiss.

Dahinden, der von 1974 bis 1995 an der TU Wien lehrte und überall in der Welt auch nach seiner Emeritierung als Lehrer und Vortragender gefragt war, lebte in seinen Projekten einen Pioniergeist, den man selten findet. Formal und stadtplanerisch provokanten Denkexperimenten war er nicht abgeneigt. So hat er sich etwa bereits Ende der 60er-Jahre mit Systembau beschäftigt - und das "Trigon-Dorf" (1969) im Züricher Doldertal aus dreieckigen vorgefertigten Wohnbauten entwickelt. Weiter ging's mit dem Quadrivium-System für flexible Museumsbauten, dem Cubo-System für öffentliche Groß- und mehrgeschossige Wohnbauten und dem Bubble-System für orts- und klimaspezifisches Bauen im Iran. Mit "Akro-Polis", "Radio City" oder "Kiryat Ono" widmete er sich Freizeitwelten oder urbanen Stadtstrukturen von morgen in Hügelstädten und modernen Pyramiden.

Verständlich wird Dahindens eigenwilliges Schaffen über seine Philosophie. Dahinden begriff Architektur als Ausdruck von Spiritualität. Und zwar weit über das Christentum hinaus. Ab 1968 baute er etwa am Stadtexperiment Auroville für die "Weltgemeinschaft" in Südindien mit. Er schuf eine Wallfahrtskirche in Uganda und baute für Islam oder Judentum. Am 11. April ist Justus Dahinden im Alter von 94 Jahren gestorben.

DK


Joachim Goetz